Spezialinteressen bei Autisten - und bei anderen: Wo ist der Unterschied zwischen einem Hobby und einem Spezialinteresse?

2 Antworten

Naja, es gibt schon einen Unterschied zwischen einer enormst intensiven Beschäftigung mit einem Thema und dem schlichten 'regelmäßigen Beschäftigen' damit.

Wenn jemand sich für Fußball interessiert, dann ist das ein Hobby... auch Fußball regelmäßig zu verfolgen zählt noch als Hobby. Die Aufstellungen sämtlicher Fußballspiele der letzten 20 Jahre auswendig zu lernen ist dann aber schon ziemlich extrem, wenn man das mal vergleicht.

Die andere Hälfte sitzt in der Bahn und beschäftigt sich ununterbrochen mit ihrem Handy. Ist das ein Spezialinteresse?

Ich sehe da kein Interesse. Das ist eine Beschäftigung, mit der man eine zeitliche Lücke füllt, nichts was wirklich auf Wissenserwerb gerichtet wäre

Soweit ich das beurteilen kann, haben nur Autisten (und ADHSler?) Spezialinteressen.

Wenn eine neurotypische Person ein intensives Interesse hat, gibt es meistens trotzdem noch Unterschiede.

Zuerst einmal: Ein Spezialinteresse kann alles sein. Es muss nicht speziell oder ungewöhnlich sein.

Nun zur Frage. Die Unterschiede, die mir spontan einfallen würden, wäre folgende:

  • Infodumping: Die meisten neurotypischen Menschen neigen nicht stark zum Infodumping über ihre Interessen und haben auch keinen Drang dazu. Sie können verstehen, wenn sie andere damit nerven und nicht darüber reden. Das macht ihnen nichts aus. Bei uns Autisten ist das schwieriger. Ich kann regelrecht fühlen, wie ich mich nicht mehr halten kann und alles raus muss, weil ich sonst "platze".
  • Was passiert, wenn man dem Spezialinteresse nicht nachgehen kann: Wenn eine neurotypische Person morgen nicht in ihren Verein kann und nicht ihrem Interesse/Hobby nachgehen kann, ist das zwar echt doof, aber neurotypische Menschen sind generell besser darin, mit spontanen, ungewollten Planänderungen zurechtzukommen. Wenn wir Autisten genau wissen, dass wir dann und dann unseren Spezialinteressen nachgehen können, kann es uns sehr aus der Bahn werfen, wenn wir es plötzlich doch nicht können.
  • Interozeption: Damit haben manche von uns Autisten sowieso schon Probleme, aber wenn wir total vertieft in unsere Spezialinteressen sind, kann es sein, dass wir gar nicht bemerken, dass wir Durst haben, Hunger haben, dass wir auf die Toilette müssen etc. Manche Autisten haben damit auch außerhalb Probleme, aber das kann sich verstärken, während man seinem Spezialinteresse nachgeht
  • Der Stellenwert, der das (Spezial)interesse für einen hat: Solange es nicht wirklich eine starke Passion oder sogar der eigene Beruf ist, den man liebt, scheint es, als haben die eigenen Interessen bei Neurotypisten einfach nicht so einen extrem hohen Stellenwert ... Sie scheinen das nicht unbedingt zu brauchen ... Vielleicht ist das der falsche Begriff. Ich meine damit, dass es mir zumindest so vorkommt, als wären sie nicht so sehr davon getroffen - psychisch, mental -, wenn sie sich mehr in ihren Beruf, die Schule, Ausbildung etc. reinhängen müssen, obwohl diese nichts mit ihren Interessen zu tun hat. Ich glaube generell, dass wir Autisten viel mehr das studieren müssen, das als Beruf ausüben müssen, was unseren Spezialinteressen entspricht. Das kenne ich auch von mir und von früher aus der Schule. Wenn es nichts mit meinen Spezialinteressen zu tun hatte, wenn es mich nicht faszinierte, dann konnte meine Zukunft auch noch so sehr gefährdet sein; ich würde es nicht kapieren, nicht lernen können. Denn in meinem Gehirn war/ist kein Plan dafür. Es ist, als würden die Spezialinteressen so viel mehr Platz im Gehirn einnehmen.

