Ab wann beginnt das Menschenrecht?
Die vorgeschlagene Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf vertritt die juristische Auffassung, dass das Menschenrecht – insbesondere die Menschenwürde nach Art. 1 GG – erst ab der Geburt gilt.
CDU-Abgeordnete kritisieren das und behaupten, der Schutz beginne schon vor der Geburt.
Aber wann genau? Gilt dieser Schutz bereits ab der Empfängnis?
Und falls ja – wie lässt sich dann die geltende Abtreibungsregelung rechtfertigen, insbesondere nach § 218a, der einen Schwangerschaftsabbruch auch ohne medizinische Indikation innerhalb der Frist erlaubt?
2 Antworten
juristische Auffassung, dass das Menschenrecht – insbesondere die Menschenwürde nach Art. 1 GG – erst ab der Geburt gilt.
Das ist so nicht korrekt. Ihr geht und ging es nie allgemein darum, dem Ungeborenen jedes Recht zu nehmen, es ging immer nur um die Menschenwürde nach Art. 1 GG.
behaupten, der Schutz beginne schon vor der Geburt.
Damit ist allerdings der Schutz durch das Recht auf Leben gem. Art. 2 Abs. 2 GG gemeint. Das ist NICHT das gleiche wie die Menschenwürde, auch wenn das in der Diskussion oft verwechselt oder gleichgesetzt wird.
Gilt dieser Schutz bereits ab der Empfängnis?
Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner letzten Entscheidung festgestellt, dass man Schwangerschaften nur in dem Zeitraum schützen kann, in dem eine Schwangerschaft besteht. Und das ist unzweifelhaft nicht bereits ab der Befruchtung, sondern erst ab der Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter der Fall.
wie lässt sich dann die geltende Abtreibungsregelung rechtfertigen, insbesondere nach § 218a, der einen Schwangerschaftsabbruch auch ohne medizinische Indikation innerhalb der Frist erlaubt?
Indikationslose Schwangerschaftsabbrüche sind zwar straffrei, aber sie sind nicht "erlaubt" und ausdrücklich rechtswidrig.
Trotzdem sollten Schwangerschaftsabbrüche nicht gänzlich unmöglich sein.
Das Bundesverfassungsgericht begründet dies wie folgt:
"Ein solcher Schutz des Ungeborenen gegenüber seiner Mutter ist nur möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet und ihr damit die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, das Kind auszutragen. Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und die grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes sind zwei untrennbar verbundene Elemente des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes. (...)
Das bedeutet indes nicht, daß eine Ausnahmelage, die es von Verfassungs wegen zuläßt, die Pflicht zum Austragen des Kindes aufzuheben, nur im Falle einer ernsten Gefahr für das Leben der Frau oder einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer Gesundheit in Betracht kommt. Ausnahmelagen sind auch darüber hinaus denkbar. Das Kriterium für ihre Anerkennung ist, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, das der Unzumutbarkeit (vgl. BVerfGE 39, 1 [48 ff.]). Dieses Kriterium hat - unbeschadet des Umstandes, daß die Beteiligung der Frau an dem Schwangerschaftsabbruch strafrechtlich nicht als Unterlassungsdelikt einzuordnen ist - deshalb seine Berechtigung, weil sich das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs angesichts der einzigartigen Verbindung von Mutter und Kind nicht in einer Pflicht der Frau erschöpft, den Rechtskreis eines anderen nicht zu verletzen, sondern zugleich eine intensive, die Frau existentiell betreffende Pflicht zum Austragen und Gebären des Kindes enthält und eine darüber hinausgehende Handlungs-, Sorge- und Einstandspflicht nach der Geburt über viele Jahre nach sich zieht (vgl. insoweit auch M. von Renesse, ZRP 1991, S. 321 [322 f.]). Aus der Vorausschau auf die damit verbundenen Belastungen können in der besonderen seelischen Lage, in der sich werdende Mütter gerade in der Frühphase einer Schwangerschaft vielfach befinden, in Einzelfällen schwere, unter Umständen auch lebensbedrohende Konfliktsituationen entstehen, in denen schutzwürdige Positionen einer schwangeren Frau sich mit solcher Dringlichkeit geltend machen, daß jedenfalls die staatliche Rechtsordnung - ungeachtet etwa weitergehender moralischer oder religiös begründeter Pflichtauffassungen - nicht verlangen kann, die Frau müsse hier dem Lebensrecht des Ungeborenen unter allen Umständen den Vorrang geben."
Um noch mal den Bogen zu Frau Brosius-Gersdorf und der Menschenwürde zu spannen, das Problem ist folgendes: Es gibt nämlich die rechtsdogmatische Ansicht, dass die Menschenwürde nicht gegeneinander abwägbar ist.
Aus diesem Grund kam das Bundesverfassungsgericht 2006 zu dem Ergebnis, dass ein entführtes Flugzeug nicht abgeschossen werden darf, da sowohl die Flugzeuginsassen als auch die potentiellen Opfer Träger der Menschenwürde sind und man diese nicht gegeneinander abwägen darf.
Weiterhin kann Art. 1 GG nicht per Gesetz eingeschränkt werden, anders als Art. 2 Abs. 2 GG.
Somit muss man zu dem Ergebnis kommen, dass, vorausgesetzt, dass das Ungeborene bereits Träger der Menschenwürde ist und man diese nicht gegen die Würde der Schwangeren abwägen kann, der Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen zulässig sein würde. Niemals.
Insofern ist die bestehende Regelung des Bundesverfassungerichtes juristisch ein rechtsdogmatisches Dilemma. Der Vorschlag, dies aufzulösen, indem man dem Ungeborenen die Menschenwürde erst ab Geburt zuspricht, ist der Versuch, dieses Dilemma zu lösen.
Das bedeutet ja ausdrücklich NICHT, dass das Ungeborene rechtlos wird. Es wäre ja weiterhin durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützt.
Die vorgeschlagene Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf vertritt die juristische Auffassung, dass das Menschenrecht – insbesondere die Menschenwürde nach Art. 1 GG – erst ab der Geburt gilt.
Das ist so nicht korrekt. Frau Brosius-Gersdorf vertritt das nicht, sie widmet sich nur dem Problem, dass der momentan erlaubte Schwangerschaftsabbruch dieser Menschenwürdegarantie ab Einnistung der Eizelle widerspricht.
Aber zur eigentlichen Frage:
Es ist etwas umstritten, wann genau die Menschenwürde beginnt. Manche sagen, dass sie erst ab Einnistung der Eizelle beginnt, manche, dass sie bereits bei der Befruchtung beginnt. Letztendlich tut das aber auch wenig zur Sache, entscheidend ist, dass die Menschenwürde bereits vor der Geburt beginnt. Für das Recht auf Leben gilt dasselbe. Die restlichen Grundrechte gelten überwiegend erst ab der Geburt.
Und falls ja – wie lässt sich dann die geltende Abtreibungsregelung rechtfertigen, insbesondere nach § 218a, der einen Schwangerschaftsabbruch auch ohne medizinische Indikation innerhalb der Frist erlaubt?
Das ist eben die Frage, die Frau Brosius-Gersdorf untersucht hat.
Das kann gut sein, verfassungsrechtlich ist das aber trotzdem nicht ganz unproblematisch.
An der 12-Wochenfrist will NiemanD rütteln. Die Diskussionen darüber fragen danach, wie sie genau ausgestaltet werden soll.
Die 12-Wochenfrist ist international üblich. Sie galt (in verschiedenen Versionen) in der alten BRD wie auch in der sogenannten "DDR".