Warum ist es für Menschen mit Migrationshintergrund so wichtig, trotz kleinerem Vermögen das prestigeträchtigere Auto zu fahren?

10 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Da zählen einfach andere Werte als in der deutschen Reihenhaus-Kultur. Ich habe selbst einen Migrationshintergrund und ein gehobenes Fahrzeug steht sinnbildlich dafür, dass man es geschafft hat, dass Wohlstand da ist, dass man repräsentieren kann und in der Gesellschaft ein geachtetes Mitglied ist. Das wird schon mehr oder weniger in der Erziehung eingetrichtert oder von anderen Familienmitgliedern vorgelebt. Meinem Opa reichte auch eine Mietwohnung, aber es musste dennoch mit jedem Modellwechsel das jeweils aktuelle Modell von Opels Oberklasse (Senator damals) sein.

Immobilien bzw. das klassische deutsche Reihenhaus-/Hundeglück sind bei uns "Ausländern" (ich bin Deutsch-Jugoslawe) zum Großteil nicht so gefragt, weil man es nicht kennt und die Mentalitäten anders sind. Die Schwerpunkte liegen woanders. Ich kenne etliche Landsleute, die sich fragen, warum ein deutscher Arbeiter sich jahrzehntelang verschuldet, nur damit er sagen kann, er hat ein kleines Häuschen mit Garten.

Was noch ein Unterschied ist: Die "Ausländer" arbeiten oft um zu leben, der "Deutsche" lebt um zu arbeiten und macht sich viel mehr Sorgen um die Zukunft, die er oft schwärzer malt als sie ist ... nach dem Motto, schon morgen kann das Ersparte weg sein, außerdem erziehen Deutsche ihre Kinder oft zu geduckter Demut und einer regelrecht beschämten Haltung ... ja nicht auffallen und immer vernünftig sein.

Ich hatte teilweise auch viel zu große Autos bis hoch zu einem Opel Omega 3.2 V6 und einem BMW 728i (E38 war das damals noch), bis ich merkte ... das braucht eigentlich niemand so richtig. Ich fahre seit 2013 Mercedes C-Klasse als C180, das ist völlig in Ordnung und ein qualitätsvolles, zuverlässiges Auto.

Meine frühere Liebe zu großen Autos kam aber auch aus anderen Gründen: Ich war schon immer so ein bisschen an Autos und Technik interessiert und hatte andererseits nicht das beste Selbstwertgefühl, weil meine Familie und ich in Deutschland oft diffamiert und belächelt worden sind. Da wollte ich einfach allen zeigen, "dabei zu sein" und mehr zu können usw., deswegen wurde damals, sobald ich es mir durch den beruflichen Aufstieg nach oben leisten konnte, der BMW 728i gekauft und der Opel Omega 3.2 V6 und davor ein Audi 100 ... und so weiter. Deutsche der selben Gehaltsklasse im selben Alter kauften einen Audi A3 mit vielen Extras oder einen 3er-BMW oder Audi A4, ich saß aber im BMW 728i mit Handschaltung, einfachstem RDS-Kassettenradio, dunkelblauem Uni-Lack und Stoffsitzen ... Basisklasse, aber es war ein Siebener. Vielen Ausländern in Deutschland geht es so, ich kenne solche Geschichten auch von Russlanddeutschen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
TraderJoe9 
Fragesteller
 23.02.2022, 15:06

Danke für diese interessante Erklärung. Mit Migrationshintergrund meinte ich eigentlich, ohne es zu sagen, die Muslime in Deutschland. Dort fällt das in der Fragestellung beschriebene Verhalten imho besonders stark auf. Ich kann es bis heute nicht nachvollziehen aber ok.

Vielleicht ist es für viele Deutsche normal seinen Wohlstand auf dem Sparbuch zu haben statt woanders? So kommts mir jedenfalls oft vor.

Für deine grundehrliche und aufschlussreiche Antwort gebe ich dir den Stern. Insbesondere weil du dich durch die Frage von mir, anders als die Grünen in der deutschen Bevölkerung (die arbeiten meistens in den Medienberufen oder als Lehrer) , die immer an lautesten sind und normale Leute als nazis diffamieren, nicht angegriffen gefühlt hast.

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rotesand  23.02.2022, 18:28
@TraderJoe9

Vielen Dank für den Stern. Du hast recht, meine Antwort ist absolut ehrlich und ich kann da auch noch weiter ausführen... der Tag war lang, aber ich habe jetzt Zeit und das Thema ist mir auch wichtig.

