Warum sagt Jesus schlechtes über die Pharisäer?

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Im Walvoord-Bibelkommentar findet sich dazu z. B.:

"Die Heuchelei und der Unglaube der religiösen Führer des Volkes, der in Kapitel 22 zutage trat, veranlasste Jesus zu einer strengen Mahnung. Er wandte sich an das Volk und an seine Jünger, die im Tempel waren und seinen Debatten mit den Gelehrten zugehört hatten, und warnte sie vor der Lehre ihrer Führer. Ihre geistliche Autorität war zwar nach wie vor anzuerkennen (sie sitzen auf dem Stuhl des Mose, d. h. sie lehren das Gesetz), doch das heuchlerische Gebaren, das sie aus ihrem theologischen Wissen ableiteten, konnte keinesfalls als Vorbild dienen. Sie legten den Menschen schwere Bürden auf und waren dabei selbst nicht gerecht (Mt 23,4).

Alle ihre Werke taten sie, um von den Leuten gesehen zu werden. Ihre Gebetsriemen, Lederbänder mit kleinen Lederbeutelchen, die Pergamentstreifen mit Versen aus dem Alten Testament enthielten und die sie um den linken Arm und vor der Stirn trugen (2Mo 13,9.16; 5Mo 6,8; 5Mo 11,18), waren breit und auffallend. Die Quasten an ihren Kleidern (4Mo 15,38) waren ebenfalls groß und gut sichtbar. Sie liebten Ehrenplätze bei Tisch und ließen sich gern von den Leuten Rabbi nennen, als ob sie Gelehrte wären. So sollten sich die Nachfolger Jesu gerade nicht verhalten. Sie sollten nicht nach Titeln (wie Rabbi, Vater, Lehrer) und gesellschaftlicher Stellung streben, sondern untereinander wie Brüder sein (Mt 23,8).

Jesus sagte nicht, dass es keine Autorität unter den Jüngern geben sollte. Doch er betonte, daß der Dienst für ihn - den einen Meister (didaskalos, wörtlich: "Lehrer") und einen Lehrer (kathEgEtEs, ein bevollmächtigter Führer"; das Wort steht nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament) - wichtiger war als irdische Ehrentitel. Die Jünger sollten nie von sich aus oder als Selbstzweck nach Führungspositionen streben, sondern sie stets als Möglichkeit sehen, anderen zu dienen. Die Pharisäer, die sich selbst erhöhten, würden erniedrigt werden; die Menschen, die Jesus folgten und sich selbst erniedrigten, indem sie dienten, sollten eines Tages erhöht werden.

Jesus warnte auch die Schriftgelehrten und Pharisäer, dass sie am Ende der Zeit unweigerlich verloren seien, wenn sie auf ihrem jetzigen Weg weitergingen. Im Rahmen dieser Warnung sprach er sieben Urteilssprüche aus, die alle mit der Wendung "Weh euch" beginnen. Im Gegensatz zu den Seligpreisungen brandmarken diese Weherufe die falsche Religiosität als einen Abscheu für Gott und als Grund für schwerste Bestrafung" . In sechs der sieben Weherufe nannte Jesus die Führer "Heuchler".

Die erste Verurteilung betrifft die Tatsache, dass die Pharisäer andere daran hinderten, in das Himmelreich zu gelangen. Ihre Feindseligkeit gegenüber Jesus hatte viele fromme Juden, die sich an ihrer geistlichen Obrigkeit orientierten, dazu gebracht, sich von ihm abzuwenden. Ihre Weigerung, Jesus als den Messias zu akzeptieren, war für viele ihrer Landsleute zum Stein des Anstoßes und damit zum Verhängnis geworden. Dadurch hatten sie sich schuldig gemacht.

Das folgende "Wehe" richtet sich gegen den fanatischen Eifer der religiösen Führer, die Land und Meer durchzogen, um auch nur einen einzigen "Judengenossen" (prosElyton, "Proselyten") zu gewinnen, d. h. einen Menschen zum Judentum zu bekehren. Das Problem dabei war, dass sie damit viele Menschen zur ewigen Verdammnis verurteilten, denn indem sie ihren Konvertiten die äußerlichen Einschränkungen der rabbinischen Tradition aufzwangen, hinderten sie sie daran, die eigentliche Wahrheit zu erkennen. Ein solcher Bekehrter wurde ein doppelt so schlimmes Kind der Hölle, wie sie es waren, d. h., er wurde pharisäischer als die Pharisäer selbst! "Ein Kind der Hölle" (wörtlich: "der Gehenna"; vgl. V.33), war jemand, der der ewigen Strafe anheimfallen sollte.

