[Chemie] Welcher Stoff ist unpolar?
Guten Tag,
ich benötige noch ein bisschen Hilfe, um diese Art von Aufgaben zu verstehen. Ich freue mich sehr auf eure hilfreichen Antworten 🙋♂️
Welcher Stoff ist unpolar?
A: CO2
B: H2O
C: NH3
D: C2H6O
E: Cl2OWie ich bisher immer vorgegangen bin
- Bisher habe ich immer die Differenz der Elektronegativitäten (ΔEN) berechnet (<0,4: unpolar, zwischen 0,4 und 1,7: polar, >1,7: Ionenbindung)
- A: ΔEN = 0,8 -> polare kovalente Bindung
- B: ΔEN = 1,2 -> polare kovalente Bindung
- C: ΔEN = 0,8 -> polare kovalente Bindung
- D: siehe Bild
- E: siehe Bild
- Laut Aufgabe ist die richtige Lösung A: CO2
- Das verstehe ich leider nicht.
- Wie kann ich dann immer vorgehen, um nicht wie hier einen Fehler zu machen und E als richtige Antwort zu wählen?
- E hat doch als einzige Antwortmöglichkeit eine Differenz der Elektronegativitäten von 0,2, was ja für eine unpolare kovalente Bindung steht
- Aber wieso genau ist hier E: Cl2O dann keine unpolare kovalente Bindung?🤯
- Ich weiß, dass sich bei A: CO2 kein Dipol einstellt, da die Ladungsschwerpunkte (der positiven und der negativen Partialladungen) am gleichen Ort sind:
- Muss sich also bei einer polaren kovalenten Bindung immer ein Dipol bilden? Wieso? Gerne mit ausführlicher Erklärung 🙋♂️
- Wie ist es bei einer unpolaren Bindung? Muss sich hier ein Dipol bilden?
- Mich verwirren die Ausnahmen noch ein bisschen…
2 Antworten
Moin,
puuh, das wird kompliziert...
Also zunächst einmal ist die Fragestellung der Aufgabe ziemlich doof formuliert.
»Welcher Stoff ist polar?«
Wenn es um Polarität geht, gibt es ja immerhin zwei verschiedene: es gibt die Polarität einer Bindung, aber es gibt auch das Dipolmoment eines Moleküls.
Bei dem einen geht es konkret um einzelne Bindungen, bei dem anderen um die Verteilung der Elektronendichte im gesamten Molekül aufgrund von polaren Bindungen UND dem Molekülbau.
Die Frage ist also extrem blöd formuliert. Es sollte besser gefragt werden:
»Welche Moleküle haben polare Bindungen?«
oder eben
»Welche Moleküle haben kein Dipolmoment?«
Das nächste Problem besteht darin, welche Elektronegativitätswerte du verwendet hast?! Die Elektronegativität ist nämlich keine Eigenschaft eines Atomrumpfs, die man direkt messen kann. Die Elektronegativität kann man nur indirekt, mit Hilfe eines Vergleichs mit einem anderen Atomrumpf ermitteln.
Die Elektronegativität ist daher ein relatives Maß (vergleichendes Maß) für die Stärke, mit der ein Atomrumpf ein bindendes Elektronenpaar zu sich heranzieht.
Und wie das so mit relativen Maßen ist, man benötigt einen Wert, den man „willkürlich” festlegt und mit dem man dann die Werte anderer Atome in Bindungen vergleichend bestimmen kann.
Tja, und je nachdem, was man da zur Grundlage macht, erhält man eben auch verschiedene Elektronegativitäten.
Die bekanntesten Werte entstammen aus der
- Pauling-Skala,
- Allred-Rochow-Skala oder
- Mulliken-Skala
Die Vorstellung von Pauling beruht auf der Elektronegativitätsdifferenz zwischen zwei Atomen A und B als relatives Maß für den ionischen Anteil ihrer Bindung A-B. Sie setzt die Kenntnis der experimentell ermittelten Bindungsdissoziationsenergien voraus.
Die Allred-Rochow-Werte beruhen auf der Überlegung, dass die Elektronegativität proportional zur elektrostatischen Anziehungskraft F ist, die die Kernladung Z auf die Bindungselektronen (von inneren Elektronen abgeschirmt) ausübt.