Das sind die Unterschiede, die mir ganz spontan eingefallen sind.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽
Eric265464  01.05.2024, 23:04

Ziemlich treffen, ich bin auch Asperger, männlich und 18 und ergänze noch was. Wenn nicht die Möglichkeit besteht, anderen von den Spezialinteressen zu erzählen, z.B. weil keiner da ist oder weil es niemanden interessiert und man gelernt hat, sich zurückzuhalten, um andere nicht zu nerven, dann löst dann in einem Stress aus, weil man ein großes Bedürfnis nach Aussprache, Anerkennung und Aufmerksamkeit hat. So gehts zumindest mir. Wenn das über längere Zeit so geht, scheint der Körper als Abwehrreaktion vor psychischer Vereinsamung dafür zu sorgen, dass man Selbstgespräche führt, was Abhilfe verschafft. Auf Dauer kann das soweit gehen, dass man das auch im Beisein anderer macht, dann als verrückt dargestellt wird, dann kapiert, wie blöd man sein muss, Selbstgespräche zu führen und irgendwann, wenn man nicht aufpasst, in Depressionen verfällt.

Deshalb ist das richtige Menschenumfeld für Asperger unerlässlich. Davon hängt die Lebensqualität dieser Menschen maßgeblich ab, egal ob Zuhause bei Familie, in der Schule oder auf Arbeit. Ehrliche und tolerante Mitmenschen können Asperger in die richtige Spur bringen, da diese Asperger mit Worten erreichen können, da wir über unsere Spezialinteressen reden können, angenommen werden und uns geborgen fühlen. Die neurotypischen Mitmenschen können dann den Aspergern die Tricks der sozialen Kommunikation unter "Normalen" beibringen und der Asperger kann sich megr und mehr ins normale Leben eingliedern und hat irgendwann so gut dazugelernt, dass er gar nicht wie einer rüberkommt. Im falschen Umfeld aber können wir Asperger absolut ausgegrenzt werden, keine sozial positiven Kontakte aufbauen und viele neigen dann schnell zur gesellschaftlichen Isolation und Selbstmord. Verständlich, wenn mich niemand leiden kann, würde ich mir auch nen Strick nehmen.

1
Zitruseulchen  01.05.2024, 23:18
@Eric265464
Wenn nicht die Möglichkeit besteht, anderen von den Spezialinteressen zu erzählen (...) So gehts zumindest mir.

Daran hatte ich gar nicht gedacht bzw. ist mir das bei mir noch nicht aufgefallen, aber du hast Recht, so geht es mir tatsächlich auch. Zum Glück komme ich nur sehr selten in diese Situation, weil meine Freunde dadurch genervt wären oder so, sondern weil ich keine Lust auf soziale Kontakte habe und ich deshalb zum "Monologisieren im stillen Kämmerchen" verfalle.

Häufig halte ich in meinem Kopf "Präsentationen" über meine Spezialinteressen ab.

Deshalb ist das richtige Menschenumfeld für Asperger unerlässlich. Davon hängt die Lebensqualität dieser Menschen maßgeblich ab, egal ob Zuhause bei Familie, in der Schule oder auf Arbeit.

Absolut. Das stimmt. Ich denke, da muss halt von beiden Seiten ein Entgegenkommen stattfinden. Neurotypisten lernen, uns zu verstehen, wir Autisten lernen, sie zu verstehen und man versucht, sich so gut es geht in der Mitte zu treffen. Wenn ständig nur die eine Gruppe (in dieser Welt wir Autisten) sich an den Standard der anderen Gruppe anpassen, ihre Regeln etc. lernen muss, ist das unfair und sehr psychisch anstrengend für uns (Autisten).

0