Morgen 80. Jahrestag Attentat auf Hitler: Wie wurde in eurer Familie die Nazizeit thematisiert und aufgearbeitet?
Der morgige 80. Jahrestag ist für viele Menschen die Gelegenheit, über die Nazizeit und deren Auswirkungen auf die eigene Familie nachzudenken.
- Wurde und wird zu Hause über Selbsterlittenes, Mitläuferschaft oder sogar Täterschaft eurer Vorfahren gesprochen?
- Wie weit beschäftigen euch diese Vorgänge?
- Was macht das mit euch und eurer Familie?
- Wird kritisch über die NS-Zeit gesprochen oder wird die Zeit einfach abgehakt?
- Wie geht ihr mit euren noch lebenden Familienmitgliedern um, die das damalige Regime befürwortet haben?
17 Antworten
Ich bin der Letzte in Reihe meiner Familie, der darauf noch Bezug nimmt. Mein Vater sein Bild, das er in Tusche malte und 1944 zu einem Dreitageurlaub mitgebracht hatte, hängt neben mir an der Wand. Am 19. Februar 1945 ist er dann gefallen und somit hinterließ er eine Witwe mit drei Kindern an der Hand.
Mein Vater war wohl typisch für die Generation der Kriegsteilnehmer: Mund halten und schweigsam sein war sein Lebensmotto in dieser Hinsicht.
Typisch schreibe ich deswegen weil ich mich mit vielen Gleichaltrigen über das unterhalten habe was ihre Väter vom Krieg erzählt hatten. Überall war Schweigen.
Mein schon vor 35 Jahren verstorbener Vater war in seiner Einstellung zum NS-Regime irgendwo mittendrin. Es gab weder Zustimmung noch Kritik. So als ob es Hitler überhaupt nicht gegeben hätte. So verdrängt man unangenehme Erinnerungen. Heute würde man von Traumatisierung sprechen. Die damalige Generation nannte es Lebensschicksal.
Meine Mutter erwähne ich nur am Rande. Die ist erst vor 2 Jahren 95-jährig verstorben. Während sich mein Vater ab und zu mal versehentlich verplappert hat war die verschwiegen wie ein Grab.
Ich danke dir sehr für deine Antwort! Ähnlich kenne ich es von meinem Zuhause. Vater und Großvater waren schon vor meiner Geburt gefallen, und man sprach ausschließlich über die Erfahrungen, die einen selbst betrafen - aber immer mit dem Nachsatz: Und da waren noch so viele Sachen, die erzählen wir lieber nicht. Und dabei schauten sich die beiden Frauen immer bedeutungsvoll an. Sie erzählten mir erst, als ich so ca. 20 war. Ich kann verstehen, wenn geschwiegen wurde über das, was um die Leute herum passierte. Das steckt man vielleicht noch am besten weg, man es nicht immer wieder ans Tageslicht holt.
Eigentlich keine Aufarbeitung.
Meine Mum war im Lager der Nazis, mein Vater half NS-Desateure.
Für mich war das völlig ausreichendund machte mich auch sehr stolz auf meinen Vater.
Inzwischen leben sie nicht mehr.
Mein Vater hat auf einem Blockadebrecher gedient und überlebt. Meine Mutter war erst Schülerin, dann im Pflichtjahr und anschließend Lehrling in einer Metallfabrik (Industriekauffrau).
Das Schiff meines Vaters (Burgenland) sank nach Selbstversenkung und er verbrachte die letzten Kriegsjahre in amerikanischer Gefangenschaft. Da er seine Überlebenschancen auf einem Blockadebrecher für zu gering hielt, wollter er zur SS wechseln. Was die wirklich machten war ihm nicht klar, da er zuvor viele Jahre im Ausland verbracht hatte als Bootsmann auf einem Handelsschiff. Er hatte schon seinen Versetzungsorder als beschlossen wurde, dass niemand von der Marine/Handelsmarine mehr wegwechseln darf in andere Waffengattungen.