Und Mulliken berechnete seine Werte als Mittelwert der Ionisierungsenergie für das erste Elektron E1 und der Elektronenaffinität Eaff.
Aber wie auch immer. Je nach Skala erhältst du andere Werte für die jeweils betrachtete Elektronegativität eines Elements, gerade weil das keine direkt messbare Größe ist.
Und so kommt es, dass du zum Beispiel für die Elektronegativitätsdifferenz einer O–Cl-Bindung folgendes findest:
Pauling: 3,44 – 3,16 = 0,28.
Allred-Rochow: 3,5 – 2,83 = 0,67.
Mulliken: 3,21 – 3,54 = –0,33 (also sogar zum Chloratom hin verschoben!).
Du hast offenbar noch andere Werte benutzt, denn bei dir beträgt die Differenz der EN-Werte sogar nur 0,2.
Ich kenne auch die Angabe für O: 3,5 und für Cl: 3,0, was zu einer Differenz von 0,5 führen würde.
Aber was sagen solche EN-Differenzen eigentlich aus?
Nun, sie zeigen, ob und gegebenenfalls wie sehr eine Bindung polar ist. Wenn das bindende Elektronenpaar nicht in der Mitte zwischen den beiden Atomrümpfen liegt, dann entstehen an den Atomrümpfen Teilladungen (Partialladungen). Elektronen sind ja immerhin negative Ladungsträger. Und wenn diese zu einem Atomrumpf stärker verlagert sind als zum anderen Bindungspartner, dann wird der Atomrumpf, zu dem das Elektronenpaar hin verlagert ist, negativ teilgeladen. Der Bindungspartner, von dem das Elektronenpaar weggezogen wird, erhält logischerweise eine positive Teilladung.
Überraschung, Überraschung!!! Ein bindendes Elektronenpaar verharrt nie exakt zwischen zwei Bindungspartnern! Es gibt immer eine natürliche kleine Schwankung der Elektronendichte. Das bedeutet, dass selbst bei exakt gleichen Elektronegativitätswerten (zum Beispiel einer C–C-Bindung) das bindende Elektronenpaar zwischen den beiden Bindungspartnern „hin und her schwappt”.
ABER: wenn du die durchschnittliche Lage solcher Bindungselektronenpaare anschaust, dann liegen sie tatsächlich genau in der Mitte. Solche Bindungen bezeichnet man daher zu Recht als unpolar.
Doch gerade wegen dieser natürlichen Schwankungen gelten auch andere Differenzen als unpolar, auch wenn es formal eine EN-Differenz gibt.
Und so kommen wir zu der Faustregel, nach der eine...
- ... EN-Differenz zwischen 0,0 und 0,4 eine unpolare Bindung ergibt.
- ... EN-Differenz zwischen 0,5 und 1,7 eine zunehmend stärker polar werdende Bindung ergibt.
- ... EN-Differenz ab 1,8 eine Ionenbindung ergibt.
Alles gut und schön. Aber das ist nur eine Faustregel. Genau so wie es eine andere Faustregel gibt, nach der die Reaktion zwischen einem Metall und einem Nichtmetall eine Ionenverbindung (mit Ionenbindungen) zur Folge hat, während die Reaktion zwischen zwei Nichtmetallen zu Molekülen mit Atombindungen führt.
Und tatsächlich gibt es Fälle, in denen weder die eine noch die andere Faustregel über die tatsächliche Natur einer Verbindung eindeutige Antworten gibt.
Nimm als Beispiel die Verbindung Aluminiumchlorid. Dort kannst du als EN-Differenz (je nach verwendeten EN-Werten) zu folgendem Wert kommen:
3,86 – 1,47 = 1,36
Das würde bedeuten, dass die Bindungen zwischen Aluminium- und Chloratomen zwar ziemlich polar, aber auf keinen Fall ionischer Natur sind. Andererseits verhält sich Aluminiumchlorid wie ein Salz mit Ionen. Wie passt das zusammen?
Nun, Aluminium ist ein Metall, Chlor ein Nichtmetall. Nach der zweiten Faustregel müsste das daher eine Ionenverbindung (ein Salz) ergeben.
Darum ist hier die Faustregel mit den EN-Differenzen offenbar nicht völlig zufriedenstellend.
