Tatsächlich scheinst du einige Anzeichen zu haben, die für eine Autismus-Spektrum-Störung sprechen würden.
Ob man sich testen sollte?
Na ja, niemand kann einen dazu zwingen. Wenn du es willst, solltest du es tun. Allerdings kannst du nicht zum nächstbesten Arzt gehen. Selbst wenn dieser dich an einen Spezialisten weiterleiten würde, wäre das nichts als Zeitverschwendung. Deshalb solltest du direkt nach einem Neurologen oder wahlweise auch Psychiater suchen, der auf Autismus spezialisiert ist. Die Wartezeiten dort sind fast immer sehr lang - Nur dass du gewarnt bist.
Könnte aber ja auch einfach sein, dass ich "nur" sehr introvertiert bin und hoch-sensibel..
Seit wann hast du diese Anzeichen denn? Seit frühester Kindheit? Wenn ja, wäre die Wahrscheinlich noch höher, dass es Autismus ist.
Ich denke schon, dass es genug "Symptome" gibt, die wir Autisten haben, die hochsensible Menschen oder "nur" introvertierte Menschen nicht haben/machen. Zum Beispiel:
- Spezialinteressen
- Neigung zum Oversharing, Infodumping sowie Overexplaining
- Stimming (Anmerkung: Jeder betreibt Stimming, aber bei uns Autisten ist es viel häufiger, intensiver - außer wir maskieren uns erfolgreich - und das Stimming kann manchmal auch socially inappropriate sein.)
- Schlechter Orientierungssinn
- Stets wissen müssen, weshalb und wie
- Schwierigkeiten mit
- Exekutive Dysfunktion (Kann jedoch auch auf ADHS hindeuten)
- Schwierigkeiten, Autoritäten zu folgen, ohne sie zu hinterfragen
- Schwierigkeiten, Mimik, Gestik, Tonlage etc. korrekt zu interpretieren und anzuwenden
- Schwierigkeiten mit dem Erkennen und/oder verständlichem Einsetzen von Sarkasmus/Ironie
- Monotone Sprechlage oder zu animierte Sprechlage
- Probleme, die eigene Sprechlautstärke an die Umgebung anzupassen
- Probleme damit, immer zu wissen, wo sich der eigene Körper in Relation zu anderen Objekten befindet
- Schwierigkeiten beim Abschätzen von Tiefen, Längen, Breiten, Höhen, Distanzen etc. (Kommt oft mit Tollpatschigkeit einher)
- Schwierigkeiten in der Grob- und/oder Feinmotorik (z.B: Sport, Handschrift, Schuhe zubinden, Jacken zuknöpfen, sich anziehen, Duschen, Zähne putzen, Balance halten usw.)
- Probleme mit Smalltalk (Das haben zwar auch introvertierte Menschen, aber ich denke, dass diese eher wissen, wie Smalltalk funktioniert und sie es nie aktiv lernen mussten, doch sie haben einfach keine Lust darauf, während wir Autisten nicht wissen, wie es funktioniert oder wenn wir es wissen, dann nur, weil wir als Part des Masking erlernen mussten.)
- Atypisches Verhalten beim Augenkontakt - Also entweder zu viel oder zu wenig und Probleme damit, Gesagtes zu verstehen und zu verarbeiten, wenn Blickkontakt verlangt wird (Das kann unter Umständen auch mit Sozialphobie verwechselt werden, aber ich habe z.B. beides - Autismus und eine Sozialphobie - und wenn man genau hinschaut, erkennt man einige Unterschiede in den Gründen für das Wegschauen bzw. kann es, wie bereits erwähnt, auch ein Starren sein. Es geht unter anderem darum, dass man als Autist/Autistin nicht intuitiv weiß, wann, wie und wie lange man hinschauen sollte.)
- Dinge oft zu wörtlich nehmen
- etc.
Natürlich hat nicht jeder Autist/jede Autistin alle diese Anzeichen (aber einige davon) - Zuzüglich zu denen, die auch hochsensible/introvertierte Menschen haben können, wie z.B. Hypersensibilität ... Wobei ... Jetzt wo ich das schreibe: Es gibt auch Autisten, die eher (in manchen oder in fast allen) Bereichen hyposensibel sind, also das Gegenteil von hypersensibel. Dies wiederum würde sich weniger mit Hochsensibilität verwechseln lassen, aber ich schätze mal, in deinem Fall ist es tatsächlich mehr Hyper- als Hyposensibilität.
wobei ich auch teils Angst vor fremden Menschen habe, was sie denken könnten und fühle mich oft dann einem Scheinwerferlicht ausgesetzt, auch wenn es nicht so ist.
Das könnte für eine sich anbahnende oder bereits leichte Sozialphobie sprechen.
Es sollte noch erwähnt werden, dass wir Autisten nicht grundsätzlich alle keine sozialen Kontakte wollen. Manche von uns wollen, aber wir wissen nicht, wie. Manche von uns wollen tatsächlich nicht. Und häufig verändert sich das im Laufe des Lebens. Als Kind wollte ich kaum etwas mit anderen Kindern zu tun haben, als Jugendliche war ich voll aktiv im Internet und hab andauernd mit Leuten geschrieben und heute bin ich zufrieden, mit den wenigen, aber guten Freunden, die ich habe.
Schlussendlich kannst nur du entscheiden, ob du den Weg der Diagnose auf dich nehmen möchtest. Ich würde niemals jemandem davon abraten, denn ich und viele andere Autisten wissen selber, wie viel das einem helfen kann - insbesondere, wenn man dadurch lernt, sich und seinen Autismus zu verstehen und akzeptieren und sein Umfeld so zu gestalten, dass es den eigenen, autistischen Bedürfnissen gerecht wird -, doch dazu zwingen kann dich auch niemand.
Es kann gut möglich sein, dass die Suche auf die Antwort mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird - Nicht zuletzt aufgrund der langen Wartezeiten.