Was ist an Faust so besonders?

7 Antworten

Also: Goethes Faust ist die wohl sprachgewaltigste Dichtung im Deutschen und umreißt in seiner Tiefe die gesamte Bandbreite unserer Kultur. Wir finden die Gegenüberstellung von Himmel und Erde, Wissenschaft und Dichtung, Kunst und Technik, Romantik und Klassik, Moderne und Antike etc etc etc ... und das alles, salopp formuliert, noch in einer überaus spannenden "Story" verpackt (inkl. Sex & Crime).

Zudem zeigt im Faust die deutsche Dichtung, was sie kann: das Werk ist unsagbar formenreichen und die Sprache von blendender Schönheit. Beispiele: Faust selbst spricht überwiegend in Vierhebern, Terzen und Trimetern, Gott im fündhebigen Jambus mit Kreuzreim, Mephisto im Madrigalvers. Auch gibt es in dem Werk zahlreiche Lieder, Hymnen, Chöre, Balladen und so weiter und so weiter.

Und auch wer keinen Hang zur Poesie hat, findet doch im Faust Gedanken und Empfindungen formuliert, die man selber verspürt (oder mit dem Älterwerden noch verspüren wird), aber selbst vielleicht nicht ausdrücken kann:

Gib ungebändigt jene Triebe,

das tiefe schmerzensvolle Glück,

des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,

-Gib meine Jugend mir zurück.

.

Goethes Faust ist ein überragendes Werk der deutschen und der Weltliteratur. Und es ist dabei keine trockene Schullektüre, sondern steckt voller Leben und Leidenschaften. Dabei kann es dann auch mal recht derbe zugehen mit Passagen (in Reclam-Ausgaben meist rausgekürzt), mit denen MC Goethe jeden Freestyle Battle gewonnen hätte. Beispiel? Die schlüpfrige Empfehlung von Memphisto, also dem Teufel, an die Ziegen; eigentlich spricht er aber die Frauen im Allgemeinen an, der Frechdachs:

Für euch sind zwei Dinge von köstlichem Glanz,

das leuchtende Gold und ein glänzender Schwanz.

Drum wisst euch ihr Weiber am Gold zu ergötzen

und mehr als das Gold noch die Schwänze zu schätzen.

Enzozozo  23.10.2012, 03:30

ach nein! der herr dort spricht so gar kurios,

von gold und schwanz, von gold und schoß,

und alles freut sich, wie es scheint!

doch das verstehn wohl nur die großen?

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mychrissie  23.10.2012, 10:13
@Enzozozo

So war's zu Gretchens Zeiten,

jedoch will ich meinen,

in unsrer Zeit verstehn das auch die Kleinen.

Ein Schwanz allein vermag kein Gold zu schaffen,

das wir in Form von Euros an uns raffen.

Drum Faust, willst etwas du vom Sein verstehen,

Sollst du ins gutefrage-Forum gehen.

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Arkesilaos  24.10.2012, 05:20
@mychrissie

Ha, ha, witziger Beitrag. Ja, jemand wollte schon mal Faust III. Teil schreiben, war es Walter Ulbricht? Heute könnte man ihn wieder schreiben mit den Figuren, die Geschichte schreiben wollen, es würde von der Sache her auch eine Tragödie werden. Aber viele wollten das schon vor uns und sind vergessen. Und da müsste dein Vers auch vorkommen.

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Bajun  24.10.2012, 07:03
@Arkesilaos

Na, wenn nicht Walter die Zicke, lieber Arkesilaos, dann doch vielleicht Teddy Thälmann, der ja auch programmatisch jedem "die" Faust zeigte, was sich dann als Standardgruß des Rotfrontkämpfer-Bundes etablierte. ;-)

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Arkesilaos  24.10.2012, 08:32
@Bajun

wo habe ich das nur gelesen, dass jemand den III.Teil schreiben wollte, er ist aber wohl steckengeblieben. Wie wäre es lieber Bajun, wagst Du Dich daran? Ich würde in der Zeit für Stimulanzien sorgen: Wein, Zigarren oder Opiumpfeife.

