Leserbrief Gendern - Was sagt ihr dazu?
Habe diesen Leserbrief auf LinkedIn entdeckt. Was sagt ihr dazu?
--- Leserbrief Anfang ---
Wer gendert, geht einer „fehlerhaften Deutung des Genus-Systems“ auf den Leim, unterstellt Ehegartner. Er hat damit insofern Recht, als, wer Wörter wie Salzstreuer gendern wollte, dem Irrtum unterläge, die grammatische Kategorie Genus hätte immer etwas mit Geschlecht zu tun. Einem vollkommen anderen, aber ebenso reduktionistischen Irrtum sitzt auf, wer annimmt, Genus hätte nie etwas mit Geschlecht zu tun. In der Linguistik wird das Phänomen als Genus-Sexus-Korrelation beschrieben: Bei Personenbezeichnungen korreliert das maskuline Genus meist mit Männlichkeit (Opa), das feminine mit Weiblichkeit (Oma). Dieses Prinzip hat sich über Jahrtausende herausgebildet und ist heute im Deutschen bei Menschen so zuverlässig, dass Genus zum Ausdruck von Geschlecht genutzt werden kann: Dass die Alte eine Frau ist, wird allein am Genus deutlich. Eine der ersten Fragen, denen sich die Linguistik diesbezüglich seit den Siebzigerjahren gewidmet hat, ist die, ob sich unser unbewusstes Wissen um diese Regelmäßigkeit aushebeln lässt – oder ob auch dann, wenn jemand mit einem maskulinen Substantiv alle Geschlechter meint, eine Bedeutungskomponente ‚männlich‘ vorhanden ist. Hier ist es angebracht, den dritten Irrtum zu vermeiden: Eine Linguistin kann sich auch als Aktivistin betätigen, Empfehlungen geben und appellieren – als Wissenschaft arbeitet die Genderlinguistik jedoch deskriptiv, empirisch und methodisch vielfältig. Die bisherigen Ergebnisse sind komplex und können hier nur angedeutet werden: In unserem Denken führt die Korrelation von personenbezeichnenden Maskulina mit ‚Männlichkeit‘ zu einem Verzerrungseffekt - dem Male Bias. Das zeigen zahlreiche Studien und Experimente. Die Bedeutungskomponente ‚männlich‘ wird dabei umso relevanter, je konkreter über eine bestimmte Person gesprochen wird. Auch unser Weltwissen trägt dazu bei, wie stark die Verzerrung ist. Mit diesen Befunden mögen die kompetenten Sprachnutzer nun anfangen, was sie möchten. Wir – wissenschaftliche Mitarbeitende in der Linguistik – werden es ihnen nicht vorschreiben.
Dr. Dominic Schmitz, Englische Sprachwissenschaft, Universität Düsseldorf
Dr. Aline Siegenthaler, Germanistische Linguistik und Fremdsprachendidaktik, Universität Genf und Freiburg
Jakob Böhm, Sprachgeschichte des Deutschen, Universität Leipzig
Hanna Bruns, Englische Sprachwissenschaft, Universität Bonn
Mx Gaul, Anthropologische Linguistik, Universität Bremen
Carlos Hartmann, Englische Sprachwissenschaft, Universität Zürich
Paul Meuleneers, Germanistische Linguistik, Freiburg
Samira Ochs, Empirische Genderlinguistik, Leibniz-Institut für Deutsche Sprache Mannheim
Anne Rosar, Germanistische Linguistik, Mainz
Hannah Sawall, Linguistik, EUV Frankfurt (Oder)
Carla Sökefeld, Germanistische Linguistik, Universität Hamburg
Tanja Stevanovic, Germanistische Linguistik, Universität Hamburg
Lena Völkening, Germanistische Linguistik, Universität Oldenburg
--- Leserbrief Ende ---
6 Antworten
Finde ich richtig und vernünftig.
uhh, sehr fancy
Gefällt mir.
Dieser Leserbrief vergeudet meine Zeit.
die fehlerhafte Deutung geht weit tiefgreifender, sie beginnt mit der fehlerhaften Gleichsetzung von grammatikalischen Genus mit biologischem Geschlecht. das hat in Wirklchkeit NICHTS, aber auch GAR NICHTS miteinander zu tun! es ist einfach ein terminologischer Zufall, dass man da von Geschlecht spricht: man könnte genau so gut von grammatischer Farbe oder grammatischem Geschmack sprechen, dann wär es gar nie zu dieser lächerlichen Assoziation von grammatikalischer und biologischer Kategorie gekommen.
ja, schon im 2. Satz oder so: "die grammatische Kategorie Genus hätte immer etwas mit Geschlecht zu tun." - sie hat nicht nur nicht immer, sondern NIE etwas mt biologischem Geschlecht zu tun, genau so wenig, wie es was mit tatsächlicher Farbe zu tun hätte, wenn wir statt von Genus (Geschlecht) von Color (Farbe) sprechen würden (zb: der = gelb (nicht maskulin), die=rot (nicht feminin), das=blau (nicht neutrum))
und der "male bias" (der in Wirklichkeit ein gender bias ist) kommt ganz einfach aus der Wirklichkeit. das sieht man ganz klar im Englischen, das gar keine n grammatischen Genus kennt: the brick layer und the soldier werden überwiegend als männlich gedacht, ganz einfach, weil aus der Alltagserfahrung heraus 90+% davon tatsächlich männlich sind.
ja, schon im 2. Satz oder so
Also widersprichst du auch dem folgenden Beispiel?
