Ab welchem Alter erlernen Kinder ein Verständnis vom Leben?

8 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich glaube, die Tatsache des Todes versteht man erst so richtig, wenn ein wichtiger Mensch (oder seltener Tier, Haustier) im Umfeld gestorben ist. Vorher ist einem das mMn nicht so richtig bewusst. Es muss mMn auch ein wirklich nahestehender Mensch sein, um den man trauert. Ein entfernter Verwandter, mit dem man nur lose verbunden war, reicht oft für den Effekt nicht.

Ich denke mal, ein Grundverständnis für Leben ist schon in der ersten Grundschulklasse (6 Jahre) meist vorhanden, obwohl oder gerade weil man da ja noch oft spielt, dass Spielzeuge oder Gegenstände lebendig wären. Man weiß aber, dass der echte Hund lebt und der Stoffhund nicht.

Ich würde nicht ausschließen, dass einige Erwachsene auch erst wirklich begreifen, was die Endlichkeit des Lebens bedeutet, wenn sehr nahestehende Menschen (Eltern, Geschwister, Freund) im Umfeld sterben. Man denkt mMn als junger Mensch, wenn die sehr alte Oma etc. stirbt, also jemand über 80, "ach, na ja, der war ja schon alt, das war zu erwarten".

Wenn aber die Eltern sterben, wenn man Anfang 20 ist oder unerwartet ein Freund oder Geschwisterkind, dann begreift man die Sache ganz anders, dann wird einem viel eher klar "ich werde auch nicht ewig leben", während man das bei der Oma eher ausblendet, weil für einen selbst ein Alter von 80 oder so extrem weit weg ist und man glaubt, man wäre dann wohl auch bereit für den Tod. Also man hätte sich zu dem Zeitpunkt damit abgefunden.

Das ist aber gar nicht für alle Menschen solchen Alters der Fall.

Meine Oma ist mit über 80 nach langem, schweren Krankenhausaufenthalt gestorben. Am Ende war allen klar, dass sie sterben würde, und man hoffte, dass das schnell passieren würde, weil sie sich nur noch quälte (offener Bruch, Wasser in der Lunge, nur noch Schmerzen, aber bis zum Ende geistig da). Ich habe zwar bedauert, dass sie nicht mehr da, aber nicht wirklich getrauert, weil ich die Wochen vorher mich schon damit befassen konnte, dass es wirklich keine Hoffnung mehr gibt. Ein paar Jahre später starb unerwartet mein Bruder nach dreiwöchigem Krankenhausaufenthalt (im Alter von 30). Mir war das bis zum letzten Tag nicht wirklich klar, dann wurde ein Arztgespräch angebraumt und es gab diverse Anzeichen (Verlust von Kontrolle der Gliedmaßen aufgrund mangelnder Sauerstoffversorgung usw.) Und ich stand da und dachte nur, "das kann doch jetzt nicht sein, der kann doch nicht mit 30 sterben, das ist viel zu früh!" Und da fing ich dann richtig an zu heulen, weil einfach hier etwas passierte, das überhaupt nicht im Rahmen meiner Erwartungen gelegen hatte. Also mit allem Möglichen hätte ich gerechnet, z.B. damit, dass er nur noch mit Sauerstoffflasche rausgehen hätte können, aber halt nicht mit dem Tod in dem Alter.

Danach wurde mir erst so richtig die eigene Sterblichkeit bewusst. Vorher hatte ich immer dieses Gefühl gehabt, dass ich und diverse Familienmitglieder "natürlich" noch Jahrzehnte leben würden, hinterher habe ich oft überlegt, okay, aber jeder könnte jederzeit auch einen Unfall haben oder eine schwere Krankheit bekommen und auch mit 40, 50,60 sterben oder sogar früher, mit 20 oder 30 halt. Diesen Gedanken hatte ich vor diesem Ereignis noch nie gehabt. Auch, dass man sich fragt, wie viele Jahre man noch mit bestimmten Personen hat, ob denen vorher etwas passieren könnte.

Das kommt auf die Eltern an. Wenn die Eltern ihre Kinder ständig anlügen und die Wahrheit verschweigen, dann kann das sehr lange dauern.