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Wenn wir ehrlich sind, die wir den Faust I und II zu kennen glauben, bedarf es zu seiner Rezeption schon einer guten Hinführung durch Lehrer, Kommentare und Erläuterungen. Dann aber kommt ein Punkt, wo sich jeder sagen muss: "Das bin ich selbst!". Und dann auf Verse stößt, die einen das ganze Leben begleiten. Im Teil I ist der Inhalt ohne weiteres fassbar. Faustens Wege im Teil II, also in der großen Welt, verlangen dem Leser schon allerhand Vorkenntnisse aus der antiken Mythologie ab, damit er überhaupt weiß, was gemeint ist. Genial ist aber die Hinführung Goethes auf den Schluss und Faustens prophetische, mahnende Worte: "Ein Sumpf zieht am Gebirge hin, verpestet schon das längst Errungne-den faulen Pfuhl auch abzuziehn, das Letzte wär das Höchsterrungene".

Bajun  24.10.2012, 07:04

Ita est!

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Der "Faust" lotet die Tiefen der suchenden menschlichen Seele aus. Das macht er in einer kristallklaren Allgemeingültigkeit und über die Generationen und Jahrhunderte hinweg.

Auch Schiller schlug mit seiner "Glocke" einen Zirkel um das menschliche Dasein. Doch erreichte er nicht die Teifgründigeit und monumental-komplexe Wucht des "Faust".

Herr Wolfram von Eschenbach trug eine ebenbürtige Analyse mit seinem "Parzival" vor. Diese aber ist so irrsinnig geschickt getarnt wie die legendäre Gralsburg Montsalvälsch. Wer nicht berufen ist, geht im Nebel 10 Meter an ihren Mauern vorbei und sieht sie nicht. Deshalb wurde der Parzival auch nie Allgemeingut, weil er an seiner Oberfläche nur ein seichter Ritterroman ist.

Bei "Faust" ist das anders. Er wurde von Goethe auf eine nachvollziehbare Biographie heruntergebrochen, die jeder versteht, der die Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens anhand seines eigenen Werdeganges erlebt hat. Man findet sich also im Faust wieder. In dieser perfekten und aussagekräftigen Spiegelung sehe ich das Geheimnis des Erfolges dieses Super-Werkes.

Im Übrigen zeigt sich das in den vielen Versen, die Sprichwortqualität erreicht haben und den Menschen seither als Leitfaden im täglichen Leben dienen.

koch234  24.10.2012, 00:53

Du triffst mal wieder des Pudels Kern! ;-)

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Bajun  24.10.2012, 07:00
@koch234

Des Pudels Kern... War das nicht jener Herr M., für dessen Darstellung Onkel Gründgens und K-M Brandauer so hoch gelobt wurde? Na, sollte ich DEN getroffen haben, so bekomme ich später in der Hölle sicher einen Logenplatz am Lagerfeuer...;-)) So ist er ja ein netter Herr, ich mag ihn. Aber danke schön für das stilsichere und pointierte Kompliment! :-)

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Arkesilaos  24.10.2012, 05:15

Wieder ein sehr guter Beitrag, ich habe auch versucht, die Frage aus meiner Sicht zu beantworten. Viele Sichten setzen sich zu einem Mosaik zusammen, das sich ergänzen kann.

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Der "Faust" greift einen damals schon mehrere Jahrhunderte alten Stoff auf und gestaltet ihn in für die damalige Zeit aufregende Weise neu. Zum Beispiel wird am Schluss des Faust II der aufkommende Kapitalismus und einige der damit verbundenen Probleme thematisiert. Der Stoff ist quasi zeitlos.

Besonders ist der "Faust" schon deshalb, weil J.W. v. Goethe 60 Jahre bis zu seiner Vollendung an ihm geschrieben, ihn immer wieder verändert und die Erfahrungen von 60 Jahren Lebenszeit eingebracht hat.