Der Wahrheit am nächsten kommst du wahrscheinlich mit der Formulierung: Aluminiumchlorid ist eine salzartige Verbindung, in der es einen ionischen und einen stark polaren Bindungsanteil zwischen den Bindungspartnern gibt.
Oder nimm den anderen bekannten Fall Fluorwasserstoff (HF). Die Differenz ergibt
4,0 – 2,2 = 1,8
Das ist größer als 1,7, also müsste das eine Ionenverbindung sein. Aber... nö, das sind einzelne HF-Moleküle. Wie kann das sein?
Wieder greift die andere Faustregel: zwei Nichtmetalle ergeben eine Molekülverbindung mit Atombindungen. Die Atombindung mag extrem polar sein. Aber es ist und bleibt eine Atombindung...
Was will der Dichter uns damit sagen? Es sind Faustregeln. Sie geben einen Anhaltspunkt, aber es gibt Fälle, wo sie bei strikter Anwendung versagen.
Deshalb sind sie aber nicht gleich wertlos. Es ist eben nur so, dass du nicht rein formal an die Sache gehen kannst, sondern verschiedene Aspekte berücksichtigen musst.
Und dann gilt eine C–H-Bindung eben immer noch als unpolar, obwohl es eine EN-Differenz von 0,3 zugunsten des Kohlenstoffatoms gibt, weil eine Elektronendichteschwankung von 0,0 bis 0,4 (gerade noch) innerhalb einer natürlichen Verlagerung von Bindungselektronen liegt. Erst ab einer EN-Differenz von 0,5 oder mehr kannst du im Allgemeinen von einer polaren Bindung ausgehen.
Und bei der O–Cl-Bindung hast du einerseits EN-Differenzen zwischen 0,2 (dein Wert), 0,28 (Pauling) und 0,67 (Allred-Rochow). Das eine zählt zu den unpolaren Bindungen, das andere wäre bereits polar. Was stimmt nun?
Wenn du dann noch die Größe der Bindungspartner ins Spiel bringst, wird es noch unübersichtlicher, weil größere Atome auch noch in ihrem eigenen Mehrelektronensystem zu diversen Elektronendichteschwankungen befähigt sind.
Wie gesagt, es ist kompliziert.
So viel zu den unpolaren und polaren Bindungen...
Was nun die Dipolmomente von Molekülen angeht, so hast du ja schon selbst geschrieben, dass Kohlenstoffdioxid kein Dipolmolekül ist, weil der Ladungsschwerpunkt zusammenfällt.
Ich würde es anders ausdrücken: Ein Dipol entsteht, wenn es 1. polare Bindungen gibt UND 2. die Elektronendichteverteilung aufgrund des Molekülbaus entgegengesetzt teilgeladene Bereiche ergibt. Das erste ist die Voraussetzung, dass es überhaupt ein Dipolmolekül sein kann, aber das zweite entscheidend dann darüber, ob es bei einer gegebenen polaren Bindung auch zu einer ungleichen und entgegengesetzten Verteilung der Elektronendichte kommt.
Das Kohlenstoffdioxidmolekül hat polare C=O-Bindungen. Das ist schon einmal die Voraussetzung dafür, überhaupt an einen Dipol zu denken. Aber nun kommt noch die Molekülgeometrie hinzu. Und die ist linear. Wenn du dir das Molekül als Kugel mit zwei Polen und einem „Äquator” vorstellst, dann sind beide Pole gleichsinnig negativ teilgeladen (dort liegen die O-Atome), während das Zentrum den positiv teilgeladen Bereich darstellt (hier befindet sich das C-Atom). Mit anderen Worten: es gibt zwar zwei Pole, aber die sind gleichsinnig teilgeladen. Es gibt keinen Pol, der positiviert ist, während der andere Pol negativiert daherkommt. Keine entgegengesetzt teilgeladenen Pole, kein Dipol!
Beim Dichloroxid (Cl2O) ist das anders. Hier hast du zwar eine sehr kleine EN-Differenz, aber immerhin noch eine Differenz. Und vor allem hast du ein gewinkeltes Molekül (wie beim Wassermolekül). Das kommt daher, dass der Sauerstoff auch noch über zwei freie, nicht-bindende Valenzelektronenpaare verfügt, die Platz beanspruchen und so die bindenden Elektronenpaare von sich weg drücken. Das ergibt eine gewinkelte Molekülgeometrie.
