Warum erfindet Tacitus Grausamkeiten?

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Nützlich ist, Aussagen an den Quellen zu überprüfen.

Standpunkt zum Prinzipat

Der Geschichtsschreiber Tacitus hat seine Werke zur Zeit der Kaiser Nerva, Trajan und Hadrian geschrieben. Er hat seine Ämterlaufbahn in der Zeit der flavischen Kaiser begonnen, ist 97 n. Chr. Suffektkonsul und 112/113 n. Chr. als Prokonsul Statthalter der Provinz Asia gewesen.

Tacitus ist Senator gewesen und achtet in seiner Darstellung stark darauf, ob ein Kaiser sich gegenüber dem Senat respektvoll verhält und die Senatoren trotz seines Machtübergewichts milde und maßvoll behandelt und nicht unterdrückt und verfolgt.

Auch wenn Tacitus die Republik stark mit Freiheit verbindet, urteilt er tadelnd über die Zeit der späten Republik. Er verbindet sie beispielsweise mit Zügellosigkeit, Zwietracht, Aufruhr und sittlicher Verderbnis (Tacitus, Dialogus de oratoribus 40, 2 – 4 [Maternus-Rede]; Tacitus, Annales 3, 27, 1 – 3, 28, 1).

Ein Zeit jüngster Vergangenheit beurteilt er als Extrem der Knechtschaft (Tacitus, Agricola 2, 3), offenbar mit Bezug auf Kaiser Domitian.

Über die Zeit der Kaiser Nerva und Trajan äußert sich Tacitus ziemlich lobend (Tacitus, Agricola 3: Vereinigung von Prinzipat und Freiheit [der Meinungsäußerung], Vermehrung des Glücks, Sicherheit; Tacitus, Historiae 1, 4: reichhaltigerer und sichererer Stoff, für das hohe Alter aufgehoben, weil ein seltenes Glück der Zeiten erlaubt, zu denken, was man will, und zu sagen, was man denkt).

Tacitus will für seine Gegenwart nicht die Monarchie durch eine Republik ersetzen. In seiner Darstellung zeigt er allerdings deutlich die Kehrseite der Monarchie. Tacitus kann erkennen, wie innerer Frieden, Sicherheit und Wohlstand in der Gegenwart eher in einem Prinzipat möglich sind. Er betont aber scharf die Schattenseiten (z. B. dominatio, Verlust an Freiheit, Wegfall von Gleichberechtigung, Zunahme von Schmeichelei, für Kaiser Möglichkeit zur Grausamkeit)

Er bemerkt, wie durch die Errichtung des Prinzipats durch Augustus langandauernde Bürgerkriege mit großer Zwietracht beendet worden (Tacitus, Historiae 1, 1, 1; Tacitus, Annales 1, 1, 1). Nach seinem Urteil hat sich damit beispielsweise in der Geschichtsschreibung aber auch allmählich Schmeichelei breitgemacht (Tacitus, Annales 1, 1, 3).

Tacitus hat in seinen Geschichtswerken eine Darstellung der Kaiser vor Nerva, Trajan und Hadrian gegeben. Diese (die Julisch-Claudische Dynastie, die kurzzeitigen Kaiser Galba, Otho und Vitellius und die Flavische Dynastie) gehören nicht zum Kaiserhaus von Nerva, Trajan und Hadrian, weil weder durch Abstammung noch durch Adoption eine Verbindung bestand.

Errichtung der Herrschaft des Augustus

Tacitus, Annales 1, 2, 1 behauptet nicht, Augustus habe allein schon durch massive Bestechung des Volkes durch Getreidespenden und die Umgarnung der Soldaten mit materiellen Zugeständnissen geschafft, alle Macht im Staate dauerhaft auf sich zu vereinen. Tacitus, Annales 1, 2, 1 – 2 nennt eine Reihe von Umständen (kein republikanisches Herr nach dem Tod von Marcus Iunius Brutus und Gaius Cassius Longinus, Überwältigung von Sextus Pompeius, Ausschaltung des Marcus Aemilius Lepidus, Selbsttötung des Marcus Antonius und damit kein anderer caesarianischer Anführer übrig, Anlocken der Soldaten durch Gaben, des Volkes durch Getreideversorgung, der Gesamtheit durch die Süßigkeit des Friedens, Verschiebung der Aufgaben des Senates, der Magistrate und der Gesetze auf sich selbst, Tod der mutigsten Männer in Schlachten oder durch Proskription, bei den übrigen Angehörigen der Nobilität, da sie, je mehr zur Dienstbarkeit bereit, desto mehr durch Vermögensmittel und Ehrungen erhoben und aufgrund der neuen Verhältnisse gefördert wurden, Bevorzugung des Sicheren und Gegenwärtigen gegenüber dem Alten und Gefährlichen, keine Ablehnung des Zustand durch die Provinzen, weil ihnen die republikanische Herrschaft durch Senat und Volk von Rom wegen der wettstreitenden Kämpfe der Mächtigen, der Habgier der Magistrate verdächtig war, bei schwacher Hilfe der Gesetze, die durch Gewalt, Ämterjagd und Bestechung gestört waren) dabei eine Rolle gespielt haben.

