Wieso wird überhaupt darüber diskutiert, ob Zeit real oder ausgedacht ist?
In Einsteins Relativitätstheorie werden relativistische Effekte beschrieben. Und für diese Effekte - die mehrfach und uneingeschränkt bestätigt wurden - wird die Raumzeit vorausgesetzt (was ergo auch bedeutet, dass Zeit real sein MUSS).
Wieso wird heutzutage also noch darüber diskutiert, ob Zeit wirklich real ist?
4 Antworten
Wieso wird überhaupt darüber diskutiert, ob Zeit real oder ausgedacht ist?
Im Grunde genommen ist der Begriff „Zeit“ nur eine unscharfe Zusammenfassung der vielen Unterbegriffe mit dem Präfix „Zeit“ wie z.B. der Begriff „Zeit-Raum“, der ganz besonders zwielichtig erscheint, aber auch „Zeit-Spanne“ oder „Zeit-Dauer“ sind in Gebrauch und besonders widersprüchlich ist dabei der "Zeit-Punkt".
Werden also all diese Begriffe zu dem globalen Begriff „Zeit“ verballhornt, dann geht damit der fundamentale Unterschied zwischen dem Zeitpunkt und der Zeitdauer verloren, womit eine Beschreibung wissenschaftlich unscharf wird und sich unbemerkt Fehlinterpretationen in theoretischen Denkmodellen einschleichen, die widersprüchlich sind.
Besonders gerne wird anschließend mit der Relativitätstheorie argumentiert, obwohl die Zeit gar nicht relevant wäre, um die Gültigkeit der Theorie zu belegen, sondern die 4. Dimension muss nur eine quantitative und bidirektionale Dimension darstellen.
Es ist nämlich so, dass die Zeit einerseits keine quantitativ bidirektionale Dimension darstellt, weil die Zeit-Dauer gemeint ist, die solche Eigenschaften besitzt, aber sie kann auch als Zeit-Punkt betrachtet werden und besitzt nur eine dimensionslose Größe, die wir als unidirektionale Qualität beschreiben.
Des Weiteren wird damit nicht der Relativitätstheorie widersprochen, sondern nur der Vorstellung eines raumzeitlichen Denkmodells, denn es gibt keine reale Wirkung zwischen zwei Zeitpunkten, weil eine Wirkung nur zwischen zwei gleichzeitig gegenwärtigen Punkten bestehen kann. Bei Zeitpunkten ist es nämlich so, dass nur ein Punkt gegenwärtig sein kann, wogegen alle anderen Punkte ausschließlich als Erinnerung in unserem Gedächtnis stecken, also nur „ausgedacht“ sind. Wobei dann noch hinzukommt, dass das raumzeitliche Vorstellungsmodell die gleichzeitige Gegenwart unbedingt verneint.
Und zum Schluss muss ich noch hinzufügen, dass inzwischen die gleichzeitige Gegenwart akademisch korrekt belegt wurde und somit das raumzeitliche Vorstellungsmodell widerlegt wurde, weil die Konsequenz eine räumlich existente 4. Dimension ist, womit nicht die Relativitätstheorie widerlegt wurde, sondern endlich vorstellbar plausibilisiert wurde.
Die genauen Details findest du unter der folgenden Frage beschrieben: Was ist „Photon-Photon-Streuung“?
mit philosophischen diskussionen wie ob zeit "real" ist oder nicht (ich weiß nicht mal was das heißen soll. was ist der unterschied? wie kann man den unterschied physikalisch messen?) kann ich nichts anfangen, aber:
uneingeschränkt bestätigt
keine messung ist "uneingeschränkt". angefangen bei impliziten theorie annahmen die drinstecken bis zu ganz banalen dinge wie endliche messgenauigkeit.
physikalische modelle sind genau das: modelle. bis vor ein bisschen mehr als hundert jahren haben wir gravitation mit einem anderen modell beschrieben, und dieses modell hat sich auch in unzähligen experimenten seiner zeit bewährt. jetzt beschrieben wir in einem modernen modell gravitation als geometrischen effekten einer gekrümmten raumzeit. und auch dieses modell hat sich in vielen vielen weiteren tests behaupten können. aber ein modell bleibt ein modell. wer weiß wie wir gravitation in hundert oder zweihundert jahren vielleicht mit einem noch besseren modell beschreiben.
