Wer kann mir bei meiner Bildinterpretation helfen?

3 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Das Bild „Die Seelenfischerei" (niederländisch: „De zielenvisserij") wurde 1614 von Adriaen van de Venne gemalt.

Er wohnte in den nördlichen Niederlanden und ist unter anderem für Fürsten von Oranien als Künstler tätig gewesen. Dies lässt von ihm erwarten, mehr dieser Seite zuzuneigen.

Ein geschichtlicher Hintergrund ist der lange Unabhängigkeitskrieg der Niederlande in einem Kampf mit dem katholischen Spanien und seinen Herrschern aus der Familie Habsburg. Die nördlichen Niederlande bildeten einen eigenen Staat, während die südlichen Niederlande unter katholisch-habsburgischer Herrschaft blieb (sehr viel später wurde daraus der Staat Belgien). Das Gemälde ist in dem Zeitraum eines zwöfjährigen Waffenstillstandes (1609 – 1621) entstanden.

Das Bild ist vielschichtig. Es gibt Aufschriften an Bildstellen, biblische Bezüge, viele nicht leicht zu erkennende Einzelheiten und Porträtierung zeitgenössischer Personen. Eine erschöpfende Bildinterpretation ist im Rahmen einer Hausuafgabe und einer Hilfe dabei nicht möglich.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:De_zielenvisserij_-_Fishing_for_souls_(Adriaen_Pietersz._van_de_Venne).jpg

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c6/De_zielenvisserij_Rijksmuseum_SK-A-447.jpeg

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/32/De_zielenvisserij_-_Fishing_for_souls_%28Adriaen_Pietersz._van_de_Venne%29_-_detail_01.jpg

1) Die Interpretation der Bäume ist passend. Die Bäume auf der protestantischen Seite grünen voller Laub, der vordere Baum auf katholischer Seite ist teilweise kahl (abgefallene Blätter) und das restliche Laub zu einem großen Teil vertrocknet. Dies bringt eine große Lebenskraft des protestantischen Glaubens zum Ausdruck, abnehmende Lebenskraft des katholischen Glaubens.

Verstärkt wird dies durch ein schon fruchtbares Orangenbäumchen auf protestantischer Seite mit der lateinischen Aufschrift „TANDEM FIT SURCULUS ARBOR“ („Schließlich wird der Zweig/Spross ein Baum“), Wahlspruch des Prinzen Moritz von Oranien. Vor dem vorderen Baum auf katholischer Seite steht dagegen eine alte Frau krummgebeugt und mit vorgestrecktem Zeigefinger ihrer linken Hand in etwas schmutzig und verschlisssen wirkender Kleidung (ob darauf tatsächlich die grammatisch falsche Bezeichnung „VERVS CATOLICA“ („Wahrhafte/echte Katholikin“ steht, kann ich nicht erkennen).

Die sonnige Seite ist die der Protestanten. Dies verstärkt den Eindruck einer größeren Zukunft für sie.

Beim protestahtischen Baum steht ein Hinweis auf einen Psalm der Bibel. Im katholischen Baum ist ein Heiligenbild angebracht.

2) Der riesige Bogen, der im Hintergrund den Fluss überwölbt und in einen Himmel mit Wolken reicht, ist ein Regenbogen.

Nach biblischer Erzählung (1. Mose 9, 8 – 17) hat nach der Sintflut Gott zu Noah und dessen Söhnen gesprochen, einen ewigen Bund mit ihnen, ihren Nachkommen und allen Lebewesen auf der Erde geschlossen zu haben und Zeichen dieses Bundes sei ein Regenbogen in Wolken.

Der Regenbogen bringt eine Verbindung. Möglich ist, an eine Hoffnung auf eine gewisse Gemeinsamkeit unter Christen und zwischen den Teilen der Niederlande und ihren Einwohnern zu denken.

3) Waren die Vertreter der beiden Konfessionen um 1600 "Seelenfischer", also bestrebt, die Seelen der Gläubigen für sich zu gewinnen?

