Warum wird der Philosoph Max Scheler so wenig rezipiert?
bzw. ist kaum bekannt? (Obwohl er doch ziemlich wichtig ist, auch aus humanistischer Sicht)
3 Antworten
Da stellen sich mir typische Fragen:
Werden seine Werke wirklich "so wenig rezipiert", wie du es vermutest?
Ist das so, dann: Sind seine phänomenologischen Thesen und Erkenntnisse schlecht differenzierbar, also einfach zu detailliert, wenig passend zitierbar, weil sein Denksystem zu umfassend, alles einbeziehend und doch zugleich zu vieles ausschließend ist? Was davon ist deutlich bis eindeutig philosophisch, ontologisch, biologisch, anthropologisch, psychologisch, soziologisch, politisch, idealistisch, materialistisch, rationalistisch, ethisch?
In meinen Unterlagen (Philo-Studium 1980er Jahre) - gerade nachgeschlagen - steht im Bereich wichtiger Ethikgrundlagen "Scheler, Max: Wertethik, vgl. Walter Schulz (z.B. Philosophie in der veränderten Welt 1972): Idealistisch metaphysische Fragen zum Wesen des Menschseins seien wegen materialistisch physischen und psychischen (vgl. stetig steigender Rang der Naturwissenschaften) Antworten philosophisch irrelevant geworden, nur noch geisteswissenschaftlich historisch interessant." Wie ist das heutzutage? Na ja.
Mich erinnert so etwas stets an etwas Ähnliches, nämlich an den ehemaligen Studierenden, der einst wegen persönlicher Probleme nicht promovieren konnte und im reifen Alter wie aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus - weil für ihn beruflich längst unnötig geworden - endlich seine eigene Dissertationsschrift zu seinem wissenschaftlichen Thema schreiben kann. Leider naht ihm aber ein einziges, größeres Problem: sein geliebtes Thema ist an (fast) keiner Uni mehr von Interesse; die wissenschaftlich aktuelle und die fortschrittliche Bedeutung fehlen. Wie findet er den Professor, der sich ihm erbarmt?
Verstehe dein Anliegen, aber einerseits bin ich nicht überzeugt, dass Schelers Gedanken "so wenig rezipiert" werden , wie du vermutest, andrerseits hat einer meiner Profs eben damals schon gesagt, dass u.a. metaphysische Fragen immer mehr in den Hintergrund des naturwissenschaftlichen Denkens treten. (DAS ist mir heute schon zu wenig: Durch die modernen vermassenden Medien werden neue Werte geschaffen, die für richtig oder gar für Wahrheiten gehalten werden - sollen. Kleine Beispiele sind der ständige Missbrauch des Begriffs Mythos als Synonym für Frei-Erfundenes, Erlogenes (vgl. Logik), anstatt zu erklären, dass ein Mythos (anders als z.B. die Legende oder Sage) eine narrative Metapher für wahre emotionale Vorgänge, eben nicht für rational-logische ist. Großes Beispiel ist, dass noch immer der Religionsglaube mit rationalen Parametern beurteilt wird, statt endlich zu akzeptieren, dass der Glaube auf objektivierten subjektiv-emotionalen Vorgängen basiert (z. B. Urangstminderung, Liebe, Trost der Trauer usw.)).
Mein Prof (1980er) zu den Themen Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ethik war Prof. Dr. phil. Drs. h.c. Franz von Kutschera (Grundlagen der Ethik 1982) an der UNI Regensburg. Von ihm stammt die Aussage in meiner obigen Antwort. Vermutlich zeigt sie seine Enttäuschung, die ähnlich deiner zu sein scheint. Er lebt noch, vermutlich noch immer in Regensburg, ist über neunzig Jahre alt, vielleicht noch nicht dementierend. Vielleicht könnte man ihn finden und ihn sogar zu deinem Thema genauer befragen.
Du könntest auch andere Profs, heutige, bzw. Lehrstühle per E-Mail anschreiben; vielleicht antwortet dir sogar jemand dich zufriedenstellend.
Weil er offensichtlich ein Schwurbler war, dessen Werk keine größere praktische und politische Relevanz hatte und der, anders als z. B. Kant, Marx, Nietzsche, Popper, Sartre auch der Philosophie keine bahnbrechenden neuen Impulse gab.
Wikipedia:
Scheler entwickelte seine Wertethik in Verbindung mit phänomenologischen Überzeugungen seiner Zeit. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatten einige Philosophen begonnen – mit Edmund Husserl als Ideengeber – sich wieder mit dem ‚Objektiven‘ und ‚Wesen‘ zu beschäftigen. Darin unterschieden sie sich deutlich von positivistischen, skeptischen und wissenschaftsorientierten Philosophen des 19. Jahrhunderts – wie z. B. Ludwig Feuerbach, Karl Marx und Ernst Mach. Diese hielten ‚Objektivität‘ und ‚Wesen‘ – in der Metaphysik als ‚Substanz‘ und ‚Sein’ thematisiert – für philosophische Fragen, die nicht, oder nur anders als üblich, zu beantworten seien. Husserl und andere Phänomenologen gingen davon aus, dass es möglich und nötig sei, überzeugende Antworten im Rahmen philosophischer Traditionen zu geben.
Ihre Idee ist‚ die „Sache selbst“ in ihrem „Wesensgehalt aufscheinen“ zu lassen und zwar durch „einfühlendes Schauen und Aufdecken“. Diese Möglichkeit wird von anderen Philosophen verneint.[13] Der phänomenologische Grundgedanke der „Wesensanschauung“, der unter dem Schlagwort „Zurück zu den Sachen“ bekannt wurde, zieht sich durch Schelers materiale Wertethik.[14]
Ich verstehe nur Bahnhof und hätte nur wenig Lust mich näher damit zu beschäftigen.
Den Wikipedia-Eintrag verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht ganz. Scheler zeigt z.B. die Bedeutung von Emotion für die Erkenntnis von Werten auf. Er hat auf viele Denker des 20. Jahrhunderts gewirkt: Frankl, Foucault, Gadamer ...
Fun-Fact: Scheler würde deine Bezeichnung "Schwurbler" als Ressentiment erklären können (Projektion eigener Unzulänglichkeit auf andere)
Die akademische Philosophie beschäftigt sich auch weiterhin mit dem Philosophen Max Scheler:
Aha. Das ahnte ich auch, allerdings versteht der Fragesteller vielleicht weit mehr unter der ihm zu geringen "Rezeption" Schelers Denksystem.
Es geht ja nicht darum, Scheler in den Himmel zu heben, es geht darum, seine Bedeutung für die philosophische Entwicklung des 20. Jahrhunderts herauszustellen. Dazu gehört ja auch die Überwindung naiver materialistischer Annahmen.