Die Frage, ob Zeit "real" ist, bleibt deshalb relevant, weil sie tief in der Schnittstelle zwischen Physik, Philosophie und menschlichem Bewusstsein liegt. Die Relativitätstheorie zeigt, dass Zeit als Dimension der Raumzeit real ist, aber die Diskussion darüber, was "Realität" in diesem Kontext bedeutet und ob Zeit als grundlegende oder abgeleitete Eigenschaft des Universums betrachtet werden sollte, ist noch offen. Die verschiedenen Perspektiven zeigen, dass es sich um eine komplexe und multidisziplinäre Frage handelt, die weitere Forschung und philosophische Reflexion erfordert:
Einsteins Allgemeine und Spezielle Relativitätstheorien beschreiben die Raumzeit als vierdimensionale Struktur, in der die Zeit eine von der Raumgeometrie untrennbare Dimension ist. Diese Theorie hat gezeigt, dass Zeit relativ ist und von der Bewegung des Beobachters abhängt, was zu Effekten wie Zeitdilatation führt.
Menschen erleben Zeit subjektiv als eine lineare Abfolge von Momenten, was die Frage aufwirft, inwieweit diese Wahrnehmung die physikalische Realität widerspiegelt
Zeit wird oft mit der Kausalität assoziiert. Die Frage, ob die Richtung der Zeit (von Vergangenheit zu Zukunft) eine fundamentale Eigenschaft des Universums oder eine Folge von Entropie und dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ist, wird intensiv diskutiert.
Einige Wissenschaftler und Philosophen, wie Julian Barbour, argumentieren, dass Zeit möglicherweise eine Illusion ist, die aus der Veränderung und Bewegung in der Raumzeit entsteht.
In vielen fundamentalen physikalischen Gesetzen, insbesondere in der Quantenfeldtheorie, ist die Zeit symmetrisch, was bedeutet, dass die Gesetze vorwärts und rückwärts in der Zeit gleich sind. Diese Symmetrie stellt die traditionelle Vorstellung von einer strengen zeitlichen Ordnung in Frage.
Wieso wird überhaupt darüber diskutiert, ob Zeit real oder ausgedacht ist?
Weil es eben doch nicht so klar ist, welche Natur die Zeit hat.
"Zeit" ist ein Begriff aus einer bestimmten Kategorie von Begriffen, die alle eine besondere Eigenart haben. Solange man sie im Alltag verwendet, ist jedem völlig klar, was gemeint ist. Ich vermute, in dieser Klarheit denkst du gerade. Sobald man aber anfängt, diese Begriffe genauer zu untersuchen, zu definieren oder zu erklären, werden sie immer unklarer, immer verschwommener und irgendwann entgleiten sie einem völlig und je mehr man sich mit ihnen beschäftigt, umso weniger weiß man darüber. Irgendwann weiß man dann nur noch, was es nicht ist, hat aber keine Worte mehr dafür, was es ist. Weitere Begriffe neben "Zeit" aus dieser Kategorie wären z.B. auch "Liebe" oder "Seele".
Die Vorstellung, Zeit würde nicht real existieren, sei ein menschliches Artefakt und damit eine Illusion, beruht auf der Vorstellung der klassischen deterministischen und reduktionistischen Physik (Newton, Einstein, Hawking). Dieser Zeitbegriff ist allerdings längst überholt.
Die Gesetze der klassischen Physik, wie z.B. der 1. HS (Energieerhaltungssatz) sind zeitsymmetrisch (Vergangenheit und Zukunft sind gleichwertig, die Gleichungen funktionieren vorwärts und rückwärts). Damit können aber nur Zustandsänderungen, aber keine dynamischen Prozesse mathematisch erfasst werden.
