Wer glaubt ernsthaft, dass sogar in Primarschulen sog. "selbstorganisiertes" Lernen klassischen Frontalunterricht ersetzen kann?

4 Antworten

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in einer Grund - oder primarschule ist frontalunterricht sehr wichtig , da kinder in diesem alter mehr lernen , wenn es ihnen aufbereitet ( Tafel - frontal ) wird; ansonsten wären mehrere generationen nur dumme menschen

grtgrt 
Fragesteller
 09.12.2023, 21:53
Ja, so sehe ich es auch. Und die Geschichte belegt es ja:

Die Effizienz des Schweizer Schulsystems im 20. Jahrhundert basierte auf der Homogenität der Schulklassen, die einen gemeinsamen Klassenunterricht ermöglichte, bei dem praktisch alle Schüler am Ende des Schuljahres das Stoffziel erreichen konnten. Als die Schweiz 1991 erstmals am International Assessment of Educational Progress (IAEP) teilnahm, erreichte sie in Mathematik und Naturwissenschaften die höchsten Durchschnittsresultate aller 20 Teilnehmerstaaten. International besonders beachtet wurden die Resultate der schwächsten 10 Prozent der Schweizer Schüler, die weit über denjenigen aller anderen Länder lagen.

Diese Homogenität und der Klassenunterricht wurden dem Paradigmenwechsel mit der Einführung des Lehrplans 21 und der sogenannten «Integration» geopfert. Der Lehrplan 21 mit seiner umstrittenen «Kompetenzorientierung», verlangt von den Schülern «selbstorganisiertes Lernen», das eine Vorstellung von Autonomie voraussetzt, die es gemäss dem Psychologen Allan Guggenbühl bei Kindern noch gar nicht gibt.

Genauer: Beim «selbstorganisierten Lernen» wird sehr viel Zeit vertrödelt, weil die Kinder, meist sich selbst überlassen, «das Rad neu erfinden» sollen, womit gleichzeitig die schwachen Schüler von Anfang an abgehängt werden. Die sogenannte «Integration» stellt den Lehrer vor das Dilemma, entweder das Mittelfeld der Schüler zu fördern (die starken schaffen das so oder so) oder das Tempo den schwachen anzupassen. Damit sie das Stoffziel erreichen können, werden sich die meisten Lehrer oft schweren Herzens für die erste Möglichkeit entscheiden.

Quelle: https://condorcet.ch/2021/11/comenius-die-kunst-alle-alles-zu-lehren/

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grtgrt 
Fragesteller
 10.12.2023, 11:49
@grtgrt

Meiner Ansicht nach ist die frühere Wissenschaft "Schulpädagogik" mindestens im deutsch-sprachigen Raum während der letzten 3 Jahrzehnte zu einer nicht mehr ernst zu nehmenden Pseudowissenschaft verkommen.

Man erkennt das vor allem auch daran, dass bei Schulreformen stets nur über angebliche Vorteile der neuen Lösung gesprochen wird, aber nicht über mögliche Nachteile, die sich zwangsläufig im Vergleich zur herkömmlichen Lösung ergeben werden.

Unter welchem Realitätsverlust solche Pseudowissenschaft leidet, zeigt sich auch an folgendem Beispiel: Auf Seite https://matheforscher.de/ liest man:

Mit entdeckendem, forschendem und projektartigem Lernen unterstützt das Programm Mathe.Forscher Kinder, Jugendliche und ihre Lehrkräfte dabei, einen neuen und nachhaltigen Zugang zur Mathematik zu finden. Die Schülerinnen und Schüler werden zu Mathe.Forschern und eignen sich mit vielfältigen Mathe.Forscher Aktivitäten selbstständig mathematische Sachverhalte an. Im Rahmen des Unterrichts entdecken sie die Mathematik in ihrer Umgebung – außerhalb des Klassenzimmers und mit Themen, die sie bewegen. Die Mathe.Forscher Lehrerinnen und Lehrer nehmen dabei die Rolle eines Lernbegleiters ein und erhalten im Mathe.
"Die Schülerinnen und Schüler haben enorm viele Ideen und sind sehr an der Lösung ihrer Selbst formulierten Forscher-fragen interessiert. Viele wachsen über sich hinaus und kommen auf tolle Ergebnisse."
  • Heike Wieland-Hukul, Grundschule Biberach