Aber normale Eltern lügen die Kinder nicht an. Da ist es sobald die Eltern es erklären.

Aber man sollte auch nicht schon einem Kleinkind den Tod erklären.

Menschen kommen mit verschiedenen Intelligenzen auf die Welt - wann ein Kind was begreift, ist individuell unterschiedlich.

AllesIsi98 
Fragesteller
 26.02.2022, 09:17

Ich habe die Frage ja absichtlich mit dem Tag Psychologie gestellt, daher erwarte ich eine Normalverteilung. Dass es bei einer Gaußkurve hin und wieder Ausreißer gibt ist klar, aber ein Durchschnittsalter wird wohl abzulesen sein.

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Dichterseele  27.02.2022, 14:12
@AllesIsi98

Der Hang, alle über Durchschnittswerte über einen Kamm zu scheren, zeitigt seit Jahrtausenden schlimme Folgen. Im Bereich Bildung werden Kinder durch die Bank mit 6 Jahren eingeschult - Zurückgebliebene können gegebenenfalls zurückgestellt werden, Hochintelligente kommen nicht rechtzeitig zum Zug.

Vor allem entwickeln Kinder verschiedene Fähigkeiten in unterschiedlicher Reihenfolge. Auch das soziale Verständnis oder der Realitäts-Sinn sind nicht unbedingt an andre kognitive Fähigkeiten gekoppelt.

Wenn Kinder mit Plüschtieren oder Puppen spielen und diese 'sprechen' lassen, bedeutet das auch noch lange nicht, dass sie glauben, diese seien lebendig. Das sind Rollenspiele, mit denen sie fürs richtige Leben Sozialverhalten üben.

Ob ein Kind mit 2 Jahren schon begreift, was Tod ist, kann ich nicht sagen - wer weiß schon, was in seinem Kopf vorgeht? Da kommt es wohl darauf an, wie die Eltern mit dem Thema umgehen und dem Kind die Dinge des Lebens erklären.
Ich hatte meine Tochter in dem Alter mit auf die Beerdigung einer Großtante genommen, wir haben zusammen winke, winke gemacht und der Tante (die wir wenige Wochen zuvor am Krankenbett besucht hatten), tschüss gesagt.

Ein ungezwungener Umgang mit dem Tod - auch beim Ableben von Haustieren - erleichtert das Begreifen der Realität.
Es gibt auch Ausgewachsene, deren Realitäts-Sinn zu wünschen übrig lässt...

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Kleine Kinder haben ein sehr enges Verhältnis zu Tieren. Vielleicht geht von dieser Symbiose aber mit der Zeit etwas verloren.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Ich kann da nur von mir selber reden, wie ich es erlebt habe.

Meine ersten Erfahrungen mit Leben und Tod waren mit etwa 6 Jahren. Ich wusste, wenn ich das Insekt/Spinne tot mache ist es weg und kann nicht mehr nerven, oder macht mir keine Angst. Tod war in dieser Zeit praktisch.

Meine nächste Erfahrung hatte ich mit 9. In diesem Jahr sind Opa mütterlicherseits und Oma väterlicherseits sowie eine der Uromas gestorben. Ich mochte Oma und Opa nicht besonders, da ich keine Bindung zu denen hatte. Die waren zwar da wenn ich zu Besuch war, aber der Lieblingspart von beiden war immer deren Ehepartner. Uroma war nicht präsent, da sie mehr als 800 km weit weg wohnte. Wenn es um die Uroma ging, dann war das immer mit Stress verbunden, weil die Leute immer sehr weit fahren mussten wenn was war. Als die Uroma starb sah ich ein aufatmen bei den Verwandten die genervt waren. Als Oma und Opa starben sah ich Trauer bei meinen Eltern. Ich verstand das nicht weil mich diese beiden nicht sonderlich beachteten. Ich hatte das Gefühl, ich habe endlich mehr Zeit mit den zurück gebliebenen, die ich mehr mochte.