Im dritten "Weheruf" geht Jesus auf den betrügerischen Charakter der Pharisäer und Schriftgelehrten ein. (In den beiden ersten Weherufen sprach er von ihrem negativen Einfluß auf andere; in den letzten fünf stehen sie selbst und ihre Werke im Vordergrund.) Wenn sie beispielsweise Gelübde ablegten, bauten sie raffinierte Vorbehalte mit ein, so dass sie ihre Schwüre nach Belieben für ungültig erklären konnten. Bei dem Tempel oder bei dem Altar zu schwören, bedeutete nichts für sie. Sie schienen so nach außen hin ein bindendes Gelübde abzulegen, hatten jedoch innerlich gar nicht die Absicht, es zu halten. Ein Schwur bei dem Gold des Tempels oder bei dem Opfer auf dem Altar dagegen galt bei ihnen als bindend. Jesus sagte jedoch, dass sie Unrecht taten, wenn sie die Menschen glauben machten, daß das Gold mehr sei als der Tempel und ein Opfer mehr als der Altar. Jeder Schwur, der am Tempel oder den Dingen darin festgemacht war, war bindend, denn hinter dem Tempel stand der, der darin wohnt. Dasselbe galt für einen Eid bei dem Thron Gottes, weil er bei dem, der darauf sitzt, geleistet wurde. Jesus verurteilte deshalb all die spitzfindigen Unterscheidungen der religiösen Führer als unredlich und irreführend. Er nannte die Pharisäer und Schriftgelehrten "verblendete Führer" (V.16), "Narren und Blinde" (V.17) und "Blinde" (V.19; vgl. V.24.26).

Der vierte Weheruf bezog sich auf die Praxis der Pharisäer, von allem, was sie hatten, ganz genau den Zehnten zu geben. Sie entrichteten diese Abgaben sogar von solchen Kleinigkeiten wie Gewürzen: von Minze, Dill und Kümmel. Während sie das Gesetz also in dieser Hinsicht übergenau befolgten (3Mo 27,30), fand sich bei ihnen weder das Recht noch die Barmherzigkeit und der Glaube, die vom Gesetz doch mindestens ebenso gefordert wurden. Sie machten viel Wirbel um Nichtigkeiten, sie siebten Mücken aus, doch sie übersahen das Wichtige, sie verschluckten Kamele. Sie waren so mit Details beschäftigt, daß sie nie dazu kamen, sich mit dem Wesentlichen auseinanderzusetzen. Jesus sagte nicht, dass die Abgaben überhaupt unwichtig seien; er machte nur deutlich, dass die Pharisäer das eine auf Kosten des anderen völlig vernachlässigten. Das Gesetz verlangte jedoch beides, und da sie das nicht erfüllten, waren sie verblendete Führer.

Der fünfte Weheruf wandte sich erneut gegen die Heuchelei der Pharisäer. Sie achteten ängstlich auf die äußerliche Reinheit, z. B. auf die Reinigung der Becher und Schüsseln, aus denen sie aßen, doch in ihren Herzen waren Raub und Gier. Ihre Reinigungsrituale zielten hauptsächlich darauf ab, von den Menschen gesehen zu werden, das hielt sie jedoch in ihrem Privatleben nicht von Raub und Exzessen ab. Wenn sie dagegen statt dessen ihr Inneres reinigten, so würde auch das Äußere rein.

Im sechsten Weheruf greift Jesus den Gedanken der äußeren Reinigung wieder auf. War zuvor hauptsächlich von den Werken der Pharisäer die Rede, so konzentrierte er sich nun auf ihr Erscheinungsbild nach außen. Er bezeichnete die Schriftgelehrten und Pharisäer als übertünchte Gräber. Damals war es üblich, Gräber außen weiß zu tünchen, damit sie hübsch aussahen, doch in ihrem Innern lagen Totengebeine und lauter Unrat. Ähnlich adrett und ordentlich nach außen wirkten auch die Pharisäer durch ihre religiöse Pflichttreue, während sie zugleich innen korrupt und faul, voller Heuchelei und Unrecht (anomias, "Gesetzlosigkeit") waren.

Auch der letzte Weheruf befasst sich mit der Heuchelei der religiösen Führer. Sie verbrachten viel Zeit damit, Grabmäler zu bauen und die Gräber der Gerechten zu schmücken. Sie waren auch rasch mit der Behauptung bei der Hand, dass sie, hätten sie zu Zeiten der Väter gelebt, nicht am Blut der Propheten schuldig geworden wären. Dabei wusste Jesus, dass sie bereits seinen Tod planten, womit sie bewiesen, dass sie genau wie die früheren Generationen waren, die die Propheten getötet hatten. Indem sie Jesus, "den Propheten", verwarfen, traten sie in die Fußstapfen ihrer Vorväter und machten das Maß der Sünden ihrer Väter voll."

wagmaw 
Fragesteller
 11.05.2023, 18:07

Danke für die ganze Mühe!

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chrisbyrd  11.05.2023, 19:24
@wagmaw

Vielen Dank für den "Stern", ganz liebe Grüße und Gottes Segen!

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Ja. Man übersieht hier schnell das Jesus nur zu dieser Gruppe sprach und kaum alle Pharisäer im Lande gemeint haben kann.