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Meine FRAGE an erfahrene Mathematiklehrer:

Glauben Sie wirklich, dass wahr sein kann, was die Grundschullehrerin Heike Wieland-Hukul hier berichtet?

Ist es nicht vielmehr so, dass man selbst noch vor 50 Jahren froh sein konnte, wenn Schüler nach der Grundschule (dann also im Alter von etwa 10 Jahren) gut rechnen konnten? Sie es heute aber selbst mit 15 Jahren oft noch nicht können?

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grtgrt 
Fragesteller
 10.12.2023, 16:15
@defender90

Das ist zwar richtig, aber so zu denken und zu wünschen sollten wir den Pädagogikern nun wirklich nicht unterstellen.

Tatsächlich richtig ist aber: Die Mehrheit von ihnen verdient nicht mehr, als Wissenschaftler anerkannt zu werden, da sie sich angewöhnt haben, nur noch politisch zu argumentieren (ohne ehrlichen Vergleich der Effektivität alter und neuer Lehrmethodiken).

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So lange ein Kind nicht lesen kann dürfte es mit der Selbständigkeit des Lernens schwierig werden. Prinzipiell lässt sich der Frontalunterricht durch Computerprogramme ersetzen. Die nichtverbale Kommunikation (über 50 % der zwischenmenschlichen Kommunikation) geht dabei verloren. Viele der hier bei "gutefrage" eingestellte Fragen zeugen von diesem Verlust dieser Form von menschlicher Komunikation. Es wird auch bei den Erwachsenen viel zu viel über die digitalen Medien kommuniziert.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Lehrer u. Fachbetreuer für Mathematik und Physik i.R.

Ich glaube das sehr ernsthaft! Frontalunterricht ist immer kompletter Mist oder höchstens ergänzend sinnvoll. Auch individuelle Förderung im Rahmen der Gruppenarbeit ist eine pädagogische Maßnahme, sagt ja keiner, dass der Lehrer dann nicht mehr wichtig ist. Ganz im Gegenteil verlangt das individuelle Lernen viel größere pädagogische Fähigkeiten der einzelnen Lehrkraft.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Sozialarbeiter / städtischer Kita-Bereichsleiter

Schon mal gelesen, was hinter Montessoripädagogik steckt?

Dieses pädagogische Konzept geht sehr stark in die Richtung. Entwickelt wurde es von Maria Montessori Anfang des 20. Jahrhunderts - also vor über 100 Jahren. Und es gibt Kindergärten und Schulen, die seit Jahrzehnten erfolgreich mit genau diesem Konzept arbeiten.

Ebenfalls in diese Richtung geht Jenaplan. Auch ein reformädagogisches Konzept aus den 1920ern, was in Teilen inzwischen vollkommen selbstverständlich in Grundschulen angewendet wird (Wochenpläne, jahrgangsübergreifendes Lernen etc.).

Das ist also absolut kein neumodischer Schnickschnack. Es sind erprobte, genutzte Konzepte, die wir vermutlich inzwischen als völlig normal und selbstverständlich sehen würden, wenn dort nicht von 1933 bis 1945 die Nazis dazwischengefunkt und diese guten, neuen Ansätze komplett über Bord geworfen hätten, mit jahrzehntelangem Nachhall. Bei einer Lehrkraft, die 2023 darüber nörgelt, frage ich mich also ernsthaft, wie tief sie im Studium und im Referendariat eigentlich geschlafen hat...

grtgrt 
Fragesteller
 10.12.2023, 16:31

Die regelmäßig durchgeführten PISA-Studien zeigen recht deutlich, in welch erschreckendem Ausmaß die seit der Jahrtausendwende eingeführten neuen Lehrmethodiken (vor allem Inklusion und sog. "vom Kind selbst organisiertes, kompetenzorientiertes Lernen") weniger effektiv sind als klassischer Frontalunterricht.