Dass die Alte eine Frau ist, wird allein am Genus deutlich.
-
und der "male bias" (der in Wirklichkeit ein gender bias ist) kommt ganz einfach aus der Wirklichkeit. das sieht man ganz klar im Englischen, das gar keine n grammatischen Genus kennt: the brick layer und the soldier werden überwiegend als männlich gedacht, ganz einfach, weil aus der Alltagserfahrung heraus 90+% davon tatsächlich männlich sind.
Aber die Leute schreiben doch selbst:
Auch unser Weltwissen trägt dazu bei, wie stark die Verzerrung ist.
Abgesehen davon gibt es Studien, die dieses Weltwissen als Kontrollvariable einbeziehen, aber dennoch einen male gender bias finden. Was sagst du dazu?
Übrigens hat das Englische ein Genussystem, wenn auch kein sehr ausgeprägtes. Das findet man in Pronomen und unproduktiv als Restbestand in einigen Substantiven.
Das Beispiel mit die Alte ist nur deshalb deutlich, weil das nicht-gesagte Nomen dazu Frau ist.
Deshalb hat es den Artikel Die und nicht Das wie alle Substantivierte Adjektive.
Schöne, Gleichgültige, Alte, Hässliche -> denkst du immer noch an Frauen?
Du denkst nur dann an Frauen, wenn der Artikel des Substantivs "Frau" dazu genannt wurde anstatt den korrekten zu "Alte" - somit denkst du an Frauen, weil das so im Satz speziell genannt wurde.
Bsp "die Alte".
nein, dem widerspreche ich nicht. das hat aber mit gender bias nichts zu tun, ich habe da lediglich das biologische Geschlecht grammatikalisch korrekt ausgedrückt, denn wenn diese betagte Person männlich wäre, müsste ich korrekter Weise von der Alte sprechen..
siehst du "die Mannschaft" als aus lauter Frauen bestehend, weil "die" ja "weiblich" ist?
siehst du "die Onkeln" als biologisch weiblich (oder auch nur möglicherweise biologisch weiblich), weil ja das Pluralparadigma des bestimmten Artikels fem. ist?
Studien, die dieses Weltwissen als Kontrollvariable einbeziehen, aber dennoch einen male gender bias finden.
dann müsste sich dieser gender bias im Englischen und Deutschen unterscheiden, denn das Englische kennt eben keine grammatikalischen Genus - tut er das? meins Wissens nicht. und vor allem: unterscheidet sich das Geschlechterrollendenken in seiner Stärke im Englischen udn im deutschen Sprachraum? meines Wissens auch nicht. (wenn im Englischen des 19 Jhdts der Satz auftauchte "I must see a doctor" - haben dann die Leute wohl eher an einen männlichen oder weiblichen Arzt gedacht? (ich age zu behaupten, eher an einen männlichen, aber nicht wegen irgend eines Genus, sondern einfach aus der bekannten realität heraus, dass es (so gut wie?) keine Ärztinnen gab damals)
Dem kleinen Mädchen seinen Lolly zu nehmen, ist asozial. = 100% generisch korrekt ohne gesonderte Berücksichtigung des Sexus.
Eine derart schöne Grammatik findest du noch in alten Büchern - Grimm Märchen zum Beispiel auf altdeutscher Schrift.
nein, dem widerspreche ich nicht
Dann kannst du aber doch nicht sagen, dass Genus und Sexus nie zusammenhängen.
dann müsste sich dieser gender bias im Englischen und Deutschen unterscheiden, denn das Englische kennt eben keine grammatikalischen Genus - tut er das? meins Wissens nicht.
Tut er. Im Englischen sind Stereotype bias bestimmend, im Deutschen überschreibt das Genus die Stereotype und führt zum male bias.
Dann kannst du aber doch nicht sagen, dass Genus und Sexus nie zusammenhängen
stell dir vor, man würde statt von Genus von Color sprechen, und "der" würde als Color schwarz bezeichnet: wenn ich dann von dann von "der Afrikaner" rede - was ist dann der Zusammenhang zwischen realer Welt und grammatischer Kategorie?
Im Englischen sind Stereotype bias bestimmend, im Deutschen überschreibt das Genus die Stereotype und führt zum male bias.
dann müsste es logischer WEise im Plural einen female bias geben im Deutschen, denn das grammatikalische Pluralparadigma ist fem! - tut es das?
Sorry, aber du sagst einerseits, dass Genus und Sexus nie miteinander zu tun haben, und dann sagst du, dass sie manchmal etwas miteinander zu tun haben. Das kann nicht beides gleichzeitig stimmen.
sie beginnt mit der fehlerhaften Gleichsetzung von grammatikalischen Genus mit biologischem Geschlecht. das hat in Wirklchkeit NICHTS, aber auch GAR NICHTS miteinander zu tun! es ist einfach ein terminologischer Zufall, dass man da von Geschlecht spricht:
Aber warum ist das den meisten Menschen nicht bewusst? Weil schon seit langer Zeit das biologische Geschlecht auf den grammatikalischen Genus übertragen wird, deshalb Begriffspaare wie der
der Bäcker - die Bäckerin
der Lehrer - die Lehrerin
der Hund - die Hündin
der Hengst - die Stute usw.
Entweder hätte man von Anfang an auf diese Unterscheidung verzichten sollen, oder man führt das Prinzip fort.
Findest du diese fehlerhafte Deutung im Leserbrief?