Was soll ich mit meinem Autismus anfangen?
Hey, ich bin 18 Jahre alt, männlich, Autist und habe dadurch ernsthafte Probleme in meinem Leben.
Mir fallen Dinge schwer, die für andere komplett selbstverständlich sind. Zum Beispiel Gefühle zeigen, Gefühle beim gegenüber erkennen, Freunde finden, sich in sozialen Gruppen, Kulturen oder Gesellschaften integrieren etc.
Dafür hab ich einen 138er IQ und kann sehr gut mit Zahlen umgehen. Ich habe eine sehr hohe Problemlösefähigkeit. Ich kann Fallbeispiele sehr schnell deuten, Schlussfolgerungen treffen, Lösungsansätze entwerfen und Strategien entwickeln. Eigentlich eine Kernkompetenz im Wirtschafts- oder Finanzwesen. Ein Beruf in diesem Bereich würde könnte ich mir sehr gut vorstellen.
Meine Kommunikationsfähigkeit ist nicht unbedingt stark eingeschränkt, sondern eher nur, wenn die Kommunikation zwischenmenschlich und nicht wenn sie auf professioneller oder fachlichen Ebene stattfindet. Für mich wäre Kundenkontakt also auch kein Problem.
Leider scheißen Unternehmen auf meine Stärken. Das einzige, was sie haben wollen ist Teamfähigkeit. Scheiß egal, wo man sich bewirbt. Können ist denen überhaupt nichts wert, Hauptsache man passt ins gut Team und versteht sich gut mit den anderen.
Ich mache dieses Jahr meine Fachhochschulreife fertig, hab super Noten, vorallem in Mathe, Wirtschaft und Englisch. Ich schreibe wirklich gute Bewerbungen und Eignungstests löse ich mit geschlossen Augen. Ich bewerbe mich gerade auf duale Studienplätze, bekomme meistens also sehr weit in den Bewerbungsprozessen, bis es dann zu einer Gruppenaufgabe oder zu einem Interview kommt. Deswegen bekomme ich eine Absage nach der anderen hinterher. Kein Unternehmen möchte mir überhaupt eine Chance geben.
Letztens hab ich sogar ein Interview gemeistert. Ich bin ein bisschen mehr aus mich herausgekommen, bin auch stärker auf persönliche Fragen eingegangen und nicht nur auch die fachlichen. Ich hab mich auf persönliche Fragen sowie Fangfragen gut vorbereitet. Ich hab denen tatsächlich auch noch erzählt, dass ich sehr teamorientiert bin, wofür sogar noch eine super Begründung parat gehabt habe.
Wegen kleinen "Nuancen" wurde ich dann abgelehnt. Im Feedback hieß es dann "Joa, er hätte sich gewünscht, ich wäre noch in der Case Study ein bisschen mehr auf das Team eingegangen". Ich weiß garnicht, was er will. Ich hab einem Mitbewerber ständig sogar noch Aufgabenstellungen und Sachverhalte erklärt, weil er es nicht gecheckt hat. Ich habe ständig nachgefragt, ob sie mit einer Vorgehensweise einverstanden wäre, ob man noch was daran ändern könnte oder noch Ideen haben, bin auf Kompromisse eingegangen etc. Meine Gruppenmitglieder waren auch recht entspannt und freundlich.
Im Privaten läuft es auch nicht wirklich gut. Ich habe kaum Freunde, meine Klasse hasst mich und bekomme ständig komische Sprüche und Beleidigungen ab. Wenn es Probleme gibt, bin immer ich schuld. Nirgendwo pass ich rein oder kann mich integrieren. Und so ist das schon seit Jahren, dass niemand mit mir befreudet sein möchte. Ich werde auch wahrscheinlich nie eine Partnerin finden oder gar eine Familie gründen können. Ich wünsche mir so sehr, ich wäre einfach so wie die anderen. Selbst wenn ich dafür meine Intelligenz wegschmeißen könnte. Meine Stärke bringt mir überhaupt nichts, weil trotzdem überall komplett am Versagen bin.
