Wie viel Zeit würde auf die Erde vergehen, wenn ich für 10 min,1stunde, 1 Tag und 1 Jahr mich mit Lichtgeschwindigkeit bewege?

8 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo eriboo,

die Frage ist gut, aber z. T. etwas unklar formuliert. Mit ...

Wie viel Zeit würde auf die Erde vergehen, ...

... fragst Du ja offenbar nach einer von einer Bezugs-Uhr auf der Erde aus ermittelten Zeitspanne, der irdischen Koordinatenzeit.

... wenn ich für 10 min, 1 Stunde, 1 Tag und 1 Jahr mich mit Lichtgeschwindigkeit bewege?

Du sagst hier nicht explizit, nach welcher Uhr es 10 min, 1 h, 1 d oder 1 a sein sollen. Da es witzlos wäre, wenn damit ebenfalls die irdische Koordinatenzeit gemeint wäre, kann damit nur die Eigenzeit gemeint sein, die Deine eigene Uhr anzeigt.

Wenn "mit Lichtgeschwindigkeit" wirklich exakt c meinst, ist das so, als würdest Du fragen, wie lang es dauert, bis eine auf 1 Uhr stehengebliebene Uhr auf 2 Uhr vorrückt.

Koordinatenzeit und Eigenzeit

Eigenzeit ist so etwas wie eine Weglänge Δτ durch die Raumzeit zwischen zwei aufeinander folgenden Ereignissen. , vergleichbar dem Abstand Δs zwischen zwei Punkten in einer Ebene.

Koordinatenzeit ist, wie der Name sagt, eine Koordinatendifferenz.

Wenn wir eine Uhr U als Bezugs-Uhr wählen und damit auch als stationär interpretieren, können wir von ihr aus ein Koordinatensystem Σ definieren, wobei die von U aus ermittelte Zeit ebenfalls als Koordinate behandelt wird.

Geometrisch können wir den Weg eines Körpers bzw. seines Schwerpunktes durch die Raumzeit als die Weltlinie (WL) des Körpers bezeichnen. Die WL von U ist die Zeitachse von Σ. Auf sie werden die Ereignisse projiziert, und der Abstand Δt zwischen diesen Punkten heißt die Σ- Koordinatenzeit. Sie ist vergleichbar der Projektion Δz der Strecke zwischen den Punkten auf ein z- Achse fungierendes Lineal oder dergleichen.

Die Raumzeit in der NM

Bisher habe ich noch nichts gesagt, was mit der NEWTONschen Mechanik (NM) nicht im Einklang stünde. Klar, für NEWTON gab es nur die Zeit, aber zu seiner Zeit wurde begrifflich auch zwischen Schwerer Masse und Träger Masse unterschieden, obwohl sie empirisch als gleich bekannt waren.

Die NM kennt schon das Relativitätsprinzip (RP), es stammt von GALILEI, was kein Zufall ist. So konnte er sich nämlich erklären, wie es möglich war, die Erde Jahrtausende lang für ruhend zu halten. Statt U können wir auch eine relativ zu U mit v in x-Richtung bewegte Uhr U' als Bezugs-Uhr auswählen und ein Koordinatensystem Σ' definieren, in dem sich U mit −v in x'- Richtung bewegt; die Naturgesetze, die grundlegenden Beziehungen zwischen physikalischen Größen, ändern sich dabei nicht.

Σ und Σ' vergleiche ich gern mit zwei Koordinatensystemen S und S°, die o.g. Ebene kartographieren. Man kann sich ein Lineal vorstellen, das um einen Winkel θ gedreht wird.

Die NM - Umrechnung zwischen Σ und Σ' heißt GALILEI- Transformation und ist geometrisch eine Scherung. Die Gesetze der Mechanik bleiben dabei gleich, man sagt, sie sind GALILEI- invariant.

Die Raumzeit in der SRT

GALILEI meets MAXWELL: Zu den Naturgesetzen gehören auch MAXWELLs Grundgleichungen der Elektrodynamik und die direkt daraus folgende elektromagnetische Wellengleichung. Allerdings ist sie offensichtlich nicht GALILEI- invariant. Sie enthält c als Naturkonstante, und das heißt: Was sich relativ zu einem Körper mit exakt c bewegt, das bewegt sich relativ zu jedem Körper mit exakt c.

Schon deshalb kannst Du Dich nicht mit exakt c bewegen, denn dann müsstest Du Dich relativ zu Dir selbst mit c bewegen. Relativ zu Dir selbst bewegst Du Dich aber gar nicht, schon gar nicht mit c!

