Wie stark beeinflusst Sprache unser Denken?

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Nach G.Orwell hat Sprache einen großen Einfluß auf unser Denken, sonst wäre das Konzept des "Newspeak" zur Unterdrückung der Bevölkerung sinnlos.

Sprache setzt bei sprachgebundenen Problemen den Menschen Grenzen, die weniger versiert sind. Diese können möglicherweise in handwerklich-geometrischen Zusammenhängen schneller zum Ziel kommen als sprachgeschulte Menschen.

Da Kommunikaton meist sprachgebunden stattfindet, bietet ein gutes Sprachverständnis große Vorteile, um eigene Absichten umzusetzen und den Austausch durch Interpretationsangebote zu unterstützen. Ebenso kann diese Fähigkeit zur Manipulation eingesetzt werden.

Die meisten analytischen Fähigkeiten setzen sprachliches Denken voraus. Kreative Denkansätze hingegen sind meist wenig sprachgebunden.

LG

gufrastella

gufrastella  23.08.2023, 14:25

Danke für den Stern!

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Das ist es weites und nach wie vor umstrittenes Thema. Es gibt die Sapir-Whorf-Theorie, es mag durchaus sein, dass da etwas dran ist, aber ich denke, dass dieses Thema vielschichtig ist und man es nicht auf ein einfaches "ja" oder "nein" reduzieren kann.

Ich bin auch (wie viele andere) ein Anhänger der "abgeschwächten" SW-Theorie, d.h. es ist gut möglich, dass Sprache einen kleinen Einfluss auf das Denken hat, es ist aber nicht der größte Faktor, und man kann ihn auch durch Übung ausgleichen.

Etliche Beispiele der frühen SW-Theorie gelten als widerlegt, so etwa die oft gelesene Behauptung, dass Inuktitut enorm viele Wörter für Schnee kennen würde. Dabei liegt dieser Umstand nur darin, dass man dort (ähnlich wie im Finnischen) lange "Kettenwörter" bilden kann, die man in anderen Sprachen eher durch einen ganzen Relativsatz abbilden würde (was aber semantisch auf die gleiche Aussage hinauslaufen würde).

Denkt ein Däne wirklich nur deswegen anders als ein Franzose, weil er "træ" zu "Baum" und zu "Holz" sagt? (Franzosen nutzen hier 2 Wörter, "arbre" und "bois")

Das bekannte Beispiel zur Zeit in der Hopi-Sprache ist sehr interessant, vielleicht könnte man das in einem eigenen Thread diskutieren?

Hopi-Verben unterscheiden "Nichtvergangenheit" von Zukunft (Partikel -ni),
englische Verben unterscheiden Vergangenheit von "Nichtvergangenheit".
Ein echtes generisches Futur (so wie im Französischen) gibt es im Englischen eigentlich nicht, Sätze wie "I will do XY" sind im Grunde Hilfverbkonstruktionen mit einem Verb "will" im Präsens mit einer Futur-Semantik.

Französisch: je faisais (ich tat), je fais (ich tue), je ferai (ich werde tun)

Wir haben (so wie die Engländer) ein analytisches Futur.

Im Grunde könnte man ebenso gut diskutieren, ob ein Franzose deswegen anders denken würde als ein Engländer. Hopi braucht man im Grunde nicht unbedingt für diese Debatte (ist dennoch spannend und interessant).

Auch spannend: Franzosen kennen noch "je fis" (ich tat), dieses Passé simple gibt es weder im Deutschen noch im Englischen.

Mon père me frappait souvent. Mein Vater schlug mich oft.
La vérité la frappa comme un éclair. Die Wahrheit schlug (traf) sie wie ein Blitz.

Die französische Verbform ist in Satz 2 anders als im Deutschen.
Weil man dort eine regelmäßige von einer einmaligen Handlung unterscheidet.
Aber denken Franzosen wirklich etwas anderes dabei als wir?

Übrigens muss man Denken von Wahrnehmung unterscheiden.
Das sind 3 verschiedene Dinge:
- die Wahrnehmung
- das Denken
- die sprachliche Repräsentation von Wahrnehmung und Denken

Sprache an sich weniger, aber die Begriffe bzw. der Wortschatz und seine Grenzen:

  • Zum Beispiel gibt es im Deutschen das Wort "Wanderlust", das im Englischen so sehr fehlt, dass man es dort als Fremdwort übernommen hat.
  • Anders ist es mit "Freitod". Ich hatte schon mehrfach Diskussionen mit englischsprachigen Menschen, die eben nur "suicide" kennen, also Selbstmord. Die Semantik der Endung "-cide" - wie in homicide, genocide etc. - prägt das Denken dort so stark, dass die Vorstellung eines wirklich selbstgewählten Freitods ohne Krankheitsursachen etc. kaum zu vermitteln ist.

Wer nur sprachlich denkt, also in Worten, bleibt in der Sprache gefangen.

Um sich daraus zu befreien, braucht es eine Distanz zur Sprache und die Fähigkeit, auch nichtsprachlich zu denken.

