Warum setzen so viele den Anspruch an ethischen und moralischen Handeln herunter, sobald eine Person vermeintlich "über" ihnen stünde, aber herauf, sobald es?

3 Antworten

Jetzt habe ich Deine Frage erst verstanden. Es geht mir wie Destranix, ich denke, das Gegenteil ist der Fall.

Die Moral-Typecasting-Hypothese besagt, daß Menschen andere intuitiv entweder in die Kategorie "Moral Agent" (also: im positiven oder negativen Sinne handlungsfähig) oder "Moral Patient" (also: empfangend/erleidend) einordnen und die moralischen Ansprüche, sowohl was die Behandlung dieser Person als auch ihr eigenes Handeln angeht, entsprechend anpassen. Und sobald diese Einordnung einmal getroffen ist, bleibt sie auch unter geänderten Umständen und in anderen Situationen stabil:

Thus, in the mind of the perceiver, a villain cannot suddenly transform into a victim, nor can someone categorized as a benefactor easily change into a beneficiary. Just as a moral agent does not transform readily into a moral patient, the moral patient is hard to see as a moral agent. Someone we view as having been hurt or helped, or even as being sensitive to hurt or help, does not readily transform in our minds to become one who causes hurt or renders help. The perception of someone as a moral agent should promote the typecasting of this person as a moral agent—and so yield a tendency to see this person as a moral agent and not as a moral patient in this or other settings. Similarly, a person who is a moral patient in one circumstance should persist as a patient and not be seen as a moral agent in this or other settings.

Die Studien in dem verlinkten Paper zeigen zum Beispiel, daß einer Person, die einmal als "Patient" kategorisiert ist, unter den gleichen Umständen ein höherer Leidensdruck ("mehr Schmerz") unterstellt und mehr Empathie entgegengebracht wird als einer, die als "Agent" wahrgenommen wurde, deren Leid eher unterschätzt wird, weil sie sich "ja selbst helfen kann".

Und da einer einer "hochstehenden" Person idR mehr Handlungsfähigkeit zugeschrieben wird, ist auch davon auszugehen (und das deckt sich mit meinen Beobachtungen), daß ihr gegenüber weniger moralisches Verhalten erwartet und an den Tag gelegt, von ihr aber ein moralischeres erwartet wird, und einer "niedrigstehenden" entsprechend umgekehrt.

Es gibt sicher eine kleine Gruppe von Menschen, die von "Might makes right" ausgehen und meinen, wer es in eine hohe Position geschafft hat, muß ja etwas richtig gemacht haben und darf daher nicht kritisiert werden. Möglicherweise nimmst Du diese Leute überproportional wahr, aber das verlinkte Paper zeigt deutlich, daß sie eine Minderheit sind.


guitschee 
Beitragsersteller
 24.07.2025, 10:21

Diese Minderheit sind ein paar Milliarden Menschen...

gwf79  24.07.2025, 10:38
@guitschee

Wie gesagt, die Studien zeigen etwas anderes.

Ich habe aber auch den Eindruck, daß Du eigentlich etwas anderes meinst. Die Leute, die O.J. Simpson unterstützt haben, werden ja nicht gesagt haben "Na und, selbst wenn er zwei Menschen ermordet hat, finde ich das nicht so schlimm", sondern "Ich glaube nicht, daß er das getan hat".

Das liegt aber daran, daß er (damals: im positiven Sinne) berühmt ist und nicht daran, daß er irgendwie "hochgestellt" ist. Wir neigen dazu zu glauben, daß wir berühmte Menschen kennen, und von jemandem, der ein positives Image hat, nehmen wir eben auch an, daß er sich immer gut verhält, und glauben entsprechend weniger, wenn wir etwas gegenteiliges hören.

Wenn wir irgendwo lesen, Dieter Bohlen habe jemanden beleidigt, werden wir das eher glauben, als wenn es in der Meldung um Helene Fischer ginge.

(Umgekehrt ist es natürlich wahr, daß Bohlen sich eine gewisse Narrenfreiheit erarbeitet hat und wir bei ihm eher sagen würden "Ja, so ist der halt", während wir bei Helene Fischer sicher konsternierter wären. Das hat aber IMHO nichts mit einer hohen oder niedrigen gesellschaftlichen Stellung zu tun, sondern mit dem Image.)

Und der abrahamitische Gott ist ein ganz anderes Thema. Der ist ja axiomatisch gut, selbst wenn er ganze Städte in Schutt und Asche legt oder die ganze Erde mit dem erklärten Ziel überflutet, alle Menschen bis auf eine Familie umzubringen. Das ist aber auf die Bewertung von Menschen (vielleicht den Papst ausgenommen) nicht zu übertragen.

Wer Macht hat, von dem wird auch etwas erwartet. Wer wenig Macht hat, an den hat man geringere Ansprüche, denn derjenige kann auch nicht viel bewirken, weder im guten noch im schlechten.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Laie mit Interesse an Psychologie

guitschee 
Beitragsersteller
 24.07.2025, 09:33

Ganz häufig sehe ich das Gegenteil. Die Erwartungen werden verringert, sobald jemand Macht hat, oder zumindest werden Erwartungen dann weniger ausgesprochen ...

Destranix  24.07.2025, 09:35
@guitschee

Du meinst, die Leute sagen: "Ach, der ist reich, da ist das okay, wenn er andere über's Ohr haut"?

Klingt unrealistisch. Hast du Beispiele?

Destranix  24.07.2025, 09:39
@guitschee

Das ist ein ganz anderes Thema, an mystische Wesen werden generell andere Maßstäbe gesetzt als an Menschen.

guitschee 
Beitragsersteller
 24.07.2025, 09:48
@Destranix

Okay, auch bei Leuten mit viel Geld ist es zu beobachten. Nehmen wir jemanden wie OC Simpson.

Destranix  24.07.2025, 09:49
@guitschee

Mit dem kenne ich mich nicht aus. Außerdem ist USA auch noch mal was anderes. Und es liegt weniger an Macht als an Berühmtheit wohl.

guitschee 
Beitragsersteller
 24.07.2025, 09:50
@Destranix

Hrm, Macht vs Berühmtheit, darüber muss ich nachdenken.

Das Gegenteil würde ich beobachten.

Z.b Thema Umwelt/Klimaschutz.

Da heißt es immer : Naja, wir haben das ja nicht in der Hand, die Politik muss was machen, die haben die Macht.

Die Wirtschaft muss was machen, die haben das Geld.

Die Eliten müssen was machen, die haben beides.

Was sollen wir kleinen Leute da tun ?

Wenn jemand klein und unbedeutend ist dann erwartet man selten das der die Welt verändert.

Allerdings ist das die falsche denke... wir kleinen sind die 90% auf die es ankommt... die Summe machts.

Die "Eliten" sind nur die Spitze des Eisbergs.