In der Fabrik, in der meine Mutter ausgebildet wurde, wurden auch Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge eingesetzt. Die erzählten von ihren Erfahrungen im KZ. Natürlich erzählte sie Zuhause davon. Man befahl ihr zu schweigen, damit sie nicht auch in einem KZ landet.
Meine Eltern schauten im Fernsehn alle Dokus und Filme, die sie zum Thema "Drittes Reich" fanden. Da es nur 3 Programme gab, schauten wir Kinder alles mit. Mein Vater kehrte erst 1945 nach dem Krieg nach Deutschland zurück und verstand gar nicht, wie sich sein Land derartig verändern konnte. Während des Dritten Reiches war er nur wenige male in Deutschland auf Urlaub gewesen. Am meisten erschütterte ihn der Anblick der Stadt Hamburg, das Schicksal Dresdens und der Untergang der Gustlov. Hamburg war das letzte gewesen, was er von Deutschland gesehen hatte und das erste, als er aus der Gefangenschaft zurück kam. Auf der Gustlov hatte er Freunde gehabt, die auf dem Schiff gedient hatten. Sein Bruder ist ebenfalls versenkt worden. Den Namen des Schiffes habe ich vergessen. Den Fall Dresdens und des Ruhrgebietes fand er einfach nur sinnlos.
Meine Mutter war komplett unpolitisch. Sie hatte ihre ganze Jungend hindurch gehört: "Sei still, darüber spricht man nicht!" So hielt sie es nach dem Kriege auch. Nur, wenn man sie direkt fragt erzählt sie. Vor meinem Vater war sie mit einem jungen Offizier verlobt gewesen, der kurz nach der Verlobung gefallen ist. Damit ging es ihr wie vielen ihrer Freundinnen.
Mein Vater war ein sehr politischer Mensch. Vielleicht als Konsequenz aus dem Dritten Reich. Es ärgerte ihn ungemein, dass er Vieles gar nicht bemerkt hatte und die Zeichen der Zeit nicht erkannt hatte. Den ganzen Krieg über hat er keinen Schuß abgegeben, kam aber mit Orden behangen heim. Blockadebrecherorden hießen die glaube ich. So war er schnell entnazifiziert. Er war der toleranteste Mensch den ich in meiner Jugend kannte. Mit Sicherheit war er kein Antisemit oder Nazi.
Bei meiner Mutter bin ich mir nicht so sicher. Sie war borniert und hochnäsig. Ein typisches Produkt ihrer Zeit. Blond, blauäugig, reich und deutsch war ihr wichtig. Ständig hörten wir Sprüche wie: "Das macht man nicht!" oder "Das gehört sich nicht!" oder "Ein anständiges Mädchen macht das nicht!" Sie war schon sehr deutsch und spießig. Allerdings auch eine typische Mitläuferin. Mein Vater setzte ihr Grenzen und über die Jahre zeigte sich sein positiver Einfluss bei ihr.
Befürworter des Regimes gab es weiter kaum in der Familie. Mein Vater war Vollwaise und seine Geschwister tot. Meine Mutter hatte nur einen Bruder, der keinen Kontakt zu uns hielt, weil meine Mutter keine gute Partie gemacht hatte. In meinem Leben habe ich den nie gesehen. Der Rest war entfernte Verwandtschaft, die mehrheitlich damit beschäftigt war "rum zu kommen", also zu überleben.
Mein Schwiegervater war aus anderem Holz. Doch das würde hier den Rahmen sprengen.
Vielen Dank für deine ausführliche und bewegende Geschichte!
Wie wurde in eurer Familie die Nazizeit thematisiert und aufgearbeitet?
Gar nicht. Meine Mutter schwärmte von der Zeit bei dem "Bund deutscher Mädchen", mein Opa war bei der SS, mein Vater war bei der Feuerschutzpolizei. Meine Großeltern hatten eine französischen Kriegsgefangenen als Erntehelfer. Das war uns bekannt und das war es dann auch
Vielen Dank für deine Antwort. Da können wir uns die Hand reichen. Mein Vater ist schon im Mai 1942 gefallen, fünf Monate vor meiner Geburt.