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HappyMe1984  10.12.2023, 22:28
@grtgrt

Die PISA-Studie zeigt erst einmal nur, dass Schülerinnen und Schüler in bestimmten Bereichen im direkten Vergleich zu den Kindern in den anderen geprüften Ländern schlechter abschneiden. Die Ursachen sind nicht Teil der Unterschung der Studie!

Und wenn man sich anschaut, woher die Probleme kommen, dann ganz sicher nicht von offenen oder selbstgesteuerten Lernkonzepten oder gar davon, dass man behinderte Kinder nicht mehr möglichst weit wegschiebt in gesonderte Schulen!

Aber erzähl doch mal, du als Frontalunterrichtsverfechter - welchen (schul-)pädagogischen fachlichen Hintergrund hast du denn so, um das so zu behaupten? Wie viele Jahre hast du selbst in Schulen unterrichtet? Oder hast du eher dazu geforscht? Wenn ja, wo kann man denn so Veröffentlichungen von dir lesen, wo hast du publiziert?

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grtgrt 
Fragesteller
 11.12.2023, 00:24
@HappyMe1984

Welche Art von Lehrmethodik mir selbst am ehesten lag (und mit Abstand am meisten half), war Frontalunterricht.

Zudem ist mir — wieder im Hinblick auf eigene Erfahrungen — völlig klar, warum Volksschüler (und natürlich erst recht Grundschüler) gar nicht in der Lage sein können, ihr eigenes Lernen in nennenswertem Maße selbst zu steuern. Über dazu notwendiges Abstraktionsvermögen kann man in diesem Alter ja noch gar nicht verfügen. Eben das übersehen die Erfinder des "selbstgesteuerten" Lernens.

Mir selbst gelang selbstgesteuertes, freiwilliges und gezieltes Lernen erst gegen Ende meiner Lehrzeit, nachdem ich in der Volkshochschule einige Kurse in Mathematik und Englisch besucht hatte.

Während meines Studiums (der Mathematik und Informatik) traf ich immer wieder auf Kommilitonen, die forderten, die Lehre so umzustellen, dass man sich neuen Stoff zunächst anhand von Beispielen bekannt mache. Leider waren sie alle deutlich schlechter als jene Studenten, die - wie ich auch - zunächst mal Konzepte erklärt haben wollten (ganz so, wie sämtliche Universitätsprofessoren das ja auch tatsächlich taten und immer noch tun).

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grtgrt 
Fragesteller
 11.12.2023, 00:33
@grtgrt

Nebenbei: An Universitäten gibt es zu allen wichtigen Vorlesungen zusätzlich Übungsaufgaben, die der Student alleine zu lösen hat. Wer also denkt, selbstgesteuert besser lernen zu können, dem ist diese Chance dort ja durchaus gegeben.

PS: Diese Aufgaben entsprechen dem, was man in der Volksschule als "Hausaufgaben" kennt.

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HappyMe1984  11.12.2023, 19:01
@grtgrt

Verstehe. Deine Ansichten und Erkenntnisse beruhen also ausschließlich auf deinem eigenen Erleben. Hintergrundwissen zu kindlicher Entwicklung, Psychologie, Pädagogik und Co. hast du nicht, kritisierst aber die Menschen, die Konzepte auf genau diesem Wissen basierend entwickeln. Ist dir bewusst, dass das so ist, als würden diese Personen ohne irgendeine Ahnung von Programmiersprachen deinen Code kritisieren? Also, nicht mal das Endprodukt, nicht mal die Anwendung des Programms, sondern direkt deinen Code?

