Funktionieren Demokratien?
Es existiert in der Natur keine absolute Gleichheit – Gleichheit besteht nur unter Gleichen. Erst wenn Wesen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, ihrer Voraussetzungen und ihrer Umweltbedingungen vergleichbar sind, kann man von einer echten Gleichwertigkeit sprechen. Unter Ungleichen hingegen wird niemals eine tatsächliche Gleichheit oder Gleichwertigkeit existieren. Dies scheint ein grundlegendes Naturgesetz zu sein, das durch evolutionäre Mechanismen wie Selektion und Anpassung gestützt wird.
Es ist anmaßend, wenn der Mensch glaubt, sich über diese natürlichen Gesetzmäßigkeiten erheben zu können. Bereits Charles Darwin wies in seiner Evolutionstheorie darauf hin, dass Vielfalt und Ungleichheit zentrale Triebfedern der natürlichen Entwicklung sind. Auch moderne Studien in der Evolutionsbiologie und Anthropologie legen nahe, dass der Mensch sich seit der Zeit des Neandertalers biologisch nur in begrenztem Maße weiterentwickelt hat - unsere kognitive Architektur ist noch immer auf Stammesdenken, Hierarchien und Gruppenidentitäten ausgelegt (vgl. Dunbar, 1998; Henrich, The Secret of Our Success, 2015).
Demokratien hingegen beruhen auf der normativen Idee, dass alle Menschen gleichwertig sind - rechtlich, politisch und moralisch. Diese Vorstellung ist ethisch hochstehend, aber realistisch betrachtet oft schwer umsetzbar. Bereits Platon kritisierte in seinem Werk Politeia die Demokratie als ein System, das die Herrschaft der Unwissenden ermöglicht und langfristig in Chaos und Tyrannei münden kann, wenn keine objektiven Kriterien für Führung und Urteilskraft angesetzt werden.
Wenn man davon ausgeht, dass Menschen in vielerlei Hinsicht ungleich sind – in Intelligenz, Charakter, Bildung, Selbstdisziplin -, stellt sich die Frage, ob eine politische Ordnung, die alle Stimmen gleich gewichtet, auf Dauer tragfähig ist. Tocqueville warnte bereits im 19. Jahrhundert vor der „Tyrannei der Mehrheit“, wenn Gleichheit als absolutes Prinzip missverstanden wird.
Demnach ist es zumindest diskutabel, ob Demokratien - trotz ihrer ethischen Ideale - langfristig stabile, gerechte und nachhaltige Systeme sein können, wenn sie die natürlichen Unterschiede zwischen Menschen ausblenden oder leugnen.
10 Antworten
Gleichwertig aber nicht gleich - daraus ergibt sich z.B. der Minderheitenschutz. Gibts in Nichtdemokratie nich...
Wenn eine Demokratie wehrhaft ist, sich also gegen zerstörerische Tendenzen wehren kann, dann schon.
Zwischen "gleich" und "gleichwertig" (oder "gleichberechtigt") besteht ein deutlicher Unterschied. Natürlich sind Menschen nicht gleich.
Aber in einer Demokratie versucht man, den Menschen auch in ihrer Ungleichheit möglichst gleiche Rechte und Chancen einzuräumen (mit Einschränkungen, denn natürlich kann ein Blinder nicht gut Auto fahren, und einem 5-jährigen kann man das auch nicht zutrauen).
Aber bei uns dürfen Frauen ebenso wie Männer Auto fahren.
In Saudi-Arabien war das noch bis vor kurzem nicht so.
Ich sehe auch nicht, wo wir "Unterschiede zwischen Menschen leugnen" würden. Demokratie heißt unter anderem, dass das Volk sich selber regiert (indirekt über freiwillig gewählte Vertreter). Also auch, dass das Volk nicht von einem König oder einer Herrscherfamilie regiert wird, welche die Macht nur ererbt hatte. Auch heißt es, dass auch Minderheiten Rechte haben (Demokratie sollte nicht "Diktatur der Mehrheit" sein). Und dass es eine Gewaltenteilung gibt (dazu gehören auch Gerichte).