Pescatori  23.08.2023, 15:06

"Nichtsprachliches Denken" - so eine Sehnsucht von mir, wenn ich auf meinem Kissen hocke!

Aber immer wieder werde ich von Worten heimgesucht!

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Machtnix53  23.08.2023, 16:52
@Pescatori

Nichtsprachliches Denken in Worten zu beschreiben ist sicher nicht leicht. Ich versuche es trotzdem mal.

Es gibt ja Tiere, die keine Sprache haben, sondern nicht mehr als Laute. Das heißt aber noch nicht, dass sie nicht denken können.

Bei unserem Kater konnte ich öfter erleben, dass er schnell hoch kam in einen Baum, aber oben lange überlegen musste, wie er wieder herunter kommt. Da konnte ich ihn beim nichtsprachlichen Denken beobachten. Er guckt sich um: Sind da Äste eines anderen Baumes in der Nähe, die ihm weiterhelfen? Sein Blick bleibt an einem Ast hängen: Komme ich da heile rüber? Kann ich so weit springen? Ist meine Lage auf dem anderen Baum besser?

Schließlich hat er einen Weg gefunden und kam gesund wieder auf den Boden. Also erfolgreich gedacht. Natürlich hat er sich diese Fragen nicht in Worten gestellt, aber in Vorstellungen, in vorweggenommenen Bildern, wie es sein würde. Er hatte Erfahrungen, aus denen sich sein Weltbild bildete, auf das er zurückgreifen konnte bei seinen Überlegungen.

So sehr viel anders ist mein Denken auch nicht. Das in Worte fassen geschieht oft erst später.

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Pescatori  24.08.2023, 16:13
@Machtnix53

Vielen Dank für deinen hilfreichen Kommentar!

Habe gleich versucht, mich in die Lage deines Katers zu versetzen (;-)), da ich auch immer so gern auf Bäume geklettert bin.

Da verknüpften sich dann visuelle Eindrücke mit den Bewegungserfahrungen. Und wenn dann eine Handlung zustande kam, war wohl tatsächlich die Sprache kaum dabei.

Das habe ich mir bisher noch nie so klar gemacht.

Ich frage mich nun noch, ob das Träumen auch eine Form des Denkens ist, wie auch vieles, was wir als intuitives Geschehen bezeichnen mögen.

Das sprachgebundene Denken will dann aber doch rasch den Traum versprachlichen und den Einfall erklären.

Ich habe bisher wohl immer das Denken viel zu eng mit der Sprache verbunden – obwohl ich doch als Lehrer so sehr einen „sprachfreien Intelligenztest“ (SON) schätzte, weil der weniger „klassenspezifische“ Ergebnisse brachte.

Schön das gerade du, der du doch sehr gern und virtuos mit der Sprache umgehst, ihre Begrenztheit so schön ins Wort gebracht hast ;-)

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Machtnix53  24.08.2023, 18:06
@Pescatori
Schön das gerade du, der du doch sehr gern und virtuos mit der Sprache umgehst, ihre Begrenztheit so schön ins Wort gebracht hast ;-)

Das ist gerade eine Folge meiner Distanz zur Sprache und meines nichtsprachlichen Denkens. Was ich sagen will, muss ich praktisch immer erst in Worte übersetzen. Dadurch habe ich mehr Spielraum, etwas auf unterschiedliche Weise zur Sprache zu bringen und kann aus verschiedenen Formulierungen auswählen.

Wer direkt in Worten denkt, hat wohl nicht diese Möglichkeiten. Vermute ich, da ich ja selbst nicht in dieser Lage bin. Dafür sind sprachliche Denker schneller in mündlichen Diskussionen, da komme ich oft nicht mit, da ich mehr Zeit brauche.

Ich habe ziemlich spät sprechen gelernt. Meine nur ein Jahr ältere Schwester dafür sehr früh und sie hat für mich gleich mitgeredet. Dadurch war es für mich nicht so wichtig, früh sprechen zu lernen.

Mein Vater erzählte später, dass einige Leute glaubten, ich wäre geistig zurückgeblieben, weil ich kaum etwas sprach. Dann aber erlebte er beim Zimmern einer Bretterwand, dass ich ihm nach einer Weile immer zeigen konnte, wo der nächste Nagel hin sollte. Von da an war er sich sicher, dass ich nicht dumm war, sondern nur eine andere Art von Intelligenz hatte.

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Mir gibt die Sprache Impulse, die mein Denken anregen. Da ich aber eher gefühlsgesteuert bin, fehlen mir oft genug die Worte, um Empfindungen zu beschreiben, die man selbst nur fühlen oder spüren kann. Vieles wird im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos kommuniziert, wobei das Denken in einer eigenen Bildersprache angeregt aufblüht, Gedankenwagnisse eingeht und alles zulässt, was mit Worten nicht mehr zu beschreiben ist. Große Denker oder Erfinder zum Beispiel oder kreative Menschen werden gar nicht alles zur Sprache bringen, das würde - so vermute ich - eher den sprudelnden Quell einengen, der sich im Durchlauf aller Entwicklungsstadien ohne unser Zutun automatisch kanalisiert.