Nikodemus z. B. war auch ein Pharisäer und glaubte an Jesus.

Ich denke Jesus meinte hier speziell die Menschen, die wussten das Jesus von Gott kam, ihn aber auch deswegen los werden wollten.

Doch im allgemeinen hatten sie die Lehren der Schriften ganz gut unters Volk bringen können. Auch wenn es mehrere Strömungen im Judentum gab. Der Glaube an das Paradies im Himmel und dem Totenreich war damals schon im Umlauf, dies aufgrund der alten Schriften.

Dieses Wissen wurde von den Pharisäern eigentlich gut weitergegeben.

Ich denke daher das Jesus nicht alle Leute dieser Gruppen gemeint haben kann.

So verhasst wurden sie auch gar nicht. Ihre Lehren haben bis heute das Judentum beeinflusst.

LG -B.

Jesus sagte einfach die Wahrheit über die Pharisäer.

Die Pharisäer entstanden in der ca. 400-jährigen Phase nach der Rückkehr aus Babylon bis Jesus kam. Man fragte sich, wie es passieren konnte, dass Gott die Gefangenschaft in Babylon zuließ und kam zu dem Ergebnis, dass Gottes Gesetz nicht eingehalten wurde, was der Grund für die Deportation gewesen war.

Also wollte man dafür sorgen, dass die Gesetze genau eingehalten wurden, indem man zusätzliche Gesetze machte, die eine Art "Schutzwall" um Gottes Gesetze bilden sollten. Übertrat man diese Gesetze, so übertrat man aber damit noch nicht Gottes Gesetze - das war der Gedanke dahinter. Jede Generation nahm dann die zusätzlichen Gebote der vorigen Generation und baute abermals einen "Schutzwall" von wiederum weiteren neuen Geboten. Das ging mehr oder weniger 400 Jahre lang so weiter bis zur Zeit Jesu die Pharisäer in der beschriebenen Form da waren.

Die Pharisäer hatten dann unzählige zusätzliche Gebote zu den Geboten Gottes. Ein Bespiel: Zu dem Gebot Gottes, man solle den Sabbat heiligen und am Sabbat nicht arbeiten, gab es nun mehr als 1500 zusätzliche Gebote. Beispiele dazu: Man darf am Sabbat nicht über eine Wiese gehen, man darf nicht mehr als 1000 Schritte gehen, man darf keine Ähren ausraufen etc.

Das Problem war, dass die Pharisäer über all ihren Geboten Gottes Gebote aus dem Fokus verloren. Teilweise übertraten sie Gottes Gebote, um die zusätzlichen (menschlichen) Gebote zu halten. Sie achteten darauf, dass äußerlich alles gut und fromm aussah. Das ist es, was Jesus benannte und warum er drastisch mit ihnen sprach (Heuchler etc).

Er wirft ihnen vor, dass sie andere ebenfalls zu Pharisäern machen und dadurch eben diese und auch andere Menschen in die ewige Verdammnis führen, denn Gott sieht ins Herz und Gott möchte, dass seine Gebote gehalten werden und nicht nur die der Menschen.

Jesus liebt alle Menschen und möchte nicht, dass Menschen verloren gehen. Daher ist er gerade auf die sauer, die nicht mal nur selber in die Verdammnis gehen, sondern auch noch andere dahin mitnehmen durch falsche Lehren.

"Ihr zieht über Land und Meer, um einen einzigen Menschen für euren Glauben zu gewinnen (...)"

Es ging den Pharisäern nur um ihre eigenen Vorstellungen. Sie versuchten starre Regeln und Traditionen aufzuerlegen. Es entstand der Eindruck, dass sie in allen anderen Bereichen des Lebens weiter sündigen konnten. Aus dem neu gewonnenen Jünger wurde nur ein weiterer Pharisäer, der die Schriften in- und auswendig kannte, aber sein Leben nicht danach ausrichtete.

Woher ich das weiß:Hobby – In der Bibel steht alles geschrieben 📖

PharisäerBedeutende Sekte des Judentums im 1. Jh. u. Z. Sie waren nicht priesterlicher Abstammung, hielten sich bis ins kleinste Detail an das Gesetz und stellten die mündlich überlieferten Traditionen auf dieselbe Stufe wie das Gesetz (Mat 23:23). Sie widersetzten sich jedem kulturellen Einfluss durch die Griechen und hatten als Kenner des Gesetzes und der Traditionen große Macht über das Volk (Mat 23:2-6). Eine Anzahl von ihnen gehörte zum Sanhedrin. Oft bekämpften sie Jesus, wenn es um das Halten des Sabbats ging, um Traditionen oder den Umgang mit Sündern und Steuereinnehmern. Einige Pharisäer wurden Christen, darunter Saulus von Tarsus (Mat 9:11; 12:14; Mar 7:5; Luk 6:2; Apg 26:5).