Luxusgegenstände wie dicke Autos oder "Prominenz" als Popstar, Fußballer usw. wünschen sich meistens Jugendliche aus problematischen Verhältnissen. Sie verbinden mit Prominenz oder dem Erwerb von Statussymbolen und Luxusgegenständen Geld, Macht, Ehre, Ansehen, Wohlstand, emotionale und finanzielle Sicherheit, Achtung, Respekt, Verehrung und Bewunderung durch Andere - alles, was sie nicht haben. Die liegen abends mit dem MP3-Player im Bett und träumen, sehen sich auf der Showbühne aus vollem Halse singen während die Feuerzeuge in der ausverkauften Arena brennen oder bei YouTube durch die Decke gehen.

So ein Wunsch hängt mit fehlender psychischer Stärke in jungen Jahren zusammen, aber auch mit der typischen (unsicheren) Vita vieler Leute gerade aus dem Milieu, die sich dann über Konsum oder oberflächliche Beliebtheit/Ruhm und Anerkennung, die sie da wo sie herkommen nie erhielten, definieren und meinen, alles was ihnen in der Vergangenheit vielleicht auch an Mobbing oder Unrecht angetan worden ist, damit kompensieren zu können.

Da zählen andere Werte als in einer bürgerlichen Reihenhaussiedlung. Da will man immer "besser sein" und hat "Sehnsucht nach was Besserem" und würde fast jedes Hindernis in Kauf nehmen wenn man wüsste, es wird danach endlich gut. Ich habe es mir wie nicht wenige meiner Freunde (meist Russlanddeutsche) gewünscht, wie Dieter Bohlen/Blue System (das war in den 90ern unser Held) ein geachteter Popsänger in einem schicken Anzug zu werden, viel Geld zu verdienen, Geld für Anzüge und Schmuck und Krawatten und Autos zu haben - oder zumindest den Leuten zu zeigen, was ich kann und dass ich nicht der Ausländer bin, sondern ein Typ, der auch was kann.

Ich wünschte mir als Jugendlicher so mit 17 ein fettes Auto und stellte mir vor, in einem Mercedes W124 mit den schönen originalen Alufelgen und schwarzen Rücklichter und dunkel abgeklebten hinteren Fenstern rumzufahren und das in einem Anzug, schön laut Dieter Bohlen Musik und irgendeinen 90er Eurodance zu hören und alle lägen mir zu Füßen. Das ist natürlich hirnrissig, aber viele dachten damals so. Mir ist das auch nicht peinlich!

Dahinter steckte ein Komplex: Ich als oft diffamierter Ausländer, über den sich sogar eine Lehrerin immer lustig machte bis ich mal während des Unterrichts aufstand, vorging und ihr sagte, dass sie erstmal ihre eigenen Probleme lösen soll bevor sie sich über die Probleme anderer belustigt, hätte es mir gewünscht dass man als Star oder als Fahrer einer fetten Karre, die auf Wohlstand schließen lässt, endlich ernstgenommen wird, was man im realen Leben oft nicht wird, wenn irgendwas nicht "passt", mal so gesagt. Ich glaube dass typische "deutsche Jugendliche" aus der Einfamilienhausfamilie mit christlich orientierter Vorzeigefamilie, soliden Berufschancen und mit "solidem" Leben, die geliebt und geschätzt werden und arriviert sind und keine Sorgen haben und wo der Vater ihnen eine Lehrstelle sowieso organisiert, sich solche Wünsche gar nicht einreden, weil sie das nicht brauchen und sich auch so angenommen fühlen. Die träumen eher von Studium, Beamtentum oder großes Haus auf der grünen Wiese und eigenem Pferd auf der Koppel und drei Kinder, die auch alle Abi machen werden - als davon, bei Dieter-Thomas Heck am Samstagabend in "Musik liegt in der Luft" tanzbare Popsongs zum Mitklatschen zu präsentieren und bunte Sakkos zu tragen, eine Rolex zu besitzen und Mercedes zu fahren. Die sind "gefestigt genug".

Wir aber fühlten uns von anderen vernachlässigt und abgehängt, nicht gewollt und nicht akzeptiert und nicht wertgeschätzt - wir wollten da einfach nur raus. Fette Autos sind ein Symbol, das Erfolg und den Ausweg verspricht.