Ich hatte die Eigenzeit mit einer Weglänge bzw. einem Abstand in einer Ebene und Σ und Σ' mit zwei ebenen Koordinatensystemen S und S° verglichen.

Da gibt es Δz bzw. Δz° "längs" und Δx bzw. Δx' "quer". Die Beziehung zwischen Δs und den Koordinatendifferenzen ist durch den Satz des PYTHAGORAS gegeben:

(1) Δs² = Δz² + Δx² ≡ Δz°² + Δx°²

Eine ähnliche Beziehung fand EINSTEINs früherer Mathematikprofessor MINKOWSKI zwischen Δτ und den Koordinatendifferenzen. In der t-x- Ebene ist das

(2.1) Δτ² = Δt² − Δx²⁄c² ≡ Δt'² − Δx'²⁄c².

Ist Δτ² positiv, sind die Ereignisse zeitartig getrennt, d.h., es gibt ein Koordinatensystem, das sie als gleichortig beschreibt.

Ist Δτ = 0, heißen die Ereignisse lichtartig getrennt. Absendung und Empfang eines Funksignals sind solche Ereignisse.

Ist Δτ² negativ, käme beim Wurzelziehen etwas Imaginäres heraus, was die Frage aufwirft, was eine imaginäre Eigenzeit sein soll. Die Antwort: Eine räumliche Distanz. Drehen wir (2.1) um und multiplizieren mit c², bekommen wir

(2.2) Δς² = Δx² − Δt²∙c² ≡ Δx'² − Δt'²∙c².

Solche Ereignisse heißen raumartig getrennt, es gibt ein Koordinatensystem, das beide Ereignisse als gleichzeitig (im Abstand Δς) beschreibt.

Bild zum Beitrag Abb. 1: Die Punkte in einer räumlichen Ebene können auch die Enden eines Salami- Abschnitts sein. Diesen kann man als Modell für einen Vorgang auf begrenztem Raum (die räumliche Ausdehnung in Richtung der Ebene habe ich in beiden Fällen d genannt) betrachten.

Gleichzeitigkeit ist in der SRT ebenso relativ wie Gleichortigkeit bereits in der NM. Das Diagramm zeigt schematisch 3 Raumfahrzeuge A bei x = −d, B bei x = 0 und C bei x = +d, an denen ein viertes, B', vorbeizieht – oder umgekehrt. Alle stehen im Funkkontakt, und von Interesse sind zwei Signale von A und C, die B und B' im Moment t₀ des Vorbeifluges empfangen. Natürlich haben sie denselben Zeitstempel t₀ − d⁄c. Ob sie aber wirklich gleichzeitig abgesendet wurden, ist Interpretationssache.

Sehen wir nämlich B' als stationär an, muss C zum Zeitpunkt seiner Emission um den Faktor (c + v)⁄(c − v) =: K² weiter von B' entfernt gewesen sein als A bei seiner, und dementsprechend "älter" ist sein Signal.

Bild zum Beitrag

Abb. 2: Das Diagramm stellt sowohl die Relativität der Gleichzeitigkeit räumlich getrennter Ereignisse als auch die Effekte dar, die leider immer noch mit "Zeitdilatation" und "Längenkontraktion" bezeichnet werden, was ein Gezerre und Gequetsche suggeriert, das es so nicht gibt. Namentlich die "Längenkontraktion" lässt sich mit Blick auf Abb. 1 eher als "Schrägschnitt durch die Weltwurst" bezeichnen.

Proper velocity

Ich hatte geschrieben, dass c unerreichbar ist. Bei dem Versuch würdest Du allerdings an keine "Mauer" stoßen oder dergleichen.

In gewisser Weise kannst Du im Prinzip beliebig schnell sein, nämlich, wenn wir als Maß für Deine Schnelligkeit nicht Weg durch Koordinatenzeit, v = Δx⁄Δt, sondern Weg durch Eigenzeit,

(3.1) γv := v⁄√{1 − v²⁄c²} = Δx⁄Δτ

meinen. Im Englischen wird das proper velocity genannt, und es ist der spezifische Impuls. Multiplizierst Du dies mit der Masse m, bekommst Du Deinen Impuls p.

Je höher allerdings Dein Impuls p ist, desto höher ist auch Deine Energie E, und E⁄c ist sozusagen der Impuls in Zeitrichtung, der immer größer ist als der räumliche Impuls. Ein schnelles Raumfahrzeug wird unweigerlich zur Zeitmaschine, und so wird auch

(3.2) Δt⁄Δτ = γ = 1⁄√{1 − v²⁄c²}

so groß, dass

v⁄c = (Δx⁄cΔτ)⁄(Δt⁄Δτ) = Δx⁄cΔt

immer unter 1 bleibt.