Ich könnte mich ja verbessern, wenn man mir konstruktive Kritik anstatt abwertende Kommentare geben würde. Ich beleidige dann auch natürlich zurück und bekomme dafür dann Ärger. Nachdem ich zu einem Mädel gesagt habe, dass sie mir wegen ihrer Körpergröße im Stehen Oralsex geben kann, ist sie natürlich zum Lehrer gegangen und hat Mimimi gemacht. Zum Glück war der Lehrer ziemlich korrekt.
Gibt es vielleicht Mentorings für Autisten, wo man z.B lernt, wie man andere Menschen interpretiert, besser kommuniziert oder Empathie erlernen kann? Oder soll ich mich für meine Berufswahl einfach selbstständig machen und mein eigenes Business eröffnen. Dafür müsste ich mir auch erstmal eine Grundlage schaffen.
4 Antworten
Zum Glück war der Lehrer ziemlich korrekt.
Korrekt ist nicht ganz das Wort. Das war sexuelle Belästigung, keine beleidigung. Und Autismus hin oder her, dafür hättest du gestutzt werden müssen.
Gibt es vielleicht Mentorings für Autisten, wo man z.B lernt, wie man andere Menschen interpretiert, besser kommuniziert oder Empathie erlernen kann?
Das nennt sich dann Autismustherapie. Letzten Endes führt aber kein Weg um Übung herum.
Oder soll ich mich für meine Berufswahl einfach selbstständig machen und mein eigenes Business eröffnen.
Ohne die dazu notwendigen sozialen Umgangsformen wird Kundenakquise ein Problem werden. Selbstständige leben buchstäblich davon, Kunden davon zu überzeugen, das eigene Produkt zu kaufen.
Insgesamt, du wirst sehr wahrscheinlich keinen dualen Studienplatz finden. Diese Plätze sind sehr hart umkämpft und werden weit sorgfältiger vergeben als Arbeits- oder Ausbildungsplätze. Hängt damit zusammen, dass da so richtig viel Firmengelder investiert werden müssen, bis das Studium fertig ist. Das ist ein Fall von "die besten der besten". Bewirb dich bei Unis auf ein normales Studium, damit du das als fallback hast. Das wird üblicherweise rein nach Noten entschieden. Das gibt dir auch mehr Zeit, das soziale zu lernen.
Du wirst im Team arbeiten. Und entsprechend ist ein Mindestmaß an Teamfähigkeit einfach notwendig, um auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bestehen. Auch Kundenkontakt erfordert soziale Pflege der Beziehung zum Kunden. Ärger einfangen, beruhigen, ein gutes Gefühl geben, vertrauen aufbauen und stärken. All sowas. Oh und so ein Spruch, wie du dem Mädel gegeben hast, ist sofort ne Abmahnung.
Du hast recht, ohne ein Mindestmaß an sozialen Fähigkeiten ist fachliches können auf dem Arbeitsmarkt in der Regel nicht viel wert. Das ist einfach so. Ganz ohne geht's nicht.
Ich beleidige dann auch natürlich zurück
Das ist nicht natürlich. Und da du gern konstruktive Kritik möchtest: Bitte unterlass so ein primitives Verhalten. Das kommt nicht gut an.
Ansonsten ist es doch toll, dass du bei dem einen Interview schon besser aus dir rauskamst. Durch Übung lernt man.
Damit du in eine neurotypische Gesellschaft reinpasst, müsstest du Masking betreiben.
Allerdings hinterlässt Masking über die Jahre (Jahrzehnte) Spuren an dir, die zum autistischen Burnout führen können.
Überlege dir sehr gut, ob all die Dinge das wert sind.
https://www.healthline.com/health/autism/autism-masking#definition
https://www.autistic-psychologist.net/post/autistischer-burn-out-was-ist-das-wie-entsteht-es
Ein solches oder ähnliches Problem mit dem Masking dürfte wohl sowohl bei Autismus, als auch bei einer Hochbegabung (oder generellen neuroatypischen Eigenschaften) auffallen.
Emotionale Intellligenz ist trainierbar.