Ist es für gehörlose schwerer das Schreiben und Lesen zu erlernen?

4 Antworten

Natürlich ist es für sie schwerer, weil die Bildung von abstrakten Begriffen aus umfangreichen Kontexten heraus erst beginnen kann, wenn über Zeichen gelernt wird, während die Stimme der Mutter dem Kind schon vorgeburtlich nicht unvertraut ist und mit der Geburt eine ständigen Begegnung mit sinntragenden Lauten stattfindet. (Eine Sprach-KI braucht eine Textmenge von rund 200 Millionen Büchern, bevor sie eine Art Textverständnis simulieren kann.)

Richtig kompliziert wird es aber bei taub-blinden Menschen wie z.B. Helen Keller, wo erst über das Fühlen (taktile Berührung) eine Gemeinsamkeit von sinnlicher Erfahrung von Außenwelt und sprachlich-begrifflichem Denken hergestellt werden kann.


Inkognito-Nutzer   27.06.2025, 20:57

Das von Taubstummen kenne ich schon. Echt beeindruckend wie die das schaffen

buggless  29.06.2025, 18:06
@Inkognito-Beitragsersteller

Schreib nicht Taubstumm. Das hassen die wie die Pest und zeigt Inkompetenz. Völliger Blödsinn, aber man muss es ja nicht unnötig beleidigen, wo empfindlichkeiten sind.. Und ja, das sind normale Menschen, wie wir. Die können alles genauso wie wir. Haben aber eine andere Sprache. Um ganz ehrlich zu sein, ich habe da keinen Unterschied bemerkt.

Fontanefan  29.06.2025, 18:35
@buggless

Das ist ein weites Feld. Es gibt Gehörlose (Fachausdruck, aber umständlicher zu schreiben), die durchaus nicht stumm sind, sondern eine Lautsprache sprechen können. (Erfordert sehr viel Übung) Insofern sagt taubstumm etwas anderes aus als gehörlos, andererseits können viele Gehörlose keine Gebärdensprache, weil sie von Kindheit an ein Cochlea-Implantat tragen.

Übrigens: Helen Keller hat viele Vorträge gehalten, aber für Nicht-Gehörlose war sie schwer zu verstehen.

Dazu eine KI: " Angeregt durch die Geschichte einer taubblinden Norwegerin, Ragnhild Kaata, versuchte Helen Keller ab 1890 auch zu sprechen. Sie lernte, indem sie die Vibrationen des Kehlkopfes und die Lippenbewegungen ihres Gegenübers mit den Fingern ertastete. So konnte sie lernen, Wörter zu unterscheiden und selbst Laute zu produzieren.

Herausforderungen beim Sprechen: Obwohl Helen Keller sprechen lernte und über 470 Reden und Vorträge hielt, war ihre Aussprache oft mangelhaft und gebrochen, da sie sich selbst nicht hören konnte. Ihre Lehrerin Anne Sullivan (später auch andere Assistenten) übersetzte oft für das Publikum. Helen war sich dieser Schwierigkeit bewusst und beklagte ihr Los, nicht "normal" sprechen zu können. Dennoch war ihre Fähigkeit zu sprechen für sie von unermesslichem Wert, da sie sie mit der Welt und den Menschen verband."

Fontanefan  29.06.2025, 18:46
@Fontanefan

Das ist alles natürlich sehr verkürzt und ungenau und insofern falsch. Gehörlose verständigen sich untereinander meist mit Gebärdensprache, die mit Cochlea-Implantat lernen sie aber oft nicht so gut, weil sie nicht ständig darauf angewiesen sind.