Hugo Willrich, Augustus bei Tacitus. In: Hermes : Zeitschrift für klassische Philologie 62 (1927), S. 62 beurteilt seine Aussagen als bittere Ungerechtigkeit. Er meint, die Errichtung des Prinzipats sei eine rettende Tat gewesen. Tacitus lasse nicht voll erkennen, was für ein Segen das Friedensregiment des Kaiser für die Welt gewesen sei. Obwohl Tacitus oft mit schneidender Verachtung und tiefem Grimm von der Urteilslosigkeit der Masse und der Verkommenheit der Senatsaristokratie gesprochenen habe, könne er sich nicht entschließen, die Folgerungen daraus zu ziehen und die Schöpfung des Augustus als notwendig und darum auch als berechtigt anzuerkennen.

Die Darstellung bei Tacitus, die sich in Form eines Abrisses auf einen längeren Zeitraum mindestens bis 23 v. Chr., als Augustus volle Amtsgewalt eines Volkstribunen (lateinisch: tribunicia potestas) erhielt, ist im Ausdruck durch sein Urteil gefärbt und nicht ganz genau und vollständig.

Unwahrheit von Tatsachenbehauptungen in diesem Abschnitt wird in dem Aufsatz aber nicht wirklich gezeigt.

Die Bemerkung, die Schilderung der Unruhen bei den römischen Legionen in Pannonien und Germanien bei Tacitus zeige deutlich genug, wie wenig Augustus seine Soldaten verwöhnt habe, bezieht sich erstens auf eine spätere Zeit (14 n. Chr., nach dem Tod des Augustus) und entkräftet zweitens nicht das Stattfinden von Schenkungen an die Soldaten. Augustus selbst nennt Res Gestae Divi Augusti 15 viele Schenkungen an das Volk oder die Soldaten, darunter 12 Getreidespenden (lateinisch: frumentationes) in seinem elften Konsulat (23 v. Chr.) aus seinem Privatvermögen (vgl. auch Sueton, Divus Augsutus 41, 2 [Getreide mehrfach zu geringem Preis oder kostenlos verteilt]; Cassius Dio 54, 1) und im Zusammenhang mit seinem Triumphzug in seinem fünften Konsulat (29 v. Chr.) pro Mann 1000 Sesterzen aus der Kriegsbeute an die Ansiedler unter seinen Soldaten (vgl. auch Cassius Dio 51, 17, 7).

Gesetze zur Verteilung anfangs verbilligten, später kostenlosen Getreides an Bürger der Stadt Rom hat es schon in der späten römischen Republik gegeben. Gaius Iulius Caesar hat 46 v. Chr. nach einer Volkszählung die Anzahl der Empfänger von 320000 auf 150000 zurückgeführt (Sueton, Divus Iulius 41, 3; vgl. Plutarch, Caesar 55; Appian(os), Emphylia [griechisch: Ἐμφύλια; Bürgerkriege; lateinischer Titel: Bella civilia] 2, 102 [425] [Einwohnerzahl auf die Hälfte gesunken]; Cassius Dio 43, 21, 4 [Halbierung]). Augustus hat in seinem dreizehnten Konsulat (2 v. Chr.) die inzwischen wieder angestiegene Anzahl von 320000 auf 200000 zurückgeführt (Res Gestae Divi Augusti 15; Cassius Dio 55, 10; vgl. auch Sueton, Divus Augustus 42 [undeutliche Bemerkung über eine mäßigende Einschränkung]).

Tacitus behauptet nicht, Augustus habe die Einrichtung einer solchen Getreideversorgung eingeführt. Er bezieht sich auf sie bei den Umständen, die dazu beitrugen, Gruppen der Bevölkerung zu gewinnen und bei ihnen Akzeptanz für seine Herrschaft zu bekommen.

Totengericht’

Tacitus, Annales 1, 9 - 10 wird als ‘Totengericht’ bezeichnet. Tacitus gibt zu Gerede über den verstorbenen Augustus nach einem Hinweis auf unerhebliche oberflächliche Äußerungen der Menge als Aussagten der Verständigen lobende und verteidigende Meinungen über Augustus wieder (Tacitus, Annales 1, 9, 3 - 5), dann Tadel und Vorwürfe (Tacitus, Annales 1, 10, 1 - 8). Die schlechten Meinungen über Augustus erhalten mehr Umfang.

Die Aussagen von verschiedener Seiten sind keine Behauptungen, die Tacitus in eigenem Namen aufstellt.

Tod von Hirtius und Pansa

Aulus Hirtius und Gaius Vibius Pansa Caetronianus starben 43 v. Chr. bei den Kämpfen um Mutina infolge von Verletzungen.

Richtig ist die Aussage (Tacitus, Annales 1, 10, 2), Octavian habe sich ihrer Heere bemächtigt.

Es wird offengelassen, ob die Gegner Hirtius und Pansa getötet haben oder Pansa in seine Wunde geträufeltes Gift und Hirtius die eigenen Soldaten und als Anstifter Octavian beseitigt haben.