Tja und dann hast du (das Molekül als Kugel gedacht) einen Pol, der minimal (aber immerhin) positiviert ist (hier befinden sich die Chloratome) und einen Pol, der negativiert ist (das Sauerstoffatom). Entgegengesetzt teilgeladene Pole = Dipol.
Aber weil die EN-Differenz so gering ist, dürfte das Dipolmoment dieses Moleküls ebenfalls seeehr klein sein, vielleicht 0,2 oder 0,3 D.
Insofern kann ich deinen Frust verstehen, wie du darauf kommen solltest.
Sorry, dass ich dir trotz der vielen Erläuterungen keinen besseren Tipp geben kann.
LG von der Waterkant
Bisher habe ich immer die Differenz der Elektronegativitäten (ΔEN) berechnet (<0,4: unpolar, zwischen 0,4 und 1,7: polar, >1,7: Ionenbindung)
Vorweg:
Diese Zahlenwerte sind ganz nett, aber nicht die absolute Wahrheit. Der Übergang ist nämlich fließend - von:
ΔEN = 0,0 => Rein kovalent
bis
ΔEN = 3,3 => Rein ionisch.
Die Grenzen dazwischen sind verhandelbar. 😉
Das bedeutet: Ein Stoff, der ΔEN = 1,8 besitzt, ist nach deiner Übersicht ionisch. Das trifft sicherlich auch auf die meisten seiner Stoffeigenschaften zu. Es wird aber sicherlich auch ein paar Parameter geben, in denen er sich eher wie ein polarer Stoff verhält. Dein Cl2O hat eine sehr kleine ΔEN von 0,2. Aber sie ist halt nicht null. In vielen Aspekten verhält sich Cl2O wie ein unpolarer Stoff. Aber halt nicht in allen.
Wie du vorgehen musst:
Zuerst musst du schauen, ob eine ΔEN von 0,0 vorliegt. Diese Stoffe sind sicher unpolar.
Für alle anderen Stoffe musst du dir die räumliche Struktur anschauen. Nur wenn ihre Ladungsschwerpunkte deckungsgleich sind, sind diese Stoffe wirklich unpolar.
Beispiel: <O=C=O> unpolar.
Das Cl2O-Molekül ist gewinkelt. Es sieht im Prinzip aus wie ein Wassermolekül. Folglich ist es polar. Wegen der geringen ΔEN zwar nur ein bisschen polar, aber trotzdem.
Nur ΔEN = 0,0 oder eine genaue Deckungsgleichheit der Ladungsschwerpunkte haben ein zu 100% unpolares Molekül zur Folge.
Hilft dir das weiter?
Wenn du dich zur räumlichen Struktur belesen willst, wären EPA (De) oder VSEPR (En) die Stichworte, die du googeln müsstest. Da erfährst du, wie du herausfinden kannst, ob ein Molekül linear, gewinkelt oder wie auch immer aussieht.
VG
Ich werde mir dazu Videos ansehen, zu den Begriffen „EPA (De) oder VSEPR (En)“👍
Guter Plan!👍
Geht um räumliche Struktur. Da ist dieses Forum nicht hilfreich. Da brauchst du Bilder.
Was ist der Unterschied zwischen den beiden „Namen“?
Nix.
ElektronenPaarAbstoßungsmodell
=
Valence Shell Electron Pair Repulsion
Zwei Fachbegriffe für dasselbe Phänomen.
Das hilft mir ein bisschen weiter 🙏
Ich verstehe aber leider noch nicht, wie ich wissen kann, ob ein Molekül „gewinkelt“ ist.
Ich hätte Cl2O so dargestellt:
Cl-O-Cl
Dann wäre ich darauf gekommen, dass die Ladungsschwerpunkte der negativen Partialladung und der positiven Partialladungen am gleichen Ort liegen -> genaue Deckungsgleichheit der Ladungsschwerpunkte -> das Molekül ist zu 100 % unpolar.
Das ist aber ja falsch.
Ich werde mir dazu Videos ansehen, zu den Begriffen „EPA (De) oder VSEPR (En)“👍 Was ist der Unterschied zwischen den beiden „Namen“?