Ich war einmal in Göttingen, als dort ein Gehörlosentreffen war. Beim Frühstück im Hotel war es völlig leise, aber gefühlt jeder gebärdete. Ich verständigte mich mit Gebärden (nicht mit DGS), bis zum Ende des Frühstücks. Am Ende sagte ich auch einen Gruß, woraufhin mein Gegenüber mit Lautsprache antwortete. Da wir beide keine Gebärdensprache konnten, hatten wir beide das Gegenüber für gehörlos gehalten.

buggless  29.06.2025, 20:13
@buggless

Wer Ferdinand de Saussure kennt, kann sagen, das zwischen Bezeichnung und bezeichnetem kein Zusammenhang besteht. L'arbitraire du signe, arbitrariness of the sign, Willkür in der Wahl des Zeichens. Sprache hat aber auch eine soziale Funktion. Zu Taubblind kann ich nichts represantatives sagen, ich kenne nur eine Gehörlose und einen hörende TaubblindenGuide. Was ich allerdings sagen kann, ist dass Gehörlose in Taubstummenanstalten gequält wurden oder aus Taubstummenanstalten ins KZ geschickt wurden. Ich habe viel Verständnis dafür, dass dieser Begriff doch eher unerwünscht ist.

Fontanefan  29.06.2025, 22:41
@buggless

Ja, da gibt es vieles, wovon man als Nichtbetroffener kaum etwas ahnt. Je weiter wir uns von der Erfahrungswelt der Jahre 1933-45 entfernen, umso schwerer wird es.

Wissenschaftlich hat Saussure Recht. Aber wenn ich zwischen der Erfahrung "Apfel" und dem Zeichen für Apfel als Taubblinder keine Verbindung herstellen kann, steht es mit dem Sprachenlernen schlecht.

buggless  29.06.2025, 23:39
@Fontanefan

Danke für die Antwort, du scheinst mehr Ahnung zu haben, als ich dachte. Vielleicht sogar mehr als andere oder meine Wenigkeit.

Inkognito-Nutzer   02.07.2025, 11:24
@buggless

Entschuldigung ich wusste nicht, dass das eine Beleidigung ist

Du weist aber schon, das wir eine eigene Sprache haben. in dieser Sprache können wir genauso lernen wie Hörende.

Schwierig ist es eher, die Sachen zu lernen die man von den Eltern lernt, wenn die die Sprache nicht sprechen.


Inkognito-Nutzer   02.07.2025, 11:15

Ja, das ist mir natürlich bewusst deswegen frage ich ob es für euch schwerer ist da ich mir es nicht so vorstellen kann

Ich bin auf dem Gebiet zwar nur Laie, aber AFAIK spielen für Gehörlose auch die Lippenbewegungen eine wichtige Rolle. Ist Dir noch nie aufgefallen, dass man bei deren Sprache nicht nur gesikuliert, sondern auch überdeutlich und ostentativ den Mund formt?


Inkognito-Nutzer   27.06.2025, 20:57

Doch ist mir schon aufgefallen aber weiß nicht in welcher Form das mit dem Lesen zusammen hängt

hamberlona  27.06.2025, 22:00
@Inkognito-Beitragsersteller

Das o macht man mit dem Mund nach. Das g hat etwas komisches unten drunter weil man es unten im Hals formt. Das z ist scharfkantig. Das b hat einen Bauch der gleich platzt, so wie man ja auch den Mund zum Platzen bringt. usw.

Da gibt es ganz viele Probleme.

Aber ein Problem gibt es nicht. Das ist eine Sprache wie jede andere. Glaub mir, das geht richtig gut. Eine wundervolle Sprache. Vielleicht sogar noch schöner als die gesprochene Sprache. Da fehlt es an nichts.

Leider ist es aber so, dass späte Erkennung, Eltern und fehlende Gessprächspartner und ganz besonder Sprach Deprivation Schäden hinterlassen. Das Verbot der Vergangenheit zu Gebärden und die geringe Zahl der heutigen muttersprachlichen Ausbilder sind eine Katastrophe.

Keine Sorge, du kannst auch Chinesisch lernen ohne es zu sprechen. Früher war das sogar üblich. Funktioniert prima. Geht auch mit Hieroglyphen. Alles kein Problem nur Code Switching in eine Fremdsprache.

Nur wenn das Bildungssystem dir keine Chancen lässt fangen die wirklichen und ernsthaften Probleme für viele Leute an. Und die bekommst du wenn du älter wirst nicht mehr weg. Aber das ist immer so und hat mit Gehörlosigkeit nichts zu tun.