Interpretation zu "Abend" - Joseph von Eichendorff?
Hallo, ich soll eine Analyse zu folgendem Gedicht schreiben, ich bräuchte Hilfe bezüglich der Interpretation des Themas :), danke!!
Abend
Gestürzt sind die goldnen Brücken
Und unten und oben so still!
Es will mir nichts mehr glücken,
Ich weiss nicht mehr, was ich will.
Von üppig blühenden Schmerzen
Rauscht eine Wildnis im Grund,
Da spielt wie in wahnsinnigen Scherzen
Das Herz an dem schwindligen Schlund. –
Die Felsen möchte ich packen
Vor Zorn und Wehe und Lust,
Und unter den brechenden Zacken
Begraben die wilde Brust.
Da kommt der Frühling gegangen,
Wie ein Spielmann aus alter Zeit,
Und singt von uraltem Verlangen
So treu durch die Einsamkeit.
Und über mir Lerchenlieder
Und unter mir Blumen bunt,
So werf ich im Grase mich nieder
Und weine aus Herzensgrund.
Da fühl ich ein tiefes Entzücken,
Nun weiss ich wohl, was ich will,
Es bauen sich andere Brücken,
Das Herz wird auf einmal still.
Der Abend streut rosige Flocken,
Verhüllet die Erde nun ganz,
Und durch des Schlummernden Locken
Ziehn Sterne den heiligen Kranz.
- Joseph von Eichendorff 1788-1857
1 Antwort
Für mich sieht es ganz so aus, als ginge es in diesem Gedicht um den Leidensweg des lyrischen Ichs vom Verlust zum Neuanfang hin.
Die Figur im Gedicht hatte in meinen Augen eine Beziehung, die aber gescheitert ist ("Gestürzt sind die goldenen Brücken"), und jetzt geht es ihr sehr schlecht deswegen, ihr will "nichts mehr glücken", sie leidet und denkt sogar an Selbstmord ("Und unter den brechenden Zacken / begraben die wilde Brust").
Zeit vergeht, der Frühling kommt und "singt von uraltem Verlangen". Vielleicht erinnert sich das lyrische Ich an alte Beziehungen, die auch gescheitert sind, und wie es danach weitergegangen ist. Sprachlich auffällig ist hier ein Bezug zum Anfang des Gedichtes: "Und über mir Lerchenlieder / Und unter mir Blumen bunt" - Das heißt, die Natur geht mit dem Wandel der Figur im Text, denn wo jetzt alles bunt und fröhlich ist, war es am Anfang "[..] unten und oben so still", ein Zeichen für das Leid und die innere Leere der Figur.
Das lyrische Ich sieht nun: "Es bauen sich andere Brücken", also neue Beziehungen. Mit dieser Erkenntnis wird "Das Herz [..] auf einmal still" und das Leid hört auf.
Das ist des Romantikers Mittel, mit der Realität fertig zu werden.
Man man muss sich dabei klarmachen, dass es die rauschenden Wälder mit ihren klaren Quellen, die lustigen singenden Wandergesellen, die nächtliche Stille und weitere Versatzstücke der Romantik oft gar nicht mehr gab, sondern mit der Beschwörung dieser Dinge nur die beginnende Zerstörung der Umwelt, die Unterdrückung der Arbeiter und die sich ankündigende Industrialisierung der Natur verdrängt werden sollte, die bereits zur Hochzeit der Romantik 1812 (Göttinger Hain) stattfand oder zumindest unmittelbar absehbar war.