Darwin und die dritte Hand

5 Antworten

Hallo,

wir meinen zwar oft, wir hätten den totalen Durchblick und würden selbstverständlich alles erkennen und beurteilen können, aber:

was besser angepasst war, zeigt sich immer erst hinterher, wenn eine Möglichkeit wieder verschwunden und die andere erhalten geblieben ist.

Selbstverständlich gäbe es jede Menge Features, die uns als sehr praktisch erscheinen würden, wenn wir sie zusätzlich hätten. Ich könnte mir neben einer dritten Hand vielleicht auch noch eine vierte ganz nett vorstellen, dazu noch ein paar funktionsfähiger Flügel, ein noch größeres und leistungsfähigeres Hirn, kräftigere Beine, um schneller laufen zu können und was weiß ich noch nicht alles... Aber hätte ich das alles, wie groß und massig müsste mein Körper dann sein um das alles zu tragen? Wie viel Nahrung müsste ich dann zu mir nehmen, um all die zusätzlichen Körperteile und -funktionen aufrecht zu erhalten? Müsste ich dann vielleicht jeden Tag 24 Stunden mit Nahrungsaufnahme verbringen, um genügend Energie aufzunehmen? Könnte das dann mit der Flugfähigkeit, die ich wirklich viel praktischer fände als das jetzige mich am Boden Hinzuschleppen, überhaupt noch funktionieren, oder wäre ich nicht viel zu schwer?

Was die Evolution wirklich leistet, ist gnadenlos diejenige Lösung herauszufiltern, die die wirklich notwendigen Eigenschaften am ökonomischten erfüllt. Wünschenswerte Extras bleiben dabei oftmals auf der Strecke, auch wenn sie uns noch so deutlich praktischer erscheinen mögen.

Den Greifschwanz haben einen Teil unserer näheren Verwandten, einige Neuweltaffen. Diese sind alle deutlich kleiner als wir und leben hoch droben in den höchsten Wipfeln von Bäumen. Unter diesen Bedingungen hat sich diese, ja sozusagen dritte Hand, anscheinend als vorteilhaft erwiesen. Aber auch unsere allernächsten Verwandten haben diesen nicht (mehr) - die anderen Menschenaffenarten wie Schimpansen, Bonobos, Gorillas, sind zwar auch zumindest zum Teil baumlebend, aber doch nicht so weit droben im dünnsten Geäst, und auch sie sind deutlich schwerer. Unter diesen Bedingungen funktioniert das dann offensichtlich nicht, ein Greifschwanz, der einen Gorilla tragen könnte, müsste schon sehr mächtig sein...

Warum ist dies anscheinend nicht der Fall für Menschen?

Das ist bei keiner Spezies stets der Fall!

Viele verstehen leider immer noch diesen zentralen Aspekt des survival of the fittest völlig falsch. Vielleicht hat Darwin hier auch zugegebenermaßen eine etwas irreführende Wortwahl getroffen.

Es kommt nicht zwangsläufig darauf an, dass die wirklich allerbeste Lösung sich durchsetzt, sondern darauf, ob ein Merkmal im Vergleich mit den anderen "Mitstreitern" von Vorteil ist oder nicht. Selbst wenn der Überlebensvorteil winzig klein ist, setzt sich das Merkmal durch, wenn die anderen Individuen diesen Vorteil nicht haben.

Außerdem darf man nicht vergessen, dass die Evolution ja gerade keine Baupläne am Reißbrett erschafft, wie das ein Schöpfer täte. Die Evolution kann ein Lebewesen nicht von grundauf neu gestalten, sondern sie muss von dem Bauplan ausgehen, der bereits vorhanden ist. Diesen kann sie variieren. Im Ergebnis kommen dabei zwangsläufig Lösungen heraus, die alles andere als perfekt sind. Das müssen sie aber auch gar nicht, entscheidend ist, dass sie hinreichend genug funktionieren. Ein Beispiel: die menschliche Retina ist invers aufgebaut. Das bedeutet, dass das einfallende Licht zuerst einmal komplett dutch alle nachgeschalteten Zellen hindurch muss, ehe es auf die Photorezeptoren trifft, denn die Schicht der Photorezeptoren ist die letzte Schicht in der Netzhaut. Damit das Sehen trotzdem funktioniert, sind sogar spezielle Zellen (Müller-Zellen genannt) notwendig, die das Licht wie Glasfaserkabel durch die Netzhaut hindurch zu den Photorezeptoren leiten. Als Konsequenz des inversen Aufbaus ergibt sich außerdem, dass ew damit zwamgsläufig eine Stelle geben muss, an der alle Neuronen der Netzhaut sich zum Sehnerv vereinen und dann einmal durch die Netzhaut in Richtung Gehirn ziehen. An dieser Stelle können keine Photorezeptoren vorhanden sein, sodassdieser "blinde Fleck" tatsächlich wortwörtlich blind ist. Weitaus logischer wäre es, wenn die Netzhaut anders aufgebaut wäre, nämlich evers, d. h. erst käme die Schicht der Photorezeptoren, dann die der nachgeschalteten Neuronen. Das ist z. B. Bei den Augen der Kopffüßer der Fall. Warum ist es also nicht auch bei den Wirbeltieren so passiert? Na ja, ganz einfach: weil die Augen der Kopffüßer und der Wirbeltiere evolutionär völlig unterschiedlich entstanden. Bei den Wirbeltieren bildet sich zunächst ein Augenbecher, bei dem die Schichtung zunächst noch ganz "logisch" ist. Das Auge bildet sich dann durch eine Invagination des Augenbechers. Von der Linsengrube schnürt sich zunächst ein Linsensäckchen ab, das schließlich zu einem Linsenbläschen wird und in den Augenbecher hineindrückt. Der Augrnbecher umwächst das Linsenbläschen und dabei werden zwangsläufig die Schichten der Netzhaut "umgekehrt".