Marcus Iunius Brutus bittet Cicero um Fürsprache für Pansas Arzt Glyco, den Manlius Toraquatus, Quaestor bei Pansa, als Mörder Pansas verdächtigte und unter Bewachung nehmen ließ, weil er dies für nicht glaubhaft hält (Marcus Tullius Cicero, Epistale ad Brutum 1, 6, 2). Sueton, Divus Augustus 11 erzählt, als Hirtius in der Schlacht und Pansa wenig später aufgrund seiner Verletzung umgekommen ist, habe sich das Gerücht verbreitet, beide seien auf Betreiben Octavians getötet worden, damit er nach Flucht des Antonius und Wegfall der Konsuln sich allein der Heer bemächtigte. Pansas Tod sei so verdächtig gewesen, dass sein Arzt Glyco unter Bewachung genommen wurde, als hätte er Gift in die Wunde gegeben. Aquilius Niger habe hinzugefügt, Hirtius sei von Octavian selbst im Kampfgetümmel getötet worden. Cassius Dio erzählt, weil Hirtius bei der Einnahme des Lagers des Hirtius und Pansa nicht viel später aufgrund seiner Wunden umkam, habe sich Octavian als Nachfolger im Kommando die Beschuldigung ihres Todes zugezogen.

Tacitus behauptet nichts im eigenen Namen. Das Gerücht hat er nicht selbst erfunden.

Hugo Willrich, Augustus bei Tacitus. In: Hermes : Zeitschrift für klassische Philologie 62 (1927), S. 61 meint, Tacitus hätte die böswillige Erfindung von der heimtückischen Ermordung des Pansa und Hirtius nicht weitergeben dürfen, denn es sei leicht für ihn gewesen, ihre völlige Haltlosigkeit nachzuweisen.

Tacitus bringt bei der schlechten Meinung über Augustus das Gerücht als eine Möglichkeit, womit diese Seite Augustus so ein Verhalten zutraut.

Tacitus, Annales 1, 10, 2 erwähnt kurz auch die Proskriptionen (proscriptionem civium).

Heirat von Marcus Antonius und Octavia

Diese Ehe ist Teil eines Zweckbündnisses gewesen. Eine Deutung als hinterlistiger Köder abzulehnen, ist nachvollziehbar. Tacitus behauptet diese Deutung allerdings nicht im eigenen Namen.

Die römischen Geschichtsschreiber waren keine Historiker im modernen Sinn. Sie schrieben möglichst spannende Berichte, wie es heutige Romanschreiber ebenfalls machen.

Natürlich steckt bei so bedeutenden Geschichtsschreibern, in so hoher Position auch politisches Kalkül mit dahinter. Es spielen bei der Beschreibung eben auch persönliche Interessen mit. Weiterhin muss bedenkt werden, es sind nicht alle Schriften des Tacitus erhalten. Das es überhaupt noch so viel an Texten von ihm gibt liegt sicher auch mit daran, dass der Augustus Tacitus (275-276), vermutlich ein entfernter Verwandter, während seiner Regierungszeit Kopien ausgewählter Schriften anfertigen ließ.

Ein ähnliches Phänomen bietet der Geschichtsschreiber Eusebius (+339). Er war Anhänger des Augustus Constantinus I. (Konstantin der Große). Er verfältschte die Geschichte so weit, dass dieser Verbrecher auf dem Thron den Beinamen "der Große" erhielt und dass der Augustus Nero bis heute einen extrem schlechten Ruf besitzt.

Constantinus I. brachte seine Frau, einen eigenen Sohn und viele enge Verwandte um. Er brach Bündnisse, um seine Macht zu steigern etc. Das wird bei Eusebius in dessen Geschichten nicht bzw. wenn, sehr beiläufig erwähnt. Dafür betont er das strategische Genie, was zweifellos vorhanden war und seine Einführung des Christentums. Wobei wiederum nur eher beiläufig beschrieben wird, dass Constantinus I. selbst kein Christ war. Es ist für mich unbegreiflich, dass dieser Augustus, als Heide, entscheidenden Einfluss beim Kirchenkonzil von Nicaea hatte.

Auch ist es bemerkenswert, wie kritiklos im 19. Jahrhundert die Historiker die historischen antiken Quellen gelesen und behandelt haben. Zum Glück wird heute kritischer auch bei Primärquellen nachgeforscht. Objektive Geschichtsschreibung gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Primärquellen sind enorm wichtig, doch ebenso wichtig ist zu wissen, mit welcher Intension ein Geschichtsschreiber etwas niedergeschrieben hat.

Woher ich das weiß:Hobby

Na ja, wäre es denn so ungewöhnlich, wenn sich jemand, der an die Macht will, zweifelhafter Methoden bedient?

Wir wissen heute ja auch, dass man antiken Historikern nicht unbedingt blind vertrauen kann. Ihre Berichte sind oft nicht objektiv und von Interessen geleitet.

DeutscherRitter 
Fragesteller
 25.07.2023, 20:36

Die Frage ist eher, weswegen er Grausamkeiten erfindet, anstelle auf tatsächlichen Grausamkeiten einzugehen. Ansatzpunkte dafür hätte es ja genug gegeben.

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