Als ich 15 war starb mein Onkel nach langer Krankheit. Da war ich zum ersten mal traurig. Weil ich da schon verstand das ich ihn nimmer wiedersehen werde. Er war der Onkel der immer da war wenn man ihn brauchte. Er hatte Humor, half aus wo er nur konnte und trotz seines schweren Schicksals war er halt der Mittelpunkt der Familie. Nach dem Tod meines Opas war er der Herr der Familie. Das Oberhaupt sozusagen. Alle blickten zu ihm auf. Wie sehr mir sein Tod nahe ging merkte ich drei Jahre später. Als er noch lebte war er immer mit seinem Verein auf dem Weihnachtsmarkt. Die hatten dort einen Stand und er verkaufte Waffeln und Kakao/Kaffee. Er saß da immer in dem Hüttchen am Tresen und hatte eine Weihnachtsmütze auf. Mit 18 war ich das erste mal nach drei Jahren wieder auf diesem Weihnachtsmarkt. Diesmal mit einer kleinen Gruppe Kids aus der Kita, wo ich mein Praktikum machte. Ich musste mich so zusammen reißen als ich dieses Hüttchen sah und am Tresen stand eine alte Frau. Da kamen die ganzen Erinnerungen hoch und die Tränen flossen. Den ganzen Restlichen Tag gings mir schlecht und das war das erste mal, das ich da so richtig getrauert hatte. Und da auch das letzte mal.

Meine Eltern starben vor 3 und vor 9 Jahren. Meine Mutter als erstes an Lungenkrebs. Ich hab nicht eine Träne verdrückt. Bzw habs mir verboten weil ich nicht vor allen anderen am Grab heulen wollte. Zuhause war ich nur matt und wütend. Sie hatte den Lungenkrebs einmal besiegt. Hatte 6 Jahre Ruhe vor dem Krebs, galt als Krebs frei. Und was macht sie? Fängt nach einiger Zeit wieder das Rauchen an und das wars. Andere Lunge auch futsch. Sie war erst 56. Ich war enttäuscht und sauer. Bis dahin war ich eigentlich immer ein Mutterkind. Was aber eher daran lag, das ich durch das familiäre Verständnis von Erziehung meinen Vater nie richtig kennen lernen konnte. Das geschah erst nach dem Tod meiner Mutter. Da erst nahm ich meinen Vater richtig wahr. Und ich lernte vieles neu kennen, auch wie das Verhältnis innerhalb ihrer Bindung war. Ich war immer so stolz das es bei ihnen hieß, bis der Tod euch scheidet..... leider war dort nicht alles eitel Sonnenschein. Als Kind bekommt man das so nicht mit. Nachdem meine Mutter tot war lernte ich meinen Vater neu kennen und erkannte erst da, was er alles gemacht hat. Das Leben dieses Mannes, das was er mir in seinen letzten Jahren schilderte war so ganz anders als das was ich als Kind erlebt habe.

Jetzt bin ich Mitte 40. Eltern tot, Großeltern tot.
Erst jetzt merke ich eigentlich, das ich komplett entwurzelt bin. Das Leben selbst hat eine ganz anderen Wert bekommen. Und es sind so unendlich viele Fragen aufgetaucht die ich nicht mehr stellen kann. Wenn man fast alles Bekannte verloren hat, und selber dem Tod schon einmal ins Auge geblickt hat dank Krankheit, da beginnt man, das Leben und auch den Tod mit ganz anderen Augen zu sehen.

Verständnis vom Leben hat man meiner Meinung nach erst dann, wenn man von allem etwas schon mal hatte. Glück, Leid, Trauer, Enttäuschung. Ein Kind mag das vielleicht im Kleinen schon erleben. Auf Grund des Entwicklungsstandes und der Erziehung versteht aber ein Kind die Tragweite nicht. Für ein Kind ist alles so unvorstellbar weit, groß und lang. Zeit spielt eine andere Rolle. Mit 16 ist ein 30 jähriger alt. Mit 30 denkt man, man kann Bäume ausreißen und hat was erreicht fürs Leben und mit fast 50 denkt man sehr oft daran, das man evtl nur noch 20 bis 40 Jahre hat. Der eigene Tod ist in greifbare Nähe gerückt.