Welcher Betrachter hat effektiv die langsamere Zeit?

6 Antworten

Bewegt sich beispielsweise ein Raumschiff mit der halben Lichtgeschwindigkeit relativ zu einem anderen Beobachter, so sollte die Zeit des Raumschiffs langsamer vergehen.

das ist schon ein bisschen schlampig formuliert. die uhr (und alle anderen prozesse) im raumschiff geht aus sicht des anderen beobachters - nachdem er alle effekte einer endlichen lichtlaufzeit herausgerechnet hat - langsamer. das kommt daher das gleichzeitigkeit (also was passiert gleichzeitig damit dass meine uhr 1 sekunde anzeigt, was passiert gleichzeitig damit dass meine uhr 2 sekunden anzeigt, usw... ) in den beiden bezugssystemen unterschiedlich definiert ist.

für alle im raumschiff vergeht die zeit natürlich nicht langsamer, sondern immer ganz normal.

Aus dem Bezugssystem des Raumschiffes jedoch bewegt sich der Beobachter mit der halben Lichtgeschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung und die Zeit des Beobachters sollte sich analog dilatieren.

ja, ganz analog zu oben.

Für welche Person ist am Ende effektiv mehr Zeit vergangen, wenn sich der Insasse des Raumschiffs und der Beobachter sich später im gleichen Bezugssystem treffen?

(man trifft sich nicht "in einem bezugssystem", aber das nur am rande) für wen mehr zeit zwischen zwei treffen am selben ort vergangen ist hängt davon ab was sie zwischen den beiden treffen getan haben. es ist für jenen weniger zeit vergangen, der den kürzeren weg in der raumzeit zwischen diesen ereignissen genommen hat (genauso wie ich wenn ich spazieren gehen auf unterschiedlichen routen zum selben ziel kommen kann, und dabei jeweils unterschiedlich lange strecken (im raum in diesem fall) zurücklege).

da du nicht spezifiziert hast wie sich die beiden beobachter zwischen diesen beiden treffen bewegen, kann man darauf keine konkrete antwort geben

Das ist eines der großen Problemstellungen der speziellen Relativitätstheorie, das "Zwillingsparadoxon".

Demnach könnte Person A in ein Raumschiff steigen sich mit halber Lichtgeschwindigkeit in Richtung eines anderen Sonnensystems bewegen, dann wieder zurück und dann könnte Person A zu Person B, der sich während der Zeit auf der Erde befand, sagen: "HAHA bist ganz schön alt geworden!" genauso kann aber auch Person B zu Person A sagen: "Gar nicht, bist selber ganz schön alt geworden!"

Was machen wir jetzt, es kann ja nicht sein, dass für jeden eine eigene Realität gilt. Beide Realitäten müssen spätestens beim Zusammentreffen wieder übereinstimmen.

Die Lösung des Rätzels ist, dass Person A welcher sich mit dem Raumschiff entfernt hat umdrehen musste. Beim Umdrehen ist das Bezugsystem kein Inertialsystem und damit gelten die Regeln der speziellen Relativitätstheorie nicht mehr, denn die Regeln gelten nur für Inertialsysteme also Systeme mit konstanter Geschwindigkeit. Dieser Wechsel aus dem Inertialsystem in ein beschleunigtes Bezugssystem führt zu der Erklärung warum es das Zwillingsparadoxon nicht existiert.

In dem folgenden Video wird das "Raumzeitdiagramm" wirklich sehr anschaulich von Josef M. Gaßner erklärt:

https://www.youtube.com/watch?v=wvvngeHEq2M

Reggid  17.02.2022, 22:55
Das ist eines der großen Problemstellungen der speziellen Relativitätstheorie

eigentlich ist es nur ein winzig kleiner aspekt um den viel zu viel aufhebens gemacht wird um leute zu verwirren.

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DoctorBibber  17.02.2022, 22:57
@Reggid

Ja sagen wir mal das erste größere wenn man beginnt sich damit zu beschäftigen. Sozusagen das erste Rätzel das es gewissermaßen zu Lösen gilt.

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Reggid  17.02.2022, 23:01
@DoctorBibber

ich denke ob das ein rätsel darstellt oder nicht hängt vor allem vom gewählten didaktischen zugang ab.

aber ja, in der form in der die meisten leute mit der relativitätstheorie in berührung kommen, scheinen derartige "paradoxa" in der tat oft verwirrend zu sein.