Die dazu geschriebenen Gedanken halte ich für passend.

einige eigene Überlegungen: Viele Glaubensvertreter der Konfessionen waren mit Eifer tätig. Es gab Bemühungen, klarere theologische Aussagen zu erreichen. Es wurden Nornen verbreitet und durchgesetzt. Es geschah religiöse Propaganda. Bildungsmaßnahmen (z. B einen Katechismus lernen) sollten die kirchliche Ordnung verinnerlichen. Die Kirche prägte stark die Vorstellungen und das Verhalten vieler Menschen.

Es kam sogar zu Kriegen. Dabei kann allerdings Bedenken entstehen, ob so etwas ein Gewinnen von Seelen ist. Denn ein solches Seelenfischen beruht in reiner Form auf Freiwilligkeit und Überzeugung. Tatsächlich war aber Machtpolitik stark beteiligt. Herrscher haben oft bestimmt, welcher Konfession die Leute in ihrem Gebiet angehörten. Druck und Gewalt wurden ausgeübt.

noch einige Gedanken zur Bilddeutung:

Das Bild zeigt eine Flusslandschaft.

Die Grenze zwischen den nördlchen und den südlichen Niderlanden verlief an einer Stelle durch den Fluss Schelde.

Auf dem Fluß versuchen Protestandten und katholiken in Ruderbooten, Schwimmende zu fangen und zu retten, was symbolisiert, „Seelen zu fischen“. Auf den Ufern schaut jeweils eine Menschenmenge zu.

Der Bildtitel bezieht sich auf einen Erzählung in den Evangelien, Jesus habe in Galilaea am See Genezareth Fischer zu Jüngern gewonnen (Simon Petrus und dessen Bruder Andreas; Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus) und dabei einzelne dazu aufgerufen, Menschenfischer zu werden (Markus 1, 16 – 20; Matthäus 4, 18 – 22; Lukas 5, 8 – 11).

Die protestatischen Prister und Laienprediger sind einfacher gekleidet (schwarzes Gewand, weißer Kragen, die im Boot haben eine ruhige, ernste Miene und scheinen Zuversicht/Selbstvertrauen zu haben. Die katholischen Priester und Mönche sind zum Teil etwas farbiger gekleidet, ihre Mienen besorgter, sie bieten mehr Sinnesreize (z. B. auch Musik). Der Papst (damals Paul V.) wird in einer Prossession in einer Sänfte getragen, begleitet von Kardinälen (rote Hüte und Gewänder) und gefolgt von weiteren geistlichen Würdenträgern.

Im Bug des Bootes der Protestanten im Vordergrund steht lateinisch „IEHOVAE IUDICIUM“ („Jehovas Urteil/Gericht“), sie haben Bibeln in den Händen, zum Teil  mit bemerkbaren Stellenangaben. An ihren Netzen steht auf Bändern FIDES („Glaube“), SPES (Hoffnung“) und CHARITAS (caritas; „Liebe“).  Im Bug des Bootes der Katholiken im Vordergrund steht lateinisch PAP. IUDICIUM (papae iudicium; „Urteil/Gericht des Papstes“).

Am Ufer befinden sich jeweils auch weltliche Herscher und füsrten bzw. Familienmitglieder von ihnen. Auf protestantischer Seite gehören dazu unter anderem Prinzen Moritz von Oranien und seine Brüder Friedrich Wilhelm von Oranien und Friedrich Heinrich von Oranien, Friedrich V. von der Pfalz, Jakob I. von England, Christian IV. von Dänemark sowie Ludwig XIII. von Frankreich mit seiner Mutter Maria von Medici (diese waren Katholiken, sie stehen vermutlich bei den Protestanten, weil König Heinrich IV. von Frankreich früher einmal Protestant gewesen war und politisch für die nördlichen Niederlande und gegen Spanien ausgerichtet war und dies in der Erwartung bei seinem Sohn bzw. seiner Witwe fortgesetzt wurde). Auf protestantischer Seite gehören dazu unter anderem Erzherzog Albrecht VII. von Österreich, Isabella Clara Eugenia, Philipp III. von Spanien, General Ambrosio Spinola.

Die Protestanten scheinen etwas erfolgreicher zu fischen, außerdem in größerem Ausmaß Leute, die jung, gesund und kräftig sind. Ein Boot der Katholiken droht umzukippen, ein anderes mit musizierenden Leuten kommt nicht vom Ufer los.

