Ab wann gilt jemand als geschäftsunfähig?
Was fällt alles unter "geschäftsunfähig"? Ab wann kann z.B. eine psychisch kranke Person als geschäftsunfähig bezeichnet werden?
Ist das schon der Fall, wenn sie ihre Geldgeschäfte nicht überblickt und daher Einkäufe tätigt, obwohl kein Geld mehr auf dem Konto ist bzw. wenn sie Verträge abschließen will, die von ihren Einnahmen nicht gedeckt sind?
Oder ab wann liegt Geschäftsunfähigkeit vor?
5 Antworten
Da das ein komplexes Thema ist, übernehme ich lieber die fachmännische Erklärung des Verfassers, alles Gute für Dich.
Definition der Geschäftsunfähigkeit: wer geschäftsunfähig istGeschäftsunfähig ist gemäß § 104 BGB, wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat oder wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.
Was Geschäftsunfähigkeit bedeutetWer geschäftsunfähig ist, kann keine rechtsverbindlichen Willenserklärungen abgeben und empfangen.1 Gemäß § 131 Abs. 1 BGB wird eine Willenserklärung, die gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegeben wird, erst wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter des Geschäftsunfähigen zugeht.
Das bedeutet insbesondere, dass Geschäftsunfähige selbst keine Verträge abschließen können.
Wann man genau geschäftsunfähig istBei der Geschäftsfähigkeit ist gemäß § 104 BGB zu unterscheiden zwischen der altersbedingten Geschäftsunfähigkeit (Nr. 1) und der Geschäftsunfähigkeit wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit (Nr. 2).
1. Altersbedingte GeschäftsunfähigkeitNach § 104 Nr. 1 BGB ist altersbedingt geschäftsunfähig, wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, also solange das Kind sechs Jahre alt oder jünger ist.
Gemäß §§ 187 Abs. 2 S. 1, 188 Abs. 2 Var. 2 BGB endet die altersbedingte Geschäftsunfähigkeit mit Ablauf des letzten Tages (d.h. um 24 Uhr) des siebten Lebensjahres. Ab 00:00 Uhr am siebten Geburtstag des Kindes ist das Kind dann nicht mehr geschäftsunfähig, sondern gemäß § 106 BGB beschränkt geschäftsfähig.
2. Geschäftsunfähigkeit wegen krankhafter Störung der GeistestätigkeitDie Variante der krankenhaften Störung der Geistestätigkeit setzt neben a) einer solchen auch voraus, dass der Zustand krankhafter Störung b) nicht nur vorübergehender Natur ist und c) die freie Willensbestimmung ausschließt.
a) Krankhafte Störung der Geistestätigkeit
Von dem Begriff „krankhafte Störung der Geistestätigkeit“ erfasst sind Geisteskrankheit und Geistesschwäche.2
Beispiele:
Alkoholkonsum und Rauschgiftsucht begründen grundsätzlich keine krankhafte Störung der Geistestätigkeit.3
Der Alkoholmissbrauch erreicht aber den Grad einer Störung der Geistestätigkeit, wenn er zu einer organischen Veränderung des Gehirns geführt hat, infolge dessen es zu einem Abbau der Persönlichkeit gekommen ist, der zum dauerhaften Ausschluss der freien Willensbildung geführt hat.4 (Ja, ich weiß, die Rechtsprechung wirft die verschiedenen Tatbestandsmerkmale heillos durcheinander.)
Manische Depressionen sind hingegen eine krankhafte geistige Störung und führen bei Ausschluss der freien Willensbestimmung zur Geschäftsunfähigkeit.5
Geringe intellektuellen Fähigkeiten können eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit begründen. Dieswurde von der Rechtsprechung bspw. bei einem Menschen bejaht, der aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung einen Verbalintelligenzquotienten von 44 aufwies und nicht in der Lage war, einen Text vorzulesen oder Vorgelesenes wiederzugeben.6
b) Dauerzustand
Der Zustand darf nach seiner Natur nicht nur ein vorübergehender sein. Das bedeutet, er muss von gewisser Dauer sein.