Du musst dir nur die Realität anschauen.
Die einzig funktionierenden Länder sind Demokratien. Kein Kriege, aber Wohlstand.
Diese Argumentation, Ungleichheiten als natürlich darzustellen, wurde über Jahrhunderte genutzt, um die Ordnung im Sinne der herrschenden Klassen zu rechtfertigen. Mit der angeblichen Minderwertigkeit, fehlenden Zivilisation und Bildungsferne bestimmter Gruppen wurde die Sklaverei ebenso begründet wie der Ausschluss von Frauen, Kolonialvölkern, befreiten Sklaven und den arbeitenden Klassen von politischen Rechten. Im 19. Jahrhundert waren extrem diskriminierende Zensus- und Klassenwahlrechte die Norm in Europa.
Oft wurde dieser Ausschluss damit beschönigt, dass diese Gruppen mit unmündigen Kindern verglichen wurden - aber während Kinder irgendwann mündig werden und ihre Eltern für ihren Schutz verantwortlich sind, durften die unmündigen Armen ein Leben lang schuften und sich in Kriegen gegenseitig umbringen.
Erst zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurden das allgemeine und gleiche Wahlrecht nach und nach für immer weitere Teile der Bevölkerung erkämpft. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es in Westeuropa eine Welle von Wahlrechtsreformen als Reaktion auf die Revolutionen in Russland und Deutschland, die zeigten, wohin die Unterdrückung der Massen führt, wenn man ihnen kein Ventil lässt.
Das Wahlrecht für Arbeiter in einer bürgerlichen Republik war genau dazu gedacht, deren revolutionäre Gesinnung zu neutralisieren und in kontrollierbare Bahnen zu lenken. Die bürgerliche Demokratie beruht nicht auf tatsächlicher Gleichheit, sondern hat einen Klassencharakter, indem sie formelle rechtliche Gleichheit bei gleichzeitiger materieller und ökonomischer Ungleichheit zugesteht. Auch wenn Arbeiter nun wählen dürfen, stammen die Politiker aus dem Bürgertum und vertreten ihr eigenes Klasseninteresse, und in der wirtschaftlichen Sphäre abseits des Parlaments geht es sowieso diktatorisch zu.
Die Behauptung, eine "Tyrannei von unten" zu verhindern, war gerade die Losung des Faschismus, als die Armen, organisiert in sozialistischen und kommunistischen Parteien und Gewerkschaften, anfingen ihre politischen Rechte zu nutzen, um auch soziale Rechte einzufordern und damit die bürgerliche Eigentumsordnung herausforderten. Die Faschisten, die in Italien, Portugal, Österreich, Spanien und Deutschland an die Macht kamen, kassierten das Wahlrecht nicht wegen seiner Schwäche, sondern gerade wegen seines Potenzials ein, und verstärkten mit der gleichen naturalisierenden Argumentation von Ungleichheit die alten Hierarchien.
Stabil, gerecht und nachhaltig kann ein demokratisches System nur sein, wenn es sich nicht auf formelle Gleichheit beschränkt, sondern auch die soziale Gleichheit garantiert. Dazu gehört, dass auch das Eigentum unter kollektive, demokratische Kontrolle gestellt wird. Die Minderheit der Besitzenden schreien angesichts dieser Perspektive von Tyrannei, während sie selbst eine Tyrannei über die Mehrheit der Bevölkerung ausüben.
In den USA sehen wir, dass es scheitern kann, weil so ein Koffer wie Trump an die Macht kommt. Jedes System hat schwächen, auch die Demokratie, doch etwas besseres haben wir nicht.
LG
Die Frage ist aber: funktionieren sie dauerhaft?