Die Anzahl der Menschen auf dem protestantischen Ufer scheint etwas zahlreicher zu sein als  die Anzahl der Menschen auf dem katholischen Ufer.

Das Bild scheint eine religiös-moralische Überlegenheit der Protestanten auszudrücken.

Johann Hinrich Claussen, Die 95 wichtigsten Fragen – Reformation. Originalausgabe. München : Beck, 2016 (C.H. Beck Paperback ; 7045), S. 129:

„Ein breiter Strom teilt das Bild in zwei Hälften. Auf der linken Seite finden sich die frommen, in schlichtes Schwarz gekleideten Reformierten. Drei hohe grüne Bäume signalisieren Fruchtbarkeit. Auf der rechten Seite sieht man die Katholiken, im Vordergrund einige besonders seltsame Gestalten, im Hintergrund wird ein Papst in langer Prozession herangetragen. Ein dürrer Baum signalisiert Verfall. Von beiden Ufern aus fahren Boote auf den Strom, um Ertrinkende zu retten. Die katholischen Boote sind überladen: mit Weihrauch verbreitenden Priestern in farbigen Gewändern, singenden Mönchschören, Instrumentalensembles und sogar einer Orgel. All diese Reize fehlen auf den Booten der Reformierten. Die schwarzen Seenotretter haben ausschließlich ihre Bibeln zu bieten. Die Wertung des Bildes ist eindeutig. Unklar aber bleibt, welche Seite am Ende mehr Seelen Seelen fischen wird.“

https://www.akg-images.de/archive/Die-Seelefischerei-2UMEBM69ARCU.html

„Auf der linken sonnigen Seite des Flusses mit belaubten Bäumen die Protestanten der nördlichen Niederlande mit den Prinzen Moritz und Friedrich Heinrich von Oranien, Friedrich V. von der Pfalz, Jakob I. von England, Christian IV. von Dänemark sowie Ludwig XIII. von Frankreich mit seiner Mutter Maria von Medici; auf der rechten Seite die Katholiken des südlichen Teils der Niederlande mit Erzherzog Albrecht VII. von Österreich und Isabella Clara Eugenia, Philipp III. von Spanien, Ambrosio Spinola sowie dem von Kardinälen in einer Sänfte getragenen Papst. Auf dem Fluss fischen Boote beider Konfessionen nach Seelen.“

ilovehermine 
Fragesteller
 05.12.2019, 19:54

Wow, vielen Dank für deine großartige Hilfe! Das ist den Stern wert, sobald ich ihn vergeben kann. Du hast mir wirklich unter die Arme gegriffen. :)

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Knochendochen13  10.12.2019, 23:46

Wirklich eine sehr kompetente Antwort! Herzlichen Dank! Ich habe in der Schule das gleiche Bild behandelt und du hast mir mit deiner Antwort wirklich sehr weitergeholfen.

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Hier steht etwas zu der Situation:

https://artinwords.de/achtzigjaehriger-krieg-spanisch-niederlaendischer-krieg-und-die-entstehung-der-niederlande/

Ich bin nicht ganz sicher, ob hier (1600) der Begriff "Protestanten" ausreicht. Luther lebte um 1500 herum bis Mitte des 16. Jahrhunderts; er verbreitete seine Thesen/ Lehrer also deutlich früher als 1600. Möglicherweise müsste man hier noch mal zwischen den Untergruppen differenzieren, also nicht nur "Protestanten", sondern Calvinisten und was die im Gegensatz zu den Katholiken wollten.

ilovehermine 
Fragesteller
 04.12.2019, 21:13

Vielen Dank! Das ist sehr hilfreich! :)

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1. Ja

2. Ich denke, eine "Brücke", weil die Verbindung der beiden Konfessionen immer noch anwesend ist

3. Ja

Woher ich das weiß:Hobby – Ich bin sehr geschichtsinteressiert und weiß so einiges
ilovehermine 
Fragesteller
 04.12.2019, 21:13

Das mit der Brücke zwischen den Konfessionen ist eine gute Idee, danke! :)

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