Bild zum Beitrag

Abb. 3: Der Viererimpuls und seine Komponenten

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
 - (Mathematik, Physik, Wissenschaft)  - (Mathematik, Physik, Wissenschaft)  - (Mathematik, Physik, Wissenschaft)

eriboo 
Fragesteller
 14.03.2021, 22:06

Wow du hast Beste Antwort verdient

1
SlowPhil  16.03.2021, 00:39

Vielen Dank für den Stern!

1

Davon abgesehen, dass das für massebehaftete Objekte nicht möglich ist, wäre die korrekte Antwort: unendlich.

Denn für Objekte (z.B. ruhemasselose Objekte wie Lichtquanten = Photonen), die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, bleibt die Zeit stehen.

Selbst wenn du diese Geschwindigkeit (was ja eben nicht geht) nur für eien Millionstel-Sekunde durchhalten könntest, dann wäre in dieser kurzen Zeitdauer das gesamte Universum vergangen und die Welt wäre absolut öd und leer.


SlowPhil  14.03.2021, 14:16
Davon abgesehen, dass das für massebehaftete Objekte nicht möglich ist, wäre die korrekte Antwort: unendlich.

Nicht davon abgesehen. Letzteres ist der wesentliche Grund für Ersteres. Physiker werden misstrauisch, wenn die Antwort auf eine Frage "Unendlich" lautet: Da muss etwas faul sein.

Denn für Objekte ..., die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, bleibt die Zeit stehen.

Umgekehrt. Ihre Uhren – wen sie denn welche hätten – würden stehen, d.h. für sie würde Zeit "unendlich schnell vergehen". Könnte man sich heute photonisieren, zu Proxima B schicken und sich dort rematerialisieren lassen, wäre man augenblicklich da – und es wäre auch augenblicklich 2025.

1

Das hat mit dem Stichwort "Zeitdilatation" zu tun - du beschreibst das richtig, dass in deinem (bewegten) Bezugssystem eine andere Zeitspanne vergeht als im ruhenden Bezugssystem der Erde.

Je näher du an der Lichtgeschwindigkeit bist, desto größer fällt dieser Unterschied aus. Die Lichtgeschwindigkeit an sich ist dabei nicht erreichbar, d.h. von der Seite aus macht deine Frage keinen Sinn.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Studium und Promotion in Angewandter Mathematik

eriboo 
Fragesteller
 13.03.2021, 11:03

Theoretisch!!!!!!

0
SlowPhil  14.03.2021, 13:42
@eriboo

Gerade theoretisch ist exakt Lichtgeschwindigkeit unerreichbar für alles, was Ruheenergie E₀ = mc² hat.

Wenn etwas die kinetische Energie Eₖ hat, hat es das Tempo

v = c∙√{1 − (E₀⁄(E₀ + Eₖ))²}.

Das ist gleich c, wenn

  • E₀ = 0 oder
  • Eₖ = ∞

ist, was natürlich ausgeschlossen ist.

0

Das geht nicht, weil man in der Formel für die Zeitdilatation dann durch Null teilen müsste, was mathematisch nicht erlaubt ist.

Die physikalische Konsequenz daraus ist, dass bewegte Massen nicht mit exakt Lichtgeschwindigkeit unterwegs sein können, sondern immer nur mit einer Geschwindigkeit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit.

Bei 99.99% der Lichtgeschwindigkeit (da Lichtgeschwindigkeit nicht erreichbar ist):

10 min -> ~12 h
1 h -> ~3 Tage
1 Tag -> ~70 Tage
1 Jahr -> ~70 Jahre


eriboo 
Fragesteller
 13.03.2021, 11:04

Woher hast du diese Zahlen

0
BurkeUndCo  13.03.2021, 14:19

Und wie sieht das dann bei 99,999% der Lichtgeschwindigkeit aus?

Und bei 99,9999% der Lichtgeschwindigkeit?

Und bei 99,99999% der Lichtgeschwindigkeit?

0
SlowPhil  14.03.2021, 14:02
@BurkeUndCo

Statt "99,999% der Lichtgeschwindigkeit" würde ich (1 − 10⁻⁵)∙c schreiben. Das Quadrat davon ist ungefähr (1 − 2×10⁻⁵)∙c², also ist 1 − v²⁄c² ≈ 2×10⁻⁵, mit dem Kehrwert 5×10⁴, sodass dann

γ := 1⁄√{1 − v²⁄c²} ≈ 223,6

ist. Mit noch 2 Neunen dran ist γ das Zehnfache.

1