In der klassischen Dynamik stellt Zeit die vierte Dimension dar, sie ist ein geometrischer Parameter. Dieses ist die externe Zeit t, die man mit der Uhr misst. Aus verschiedenen Gründen ist diese Zeit aber nicht geeignet, instabile Systeme fernab des thermodynamischen Gleichgewichtes zu beschreiben, dazu später mehr. Das einzige Beispiel innerhalb der klassischen Dynamik, bei der Zeit überhaupt eine Rolle spielt, ist die Beschleunigung. Und die ist, wie wir schon festgestellt haben, zeitsymetrisch, was bei einer geometrischen Betrachtung der Zeit nicht verwunderlich ist. Bei statischen Vorgängen, wie Bewegung eines Punktes im Raum oder Wellenausbreitung in der Quantenphysik wird ebenfalls die externe Zeit t benutzt.
Dass Zeit keine Illusion sei, dass das Universum weder deterministisch noch reduktionistisch sei, sondern dass Irreversibilitäten und Instabilitäten das Universum bestimmen, zeigte Ilya Prigogine in seiner Theorie Dissipativer Strukturen, für die er 1977 den Nobelpreis erhielt. In dieser Theorie zeigt er, dass der Zeitpfeil real existiert und Zeit daher keine Illusion sei und daher auch niemals rückwärts laufen könne.
Nun weist Prigogine drauf hin, dass schon Aristoteles durch Naturbeobachtung erkannte, dass Zeit zwei unterschiedliche Qualitäten haben kann. Er unterschied zwischen der Zeit als "Bewegung" (kinesis) und der Zeit als "Entstehung und Verfall" (metabole). Die erste Zeit ist die Zeit der klassischen Dynamik, die zweite ist die Zeit der Thermodynamik. Um genau diese zweite thermodynamische Zeit geht es in der Theorie dissipativer Strukturen.
Die thermodynamische Zeit ist eng an Irrevesibilität und Instabilität gebunden. Prigogine nennt sie auch die innere Zeit. In stabilen reversiblen Systemen gibt es sie nicht. In Systemen nahe des thermodynamischen Gleichgewichtes wird die innere bzw. thermodynamische Zeit zur kosmologischen Zeit der deterministischen Physik.
In seiner Theorie dissipativer Strukturen weist Prigogine tatsächlich sowohl theoretisch als auch gestützt durch Experimente nach, dass Irreversibilität schon auf Quantenebene intrinsisch auftritt (intrinsisch: real im System vorhanden, also keine Gedankenkonstruktion ist). Da die innere Zeit direkt von der Irreversibilität abhängt, ist auch die innere Zeit intrinsisch, was er ebenfalls theoretisch und experimentell belegt. Er schreibt in "Die Gesetze des Chaos": "Der "Urknall" zeigt uns, dass es einen bestimmten Moment gibt, in dem die Materie, wie wir sie kennen, aus dem Quantenvakuum hervorgeht. Wir waren schon immer der Ansicht, dies sei das irreversible Phänomen schlechthin, und haben versucht, es als eine Irreversibilität zu analysieren. Das Universum bildet ein Ganzes, und die Existenz eines einzigen Zeitpfeils hat eine kosmologische Ursache. Dieser Zeitpfeil ist stets gegenwärtig und es besteht darüberhinaus ein enger Zusammenhang zwischen Irreversibilität und Komplexität. Je höher der Komplexitätsgrad - Chemie, Leben, Gehirn -, desto offenkundiger ist der Zeitpfeil. Das entspricht genau der konstruktiven Rolle der Zeit, die in den eingangs beschriebenen dissipativen Strukturen so offenkundig ist."
Durch die Verleugnung des Zeitpfeiles hat der Reduktionismus/Determinismus mit 3 wesentlichen Paradoxa zu tun:
1. Das Zeitparadoxon: Hatten wir schon ausführlich diskutiert und beschreibt den Widerspruch zwischen der reduktionistischen Betrachtung, bei der Vergangenheit und Zukunft gleichwertig sind und der Beobachtung der dynamischen Natur, nach der es eben nicht so ist. Diese Paradoxon löst Prigogine mit seiner Betrachtungsweise auf.