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Von Experte indiachinacook bestätigt

Das ist das "Zwillingsparadoxon".

Die beiden können sich nicht treffen, ohne dass einer sein gleichförmig bewegtes Bezugssystem verlässt und in ein anderes wechselt. Derjenige ist dann der, für den die Zeit langsamer vergangen ist.

SlowPhil  19.02.2022, 01:23

Das Bezugssystem ist dasjenige Koordinatensystem, auf das Größen wie Position und Geschwindigkeit bezogen werden, und ein Koordinatensystem kann man nicht verlassen.

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HaramLP 
Fragesteller
 19.02.2022, 11:38

Dankeschön!
Also lässt sich die Dilatation der Zeit erst feststellen, wenn einer sein Inertialsystem verlässt, sprich beschleunigt. Gibt es dazu Formeln oder nähere Beschreibungen? Von dem was ich sehe basiert der Lorentzfaktor letztlich auf die relative Geschwindigkeit und bindet keine Beschleunigungen mit ein. Liege ich falsch?

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HaramLP 
Fragesteller
 19.02.2022, 11:43
@HaramLP

*auf der relativen Geschwindigkeit

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Hallo HaramLP,

die Spezielle Relativitätstheorie (SRT) ist letztlich die konsequente Anwendung von GALILEIs Relativitätsprinzip (RP) auf MAXWELLs Elektrodynamik.

Koordinatensysteme
Die Spezielle Relativitätstheorie sagt aus, dass relativ bewegte Bezugssysteme eine langsamere Zeit haben.

Du meinst Koordinatensysteme bzw. deren "Anker", nämlich Körper, von denen aus wir sie definieren. Das Bezugssystem ist dasjenige Koordinatensystem, in dem wir Größen wie Ort und Geschwindigkeit ausdrücken, auf das wir sie beziehen. Sein Anker wird demnach als stationär angesehen. Def Ausdruck "bewegtes Bezugssystem" ist also eigentlich ein Widerspruch in sich.

Ein Inertialsystem ist ein Koordinatensystem, auf dessen "Anker" keine Beschleunigung wirkt und dessen räumliche Achsen auch nicht rotieren.

Ein Ruhesystem eines Körpers ist ein Koordinatensystem, in dem er als ruhend beschrieben wird. Jedes Koordinatensystem ist natürlich ein Ruhesystem seines "Ankers".

Jedes Koordinatensystem beschreibt grundsätzlich die gesamte Raumzeit; Du kannst Dich also nicht außerhalb davon befinden oder es verlassen. Du kann Deinen Bewegungszustand ändern, und dann ist Dein vorheriges Ruhesystem eben nicht mehr Dein aktuelles Ruhesystem. Du kannst Sachverhalte in einem anderen Koordinatensystem beschreiben als vorher, dann ist das Dein neues Bezugssystem.

Ein Beispiel mit Zahlen
Bewegt sich beispielsweise ein Raumschiff mit der halben Lichtgeschwindigkeit ...

Als Zahlenbeispiel bevorzuge ich v=0,6c (v ist das Tempo des Raumschiffes, c ist das Lichttempo), weil es sich besser rechnen lässt. Das Raumschiff nenne ich gern B'.

... relativ zu einem anderen Beobachter, so sollte die Zeit des Raumschiffs langsamer vergehen.

Genauer: Wenn sich der Beobachter (auf einem Raumschiff B) als stationär interpretiert, so interpretiert er den Zeittakt der Borduhr von B' als um den LORENTZ- Faktor

(1) γ := 1/√{1 − (v⁄c)²}

länger, in unserem Beispiel 1,25.

Wechselseitigkeit der "Zeitdilatation" und warum das Wort irreführend ist
Aus dem Bezugssystem des Raumschiffes jedoch bewegt sich der Beobachter ... in die entgegengesetzte Richtung ...

Richtig, das ist die Hauptaussage des RP.

... und die Zeit des Beobachters sollte sich analog dilatieren.

Tut sie auch – wobei man sagen muss, dass das Wort "Zeitdilatation" irreführend ist. Ein Vorgang an Bord von B', der laut Borduhr eine bestimmte Dauer Δτ hat (Eigenzeit), wird nicht wirklich auseinandergezogen. Vielmehr ist seine Projektion auf die Weltlinie (WL) von B, die B- Koordinatenzeit Δt, um γ länger.