Die Bildung der Extremitäten leitet sich grundsätzlich vom Grundbauplan der Landwirbeltiere ab und der ist bilateralsymmetrisch. Das ist im Lauf der Evolution so entstanden und nur das kann die Evolution abändern. Aus diesem Grund kann es nur zwei Arme und zwei Hände geben. Wo sich durch Missbildungen doch mal etwas anderes entwickeln sollte, ist die dritte Gliedmaße nicht voll funktionsfähig und somit eher ein Nachteil. Außerdem darf man nicht außer Acht lassen, dass die allermeisten Fehlbildungen keine genetische Ursache haben. Sie sind somit nicht vererbbar, aber genau das ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass ein Merkmal in der Evolution Bestand haben kann.

Ein Schwanz hat viele Vorteile, hilft z. B. die Balance zu halten, besser zu klettern oder gar Gegenstände zu halten, die man mit zwei Händen nicht halten kann.

Diese Vorteile hätte er, wenn wir heute noch dieselbe Lebensweise führten wie unsere Vorfahren in den Bäumen. Am Boden ist der Schwanz nutzlos, sein Verlust war eher von Vorteil, da die Kosten für ein ansonsten nutzloses Organ gespart wurden.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

NemoSparito 
Beitragsersteller
 05.01.2025, 20:06

Danke für die äußerst logische und ausführliche Antwort! Hab daneben etwas reflektiert: als Rückenschläfer wäre ein Schwanz hinten womöglich unpraktisch.

JanHatEineFr227  05.01.2025, 18:33

Das ist doch aber pure Ideologie, als "Wissenschaft" verkauft, denn wo ist der Nachweis, dass all diese "zufälligen" Mutationen jeweils einen Überlebensvorteil bieten? Und wo bleiben die Mutationen beim heutigen Menschen?

Darwinist  05.01.2025, 19:53
@JanHatEineFr227
denn wo ist der Nachweis, dass all diese "zufälligen" Mutationen jeweils einen Überlebensvorteil bieten?

Laborexperimente, Freilandbeobachtungen, fossile Stufenreihen, morphologische Stufenreihen, ... Such's dir aus. ;-)

Die Belege für Evolution sind unzweifelhaft da und eindeutig.

Und wo bleiben die Mutationen beim heutigen Menschen?

Die treten natürlich genauso auf. Sind in jedem einzelnen von uns genetisch nachweisbar. Hattest du das Thema Mutation nicht im Schulunterricht?

JanHatEineFr227  06.01.2025, 04:32
@Darwinist

"Die Belege für Evolution sind unzweifelhaft da und eindeutig."

Magst du bitte einmal so genau wie es geht präzisieren, WAS genau da unzweifelhaft belegt wird? Dass es in einigen Fällen Mutationen gegeben hat, bei denen ein Überlebensvorteil sehr plausibel ist? ... oder statt "sehr plausibel": dass er sogar nachgewiesen wurde (das meinst du wohl mit "Laborexperimenten")?

Das bestreite ich ja gar nicht. Nur metaphysische Aussagen basierend auf m.E. zweifelhaftem grundlegenden philosophischem Unterbau.

"Die treten natürlich genauso auf. Sind in jedem einzelnen von uns genetisch nachweisbar."

Ich meine natürlich solche, die zu einer merklichen Evolution führen.

Ich glaube nicht, dass das praktischer wäre. Drei Hände brauchen auch mehr Gehirn, kosten Energie und kann ja auch im Weg sein.

Ausserdem bin ich nicht so sicher, ob so ein Fehler zwingend auch fortgepflanzt würde. Wenn ein Mensch drei Hände hat, liegt das wohl eher an einer Störung in der Embryonalentwicklung als an einem Gendefekt. Denn da reicht es nicht, wenn ein einzelnes Gen sich ändert. Denn die Hand muss ja auch an einem Arm hängen und sie muss gesteuert werden, es braucht also auch ein anderes Gehirn und andere Nervenbahnen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Studium und Beruf. Vor allem Gehirnforschung und Evolution.

Warum nicht vier oder fünf Arme? Oder zehn? Was man damit alles machen könnte!

Aber in der Tat war der Homo Sapiens mehrfach kurz vor dem Aussterben. Überlebt haben wir weniger durch Evolution, sondern dadurch dass wir sesshaft wurden, Ackerbau und Viehzuch machten und Städte gegründet haben. Arbeitsteilung gleicht viele unserer Mängel aus, Werkzeuge ebenso.

Evolution hat kein "Ziel" - das ist denke ich dein Denkfehler...

...und die Auslese kann nur damit "arbeiten", was vorhanden ist...

Bei Walen z. B. wären Kiemen vllt. "sinnvoll", diese wurden in hunderten Millionen Jahren aber schon längst "abgelegt" = also liegen die Optionen "nur" bei Lungenvolumen, Lage der Atemöffnung, Sauerstoffspeicherung im Blut usw.

Der Mensch hat nur zwei Hände - aber ein Hirn, das ihn alles nötige erfinden lässt...