Nur weil ein Zustand heilbar ist, ist er aber nicht automatisch vorübergehend. Benötigt die Heilung längere Zeit, ist der Zustand trotz der Heilbarkeit als dauerhaft anzusehen.7
Vorübergehend sind dagegen Alkohol- oder drogenbedingte Rauschzustände.8
Achtung: Gibt jemand, der unter einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit leidet, eine Willenserklärung in einem sogenannten „lichten Augenblick“ ab, so ist diese wirksam. Denn nach dem Wortlaut des § 104 BGB muss der Betroffene sich in dem krankhaften Zustand befinden.9
c) Ausschluss der freien Willensbestimmung
Eine freie Willensbestimmung liegt vor, wenn eine freie Entscheidung aufgrund einer Abwägung des Für und Wider, eine sachliche Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist. Umgekehrt ist die freie Willensbedingung ausgeschlossen, wenn die Person fremden Willenseinflüssen unterliegt oder ihre Willensbildung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ähnlich mechanischen Verknüpfungen von Ursache und Wirkung bestimmt wird.10
Partielle GeschäftsunfähigkeitIn Einzelfällen kann eine sonst bestehende Geschäftsfähigkeit für einen gegenständlich beschränkten Kreis von Angelegenheiten ausgeschlossen sein. Dies nennt man „partielle Geschäftsunfähigkeit“.
Eine partielle Geschäftsunfähigkeit liegt vor, wenn es einer Person infolge einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit nur in einem Lebensbereich unmöglich ist, ihren Willen frei und unbeeinflusst von der Störung zu bilden oder nach einer zutreffend gewonnenen Einsicht zu handeln.11
Dies hat die Rechtsprechung z.B. in einem Fall für eine Ehefrau bezogen auf ihr Scheidungsverfahren12 bejaht und in einem anderen Fall für einen Anwalt in Bezug auf einen bestimmten von ihm geführten Prozess13.
Ist ein Betreuter geschäftsunfähig?Teilweise wird angenommen, dass ein Betreuter automatisch geschäftsunfähig sei. Das ist aber nicht richtig.
Ein Betreuter ist nicht zwingend geschäftsunfähig. Die Anordnung einer Betreuung im Sinne von § 1896 BGB hat keinen Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten14. Auch in diesen Fällen kommt es maßgeblich allein auf das Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen an.
Quellennachweise:- MüKoBGB/Spickhoff, 8. Aufl. 2018, BGB § 104 Rn. 2.
- BGH Urt. v. 06.05.1965, Az.: III ZR 229/64, OLG München, Beschluss vom 4.11.2009 – 33 Wx 285/09; Schulze BGB/Dörner, 10. Aufl. 2019, § 104 Rn. 3.
- BayObLGZ 56, 377 (381 ff.) = BayObLG, Beschluß vom 30.10.1956, 1 Z 54/56; BayObLG, Beschluß vom 5.7.2002 – 1Z BR 45/01.
- OLG Naumburg, Beschluß vom 9. 12. 2004, Az.: 4 W 43/04.
- BGH Urt. v. 06.05.1965, Az.: III ZR 229/64; MüKoBGB/Spickhoff, 8. Aufl. 2018, § 104 Rn. 12.
- OLG Köln, Beschluss vom 24.01.2011, Az.: 11 U 199/10.
- MüKoBGB/Spickhoff, 8. Aufl. 2018, § 104 Rn. 13.)
- MüKoBGB/Spickhoff, 8. Aufl. 2018, § 104 Rn. 13.
- Jauernig/Mansel BGB, 17. Aufl. 2018, § 104 Rn. 7.
- BGH, Urteil vom 18.05.2001, Az.: V ZR 126/00.
- BGH, Urteil vom 18.05.2001, Az.: V ZR 126/00.
- BGH, Urteil vom 24. 9. 1955 – IV ZR 162/54.
- BGH, Urteil vom 13. 5. 1959 Az.: V ZR 151/58.
- Cypionka in NJW 1992, 207, 208 f.
Artikel verfasst von:
Lucas KleinschmittGemäß § 104 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) liegt Geschäftsunfähigkeit vor, wenn eine Person entweder das siebte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder sich in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, der die freie Willensbestimmung ausschließt.
Die Geschäftsunfähigkeit schützt Personen, die ihre Interessen nicht selbst vertreten können, vor rechtswidrigen Handlungen und Vertragsabschlüssen. Sie ist eine gesetzlich geregelte Schutzmaßnahme, die die Rechtssicherheit und den Schutz der betroffenen Personen gewährleisten soll.
Kinder unter sieben Jahren sind geschäftsunfähig. Das bedeutet, dass sie nicht selbstständig rechtsverbindliche Verträge oder andere Rechtsgeschäfte abschließen können. Sie benötigen einen gesetzlichen Vertreter, zum Beispiel ihre Eltern.