Umgekehrt gilt dasselbe. Das ist nicht widersprüchlich: Stellen wir uns zwei Straßen vor, die einen Winkel von knapp 37° miteinander bilden, und Leitpfosten im Abstand von 50m. Es ist nicht widersprüchlich, dass der Anteil des Abstandes in Vorwärtsrichtung der jeweils anderen beidseitig nur 40m beträgt.

Solange die Geschwindigkeit von B und B' relativ zueinander konstant ist, ist es reine Interpretationssache, welche Uhr langsamer geht.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
HaramLP 
Fragesteller
 19.02.2022, 11:58

Vielen Dank!
Laut den anderen Antworten ist wohl der Übergang in ein gemeinsames Inertialsystem verantwortlich dafür, dass bei einer Person mehr Zeit vergangen ist. Entschleunigt das Raumschiff auf die Geschwindigkeit der Erde und trifft den Beobachter, mit wem er sich dann über die vergangene Zeit austauscht, benutzt man einfach die Formel t' = t/√{1 − (v⁄c)²}, um die Zeitdilatation auszurechnen? Und was würde passieren wenn sie ihre Inertialsysteme nicht verlassen und sich stattdessen Signale zum Austausch senden?

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SlowPhil  19.02.2022, 12:50
@HaramLP
Und was würde passieren wenn sie ihre Inertialsysteme nicht verlassen ...

Ein Inertialsystem ist ein Koordinatensystem, definiert von einem Körper aus, auf den keine Beschleunigung wirkt. Koordinatensysteme kann man nicht verlassen.

Es ist einfach so, dass ein und derselbe Vorgang, der in einem Koordinatensystem als Beschleunigung im landläufigen Sinne¹) gedeutet wird, in einem anderen als Abbremsung.

... und sich stattdessen Signale zum Austausch senden?

Dann werden sie einander zuerst (da sie sich einander nähern) im Zeitraffer sehen; jeder Vorgang erscheint dem anderen auf das

1⁄K = √{(1 − v⁄c)/(1 + v⁄c)}

-fache kürzer. Während sie einander passieren, wird der scheinbare Zeitraffer schwächer und kehrt sich schließlich zur scheinbaren Zeitlupe um; jeder Vorgang erscheint dem Anderen schließlich um K länger.

Die "Zeitdilatation" liegt nun darin, dass einer entweder sich selbst als stationär ansieht, was zu einem erwarteten Faktor

1/√{1 − v⁄c} = γ∙Κ

führt, oder den anderen als ruhend und sich als bewegt. Das führt zum erwarteten Faktor

1 + v⁄c = K⁄γ.

_____

¹) Im Sinne von 'schneller werden' also. In der Physik versteht man unter Beschleunigung allerdings jegliche Änderung der Geschwindigkeit, und zwar auch eine Änderung ihrer Richtung.

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SlowPhil  12.08.2022, 02:51
@SlowPhil

ERRATRUM:

Die "Zeitdilatation" liegt nun darin, dass einer entweder sich selbst als stationär ansieht, was zu einem erwarteten Faktor
1/√{1 − v⁄c} = γ∙Κ
führt,...

Das ist natürlich falsch. Da hat die Definition

γ := 1/(1 − (v⁄c)²) =: 1/√{1 − β²}

hineingefunkt. Es muss

1/(1 − β) = γ∙K

heißen: Mit β := v⁄c und

γ∙K = √{1 + β}/(√{1 − β}∙√{1 − β²})
      = √{1 + β}/(√{(1 − β)(1 − β²)}
     = √{1 + β}/√{(1 − β)(1 − β)(1 + β)}

(3. Binom. Formel)

 = √{1 + β}/(√{1 − β}∙√{1 − β}∙√{1 + β})
= 1/(1 − β)

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HaramLP 
Fragesteller
 19.02.2022, 12:29

Ah, ich denke, dass ich das jetzt verstanden habe. Nochmal, vielen Dank!

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Das läßt sich erst dann feststellen, wenn feststeht, wie genau sie das "Treffen im gleichen Bezugssystem" bewerkstelligt haben.