2. Das Quantenparadoxon: Auf der einen Seite beschreibt die Schrödingergleichung die Wellenfunktion innerhalb der Quantenmechanik, auf der anderen Seite bricht diese Wellenfunktion aber bei Messungen zusammen. Man spricht vom Kollaps der Wellenfunktion. Schrödingers Katze beschäftigt sich mit diesem Problem. Viele Physiker meinen, diesen Zusammenbruch der Wellenfunktion verursacht der Beobachter durch seine Messung. Über das Thema wird eigentlich seit Entstehung der Quantenphysik bis heute unter den klassischen Physikern gestritten. Da Prigogine nicht mehr reduktionistisch sondern probabilistisch (mit Wahrscheinlichkeitrechnungen) an das Problem herangeht, löst der dieses Paradoxon auf, indem bei seiner Betrachtungsweise kein Zusammenbruch einer Wellenfunktion mehr vorkommen kann.
3. Das kosmologische Paradoxon: Laut Hawking führt die reduktionistische, zeitsymmetrische Betrachtung des Kosmos zu der Vermutung, dass der Urknall einen rein geometrischen Charakter haben könnte, bei dem die Zeit eine zufällige unwesentliche Eigenschaft sei. Die kosmologische Zeit wäre daher reine Illusion.
Paradox wird es nach Prigogine deswegen, weil damit jeglicher Zusammenhang zwischen Sein und Werden verleugnet würde.
Irreversibiltät wird durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik beschrieben und das ist auch der einzige Satz innerhalb der klassischen Physik, der einen echten Zeitpfeil enthält, der nicht geometrisch und symmetrisch ist und daher auch nur in eine Richtung laufen kann. In der klassischen Dynamik ist der 2.HS sowieso ein Fremdkörper. Er wird von vielen Reduktionisten so interpretiert, dass Irreversibilität, also die Abweichung von der Zeitsymmetrie aller anderer grundlegender Naturgesetze letztlich nur Rundungsfehlern bzw. unserem Unwissen geschuldet sei. Diese Meinung vertrat in seiner Frühzeit auch Einstein, relativierte sie im Alter allerdings deutlich, indem er feststellte, dass die Aussendung eines Signals immer irreversibel sei (altes japanisches Sprichwort: "Einen abgeschossenen Pfeil und ein gesprochenes Wort holt niemand zurück").
Prigogine lehnt den 2.HS als "Maß für unser Unwissen" ab und postuliert in seiner Theorie, dass der 2.HS ein grundlegendes Naturgesetz sei.
Der 2. Hauptsatz sagt absolut, dass Entropie immer zunimmt. Sie kann zwar in Systemen fernab des thermodynamischen Gleichgewichtes lokal durch Entropieexport sinken, dafür nimmt dann aber die Entropie der Umwelt überproportional zu.
Stephen Hawking, als einer der damals letzten bedeutenden Reduktionisten, geriet Ende der 1980er bis Anfang der 1990 Jahre mit Ilya Prigogine aneinander, weil Hawking in seinen Theorien zu den Schwarzen Löchern unterstellte, am Ereignishorizont könne die Zeit kurzfristig auch rückwärts laufen. Prigogine widersprach dem und begründete mit dem 2. HS in der nichtlinearen Form, dass das nicht möglich sei, weil Zeit eben nicht nur eine Illusion sei sondern der Zeitpfeil real existiert. Nach einer längeren und intensiven Diskussion musste Hawking vor versammelter Physikergemeinde am Ende zugeben, dass er sich offensichtlich geirrt habe.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13522084.html
Danach zog er auch die meisten Aussagen und ganze Kapitel der "Kurzen Geschichte der Zeit" offiziell zurück. Dieselben Probleme gibt es mit der Hawkingstrahlung, die ebenfalls davon ausgeht, dass Zeit auch rückwärts laufen könne. Jedenfalls beschränkte sich Hawking danach auf philosophische Ergüsse, in denen er dann auch auch öfters auf die Argumentation Prigogines einging.
Mittlerweile haben sich die Erkenntnisse Prigogines, u.a. dass der Zeitpfeil physikalisch real existiert, in der modernen nichtlinearen und indeterministischen Physik durchgesetzt.