Montessori-Pädagogik existiert, wird angewendet und funktioniert! Im Gegensatz zu klassischem Frontalunterricht, bei dem wesentlich mehr Kinder auf der Strecke bleiben.

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grtgrt 
Fragesteller
 12.12.2023, 14:11
@HappyMe1984

Ich spreche über Schulpädagogik für Jugendliche zwischen 6 und 15 Jahren, nicht aber über Kindergartenpädagogik.

Montessori-Pädagogik: Freie Wahl der Arbeit der Lernenden

„Jetzt malen wir alle eine Blume.“ Solche Aufforderungen gibt es in der Montessori-Pädagogik nicht. Denn die Kinder entscheiden selbst, womit sie sich gerade beschäftigen wollen, und werden nicht von den Erziehern zu einer Aufgabe gedrängt. Das führt zu weniger Unruhe in der Gruppe, da jedes Kind seinen Interessen in seinem eigenen Tempo nachgehen kann. Montessori war überzeugt, dass nur durch die freie Wahl ein echtes Interesse an einer Arbeit geweckt werden kann.

Wie soll denn jemand lesen, schreiben und rechnen lernen, wenn er stattdessen nur machen darf, was ihn interessiert? In der Schule muss gelernt werden, was notwendig ist, mit 15 einen Ausbildungsplatz zu bekommen und dann die Ausbildung auch durchzustehen.

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grtgrt 
Fragesteller
 12.12.2023, 15:25
@grtgrt

Dass Montessoris Pädagogik sich auf Kinder im Vorschulalter bezieht, wird aus folgendem Zitat klar:

Der absorbierende Geist
Montessori ging davon aus, dass Kinder bis zum sechsten Lebensjahr ihre Umgebung und vor allem das, was die Menschen tun, wie ein Schwamm aufsaugen, also absorbieren. Das heißt: Sie hinterfragen nicht und trennen nicht Wichtiges von Unwichtigem. Der absorbierende Geist sorgt dafür, dass Kinder mühelos nebenbei lernen. Das heißt aber auch: Sieht ein Kind, dass ein Erwachsener etwas tut, was es selbst nicht tun soll (etwa das Messer ablecken), wird es diese Handlung mit großer Wahrscheinlichkeit nachmachen. Deshalb sollten sich Erzieher und Erwachsene stets so verhalten, dass sie ein gutes Vorbild für die Kinder sind.

https://www.schule-und-familie.de/familie/tipps-fuer-schule-und-erziehung/die-7-wichtigsten-grundsaetze-der-montessori-paedagogik.html

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HappyMe1984  12.12.2023, 16:44
@grtgrt

Du pickst dir aus der ganzen Seite dort diesen einen Teil raus und leitest daraus jetzt was genau ab ;)? Auf einer Seite, die explizit auch davon schreibt, dass genau jenes Konzept sehr wohl auch bis ins Schulalter reicht? Himmel, nein, sorry. An dieser Stelle bin ich echt raus. Es ist wirklich weder meine Aufgabe, noch mein Interesse, Menschen ohne jedes Vorwissen und ohne jeden Willen, etwas dazu zu lernen, Reformpädagogik näher zu bringen. Erst recht nicht kostenlos. Mach's guddi!

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grtgrt 
Fragesteller
 12.12.2023, 18:59
@grtgrt

Zudem schreiben die Montessori-Experten:

Für welche Kinder ist Montessori geeignet und für welche nicht?
Nicht jedes Kind ist in der Lage, sich Dinge selbst beizubringen und eigenständig Lernmaterialien auszuwählen. Selbstvertrauen, Eigenmotivation und Zielstrebigkeit sind wichtig, um die Vorteile der Montessori-Pädagogik voll nutzen zu können. Ist das Kind darauf angewiesen, motiviert zu werden, geht es in der Freiarbeitsphase eventuell unter.

Volksschule aber hat für alle Kinder da zu sein (so dass Montessoris Methodik dort schon aus diesem Grund fehl am Platz ist).

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