Auch Personen, die an einer krankhaften Störung der geistigen Aktivität leiden, die sie an der Bildung ihres eigenen freien Willens hindert wie z.B. Demenz, Schizophrenie, schwere Depression, sind geschäftsunfähig, es sei denn, der Zustand ist nur vorübergehend.
Die psychische Störung muss dazu führen, dass die Person nicht in der Lage ist, ihren Willen frei zu bilden und nach vernünftigem Ermessen zu handeln.
Beispiele für Personen, die möglicherweise geschäftsunfähig sind:
Menschen mit fortgeschrittener Demenz sind oft nicht mehr in der Lage, ihren Willen frei zu bilden, da sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht mehr überblicken können.
Bei Menschen, die an Schizophrenie, schweren Depressionen oder manischen Phasen leiden, kann die Geschäftsfähigkeit eingeschränkt sein. Denn sie können ihr Handeln nicht frei und rational steuern.
Menschen, die chronisch Alkohol oder Drogen missbrauchen, können dauerhafte Schäden am Gehirn davontragen und in ihrer Geschäftsfähigkeit eingeschränkt werden.
Willenserklärungen von geschäftsunfähigen Personen sind nichtig und somit rechtlich unwirksam.
Geschäftsunfähige benötigen einen gesetzlichen Vertreter, der für sie im Rechtsverkehr handelt. Dies kann beispielsweise die Eltern oder ein Betreuer sein.
Weitere Details findest du unter diesem Link:
https://www.fachanwalt.de/ratgeber/geschaeftsunfaehigkeit-definition-im-bgb-beispiele-und-folgen#
Geschäftsunfähig ist in Deutschland nur, wer dauerhaft nicht versteht, was er tut, etwa durch schwere psychische Störungen. Nur falsche oder unkluge Entscheidungen (wie trotz leerem Konto einkaufen) reichen dafür nicht aus. Eine offizielle Feststellung erfolgt nur durch ein Gericht und meist mit ärztlichem Gutachten.
Du wirst in der Praxis als geschäftsunfähig eingestuft und unter Betreuung gestellt, wenn du psychisch gestört bist UND dich mit deinem geschäftlichen Handeln massiv schädigst.
Wenn du also z.B. soviel Geld für relativ unnötige Dinge ausgibst, dass du immer wieder deine Miete nicht bezahlen kannst und obdachlos wirst. Das muss sich aus psychischer Störung herleiten und ein dauerhaftes oder sich wiederholendes Phänomen sein und nicht etwa aus Fehlkalkulation herrühren. Ein Unternehmer wird nicht per se geschäftsunfähig, weil er falsch investiert hat.
Dann wird darauf erkannt, dass du jemanden brauchst, der an deiner Stelle vernünftige Entscheidungen für dich trifft. Und zwar in dem Bereich, in dem Du es nicht kannst.
Wenn die Miete bis jetzt immer noch gezahlt werden konnte und die Schulden erst seit ein paar Monaten zu Mahnungen, Inkasso-Verfahren usw. geführt haben, ist es wohl noch nicht reif eine Entscheidung zu treffen bzgl. finanzieller Betreuung?
Wenn die Katastrophe absehbar ist, wäre das denkbar. Aber, wie gesagt, es muss eine psychische Krankheit vorliegen. Schulden allein sind normal im Kapitalismus.
Die Person wurde akut wegen Schizophrenie zwangseingewiesen. Ist das ein Grund?
Könnte sein. Der Gutachter müsste jetzt herleiten, inwiefern die Schizophrenie zu unvernünftigen Entscheidungen geführt hat und erwartungsgemäss immer wieder führen wird. Natürlich ist das in der Realität oft alles nicht so korrekt.
o.k., ja ist wohl von Fall zu Fall zu entscheiden.
Nein. Eben nicht. Die Kriterien stehen fest.
Was gemacht wird, ist aber etwas anderes als, was "zu entscheiden ist".
Bei den ersten Anzeichen finanzieller Schwierigkeiten und Mietrückständen ist es sinnvoll, eine Entscheidung über eine finanzielle Betreuung zu treffen, auch wenn die Miete bisher gezahlt werden konnte und es erst seit wenigen Monaten zu Mahnungen und Inkasso kommt. Eine frühzeitige Beratung kann dabei helfen, die Situation zu stabilisieren und schlimmere Folgen zu vermeiden.
Auf jeden Fall dann, wenn eine Intelligenzminderung vorliegt.
Vielen lieben Dank für deine umfassende Antwort. Das hilft mir weiter!