Heute fahre ich nach der Arbeit manchmal echt in meinem Mercedes rum und höre Dieter Bohlen Musik und denke mir ... ach ja :-)

Vielleicht ist es für viele Deutsche normal seinen Wohlstand auf dem Sparbuch zu haben statt woanders? So kommts mir jedenfalls oft vor.

Das wird oftmals mehr oder weniger schon erzogen: Bloß geduckt und demütig sein, nicht auffallen, seinen Nerz nach innen tragen, alles so machen wie die anderen auch; man darf sich nicht attraktiv finden, sich selbst bestenfalls tolerieren aber nicht mögen weil es sonst in Richtung Arroganz geht (stimmt nicht, es kommt auf das Maß an und das trifft halt nicht jeder auf Anhieb -----> anderes Thema ... auf der anderen Seite redet man den Kiddies schon so Selbstbewusstseins-Kram ein, während man es ihnen dann wieder ausredet ... völliger Nonsens in meinen Augen); man darf sich nicht über Erfolge freuen, soll schön tiefstapeln und demütig sein und am besten wäre es eigentlich, wenn man gar nicht existieren würde. So habe ich es oft erlebt.

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Du machst also Vermögen an Autos aus? Und ziehst dabei alle über einen Kamm? Seeeehr schlechte Einstellung. Wenn es jemand kann, warum sollte er es nicht machen.

IchMagLasagne  22.02.2022, 14:59

Vor allem gibt es ja auch noch sowas wie Leasing oder Auto Mieten oder gar gebraucht kaufen. Wenn man so denkt wie der Fragensteller, haben die Leute die reich wirken wollen, bei ihm genau das erzielt.

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Bumblebobee  22.02.2022, 15:01
@IchMagLasagne

Jepp. Einfach nur Neid mit dem man nicht umzugehen weiß und hier Verbündete sucht.

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IchMagLasagne  22.02.2022, 15:02
@Bumblebobee

Man muss halt dafür hart arbeiten, sich aber aufregen und neidisch sein und deswegen schöne Autos und so schlecht reden, ist natürlich immer einfacher.

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Das hat nichts mit dem Migrationshintergrund, sondern mit der sozialen Lebensrealität zu tun.

Und da diese oftmals bei Menschen mit Migrationsgeschichte prekärer leider ist, hat ein eigenes Auto dadurch auch einen anderen Wert.

Also pauschal finde ich das eine schwierige Aussage. Das ist sicher nicht für alle so.

Aber es gibt natürlich viele Menschen die hier herkommen und viele Jahre in relativer Armut leben, Hartz4 oder andere Unterstützung erhalten und dann natürlich darauf fixiert sind, nicht "arm" zu sein bzw. wenigstens nicht arm auszusehen.

Das fängt bei gefälschten Markenklamotten an, dem Goldkettchen, der teuren Telefon und geht dann bis zum AMG den man sich mit 6 Cousins teilt, der auf Papas Kebab-Stand angemeldet ist...... (um mal im Klischee zu sprechen, sorry).

Am Ende ist es ganz trocken gesagt ein Minderwertigkeitskomplex der hier zum Ausdruck kommt, bzw. kompensiert werden soll. Das ist ähnlich zu dem Thema, dass viele Jugendliche aus traditionellen Familien noch geschlagen werden daheim und unterdrückt werden durch einen strengen Vater, und dass dann mit Gewalt ggü. anderen Menschen oder lautstarkem dominanten Verhalten ggü. Leuten kompensieren.

Aber wie gesagt, dass trifft nicht auf alle zu.

Ich habe das Gefühl, bzw. meine persönlichen Erfahrungen sagen dass es in vielen arabischen/nah-östlichen Kulturkreisen nochmal wichtiger ist zu zeigen "wer man ist" und "was man hat".

Siehe nicht nur teure Autos, auch Goldschmuck (Uhren, Ketten), Marken-Kleidung.

And und für sich ist das was gutes, irgenwer muss das Zeug ja kaufen, kommt also unserer Wirtscahft zu gute. Der "klassische" Deutsche ist da etwas zurückhaltender, spart lieber, legt es in einem Bausparer an, etc. (um mal alle Klischees zu bedienen).

Aber wie immer soll man da nicht so verallgemeinern. Letztendlich hat jede Person nen eigenen Charakter, egal aus welchem Kulturkeis.