Hab ich noch Autismus?

5 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet
Bei mir wurde als kleines Kind Autismus diagnostiziert. 

Solange diese Diagnostik bei einem (Kinder)neurologen bzw. (Kinder)psychiater mit Fachrichtung Autismus durchgeführt wurde, wird sie schon stimmen.

Außerdem kann man seinen Autismus nicht verlieren. Das geht genausowenig, wie seine Hautfarbe, seine Nationalität, seine sexuelle Orientierung, sein Geschlecht o.Ä. zu verlieren.

Wie stark es ausgeprägt war kann ich leider nicht genau sagen.

Das liegt daran, dass es keinen "stark" ausgeprägten Autismus gibt, genauso wie es keinen "schwach" ausgeprägten Autismus gibt. Oder sagen wir es mal so: Quelle

Nun z. B habe ich immer alles in Reihen aufgestellt, hatte überall "mein System", war sehr ordentlich und penibel. Bin auch ausgetickt wenn irgendwas nicht nach meinem Kopf oder "System" ging.

Joa, so war ich früher auch (wurde mit fast 10 Jahren diagnostiziert). Beziehungsweise nicht unbedingt ordentlich, aber ich hatte sozusagen meine "eigene Ordnung". Und das mit dem Dinge in Reihen aufstellen habe ich nicht gemacht, oder zumindest kann sich weder ich, noch meine Mutter daran erinnern, doch das hat nichts zu sagen.

Ich bin richtig unordentlich, chaotisch und depressiv. 

Mhm, mhm, mhm ... Guess what? Das bin ich alles ebenfalls. Trotzdem bin ich nach wie vor autistisch.

Was ist denn mit all deinen anderen autistischen Eigenschaften passiert? Die sind sicherlich nicht verschwunden. Autismus besteht aus mehr als nur Routine und Ordnung. Und selbst das ist sehr individuell.

Eine Komorbidität zusammen mit ADHS könnte auch in Frage kommen. Das müsstest du mit einem darauf spezialisierten Arzt abklären.

Ich denke, du versteifst dich zu sehr auf diese paar "Symptome". Du wurdest sicherlich nicht nur deshalb diagnostiziert.

Ich habe auch leider mittlerweile ziemlich starke soziale Ängste und es schränkt mich extrem ein. Hat das was damit zu tun? 

Kenne ich. Hab auch Sozialphobie.

Und ja, das kann zusammenhängen. Wir Autisten sind einem größeren Risiko ausgesetzt, an Dingen wie Sozialphobie, Depressiom uvm. zu erkranken.

Es ist auch sehr schwer bis unmöglich da rauszukommen, ohne ins Masking zu verfallen. Denn:

1. Meist wird Konfrontationstherapie bei Sozialphobie angewendet. Diese Therapie sagt: Du weißt, was du zu tun hast, du traust dich nur nicht. Problem: Das trifft auf uns Autisten nicht zu. Und weil wir diese Regeln nicht kennen, neigen wir mehr zur Sozialphobie, denn Kinder und Jugendliche sind grausam zu denen, die diese Regeln nicht auf Anhieb kennen, verstehen und anwenden können. Daher erfahren wir öfters Ausgrenzung, soziale Isolation, Mobbing, Missverständnisse, Hänseleien, Grenzüberschreitungen uvm.

2. Man könnte es uns beibringen, aber weshalb sollten nur wir neurotypische Kommunikationsregeln erlernen, aber Neurotypisten müssen nicht unsere autistischen Kommunikationsregeln erlernen? Weshalb müssen wir uns maskieren? Ziemlich unfair.

3. Masking führt zu Identitätsverlust, Dauerstress, Depression, Suizidalität, Fawning, Fehldiagnosen oder verspäteter Autismusdiagnose (Falls noch nicht diagnostiziert), Angst, autistischem Burnout (Was einen autistischen Burnout von einem normalen Burnout unterscheidet), verstärkte Meltdowns, mehr Shutdowns usw.

Ein Teufelskreis, wie du siehst.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin diagnostizierte Autistin (Keine Selbstdiagnose)👽

Noahh74 
Fragesteller
 21.05.2024, 16:44

Danke für diese hilfreiche Aufklärung!

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Auch bei Autismus können sich die Symptome verändern.

Manche verstärken sich, andere werden schwächer.

Was bestehen bleibt, ist der Autismus.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – ASS-Diagnose mit 50 / über 20 Jahren im Thema

Hierzu fallen mir 2 Möglichkeiten ein. 1) Die Symptome sind so schwach geworden, weil du gelernt hast, damit umzugehen, so dass man es nicht mehr als "Störung" einsortieren würde, obwohl Autismus an sich nicht heilbar ist. 2) Es handelte sich um eine Fehldiagnose, weil du aus anderen Gründen Ähnlichkeiten gezeigt hast. Bei Störungen wie der ASS und ähnlichen gibt es leider eine relativ hohe Anzahl an Fehldiagnosen, weil die Symptome oft unspezifisch sind und es viele Überschneidungen gibt. Zudem ist die Diagnostik noch nicht ganz ausgereift. Man muss dazu ja bedenken, dass die Diagnose eine Weile her ist

Ich würde dir raten, dich noch einmal in einer Spezialambulanz diagnostizieren zu lassen

Vielleicht bist du einer der 80% der Autisten, die gleichzeitig ADHS haben. Oft ist es nämlich so, dass sich das zeitweise gegenseitig versteckt. Mal sind die einen Symptome stärker, mal die anderen.

Ich würde an deiner Stelle mal mit Profis darüber reden.

Autismus und ADHS 'verwachsen' sich nicht. Das ist ein grundlegender Aufbau des Gehirns, das geht nie weg.


Noahh74 
Fragesteller
 19.05.2024, 19:41

Danke bin selber auch schon auf den Gedanken betreffend ADHS gekommen. Ich sollte es vielleicht mal abklären lassen.

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Hm, schwer abzuschätzen, ohne dich zu kennen. Generell sind spätere Diagnosen (so ab der Grundschule) immer genauer. Ich selbst hatte mit 11/12 und erst neulich eine Autismus-Diagnostik durchlaufen, beides Mal war das Resultat Asperger eindeutig. In den letzten Jahren habe ich aber gelernt, kognitiv und sprachlich auf andere zuzugehen, ohne jedwede Therapie, und weniger aufzufallen. Man sagt auch, dass bis 1/3 der Diagnostizierten als Erwachsene im ADOS "durchfallen".

Verstehst du andere Menschen oft nicht? Verkrümelst dich? Hast kein Interesse an reziproken Beziehungen? Keinen Augenkontakt? Sehr spezielle Hobbies wie Züge, Käfer oder Programmieren?

Ich empföhle dir einen Psychiater oder Psychologen, wenn dich das belasten sollte. Warte am besten mal ab, wie sich das im Arbeitsleben noch manifestieren wird.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Habe selbst Asperger