Leistungsgedanken und Unrechtsbewusstsein verarbeiten?
Hallo zusammen, seit vielen Jahren kämpfe ich (39, m) mit mir selber.
Genau genommen seit ich als aktiver Teil zum Bruttoinlandsprodukt beitrage.
Leistung zu bringen, es "recht" zu machen und Ergebnisse zu liefern sind offenbar so tief in mir verwurzelt, dass sie mir selbst im Wege stehen.
Die ständigen Bedenken, entscheidende Menschen in meinem Umfeld könnten an meiner Leistungsfähigkeit und vor allem meinem Leistungswillen zweifeln wirkt zermürbend.
Vorgesetzte und mir nahe Menschen attestieren mir einhellig das genaue Gegenteil und ich bin sicher, dass andere diese innere Verunsicherung nur in wenigen Situationen bemerken.
Bedeutende Abschlüsse wie das Studim habe ich mit Bestnoten abgeschlossen. Seither bin ich seit 16 Jahren in verantwortungsvoller Position in einem Konzern tätig, werde besser bezahlt als 97% aller Deutschen und kann um mich herum vieles gestalten und Einfluss nehmen.
Wie ich es dorthin geschafft habe?
Vermutlich durch genau diesen Druck, den ich verspüre und der mich antreibt.
Ich leide unter dieser Situation.
Objektiv betrachtet besteht für meine Bedenken vermutlich wenig bis kein Anlass.
Leider schaffe ich es jedoch nicht, meine objektive Bewertung oder die meist einhelligen positiven Rückmeldungen meines Umfelds in meine Selbstbewertung zu überführen.
In der Praxis projeziere ich meinen Leistungsgedanken vielmehr sogar auf andere und verspüre ein großes Unrechtsbewusstsein, wenn beispielsweise ein ranggleicher Kollege regelmäßig unbemerkt nach einem 7h Arbeitstag nach hause geht und ich regelmäßig viele weitere Stunden anhänge.
Das zermürbt mich innerlich noch mehr.
Wenn dann noch die Chefin einmal im Monat das Glück hat, mich an einem Freitag um 17:30 Uhr zuhause zu erreichen statt auf der Arbeit, erdrückt mich der Gedanke daran, was sie nun über mich denken mag geradezu.
Wie kann ich das Unrechtsbewusstsein, das ich gegenüber meinem "Faulenzer-Kollegen" empfinde loswerden?
Wie kann ich das beklemmende Gefühl andere Menschen aus der Leistungsgesellschaft können schlecht von mir denken loswerden?
Danke für eure Ideen.
4 Antworten
Hallo, Maverick321 !
Lege erstmal den Gedanken: Was denkt der jetzt von mir, ab. Das ist notwendig, sonst zermürbt dich das.
Ein wichtiger Aspekt ist, dass du dein Denken und Worken auf Andere projizierst, das ist ein Kardinalfehler, den auch ich ablegen musste. Du machst dich sonst selbst kaputt.
Auch kann dir egal sein, was deine Chefin denkt, wenn sie dich nach Feierabend anruft. Da muss sie sich Gedanken machen, nicht du.
Wichtig für dich ist, dass du weisst, was du kannst, und das weißt du. Alles andere ist und muss unwichtig werden. Dann lebst du leichter, glaube mir das.
Mit lieben Grüßen, Renate.
Guten Morge, Maverick. Vielen Dank für den Stern. ⭐ Du wirst auf jedenfall von mir hören.Es wird am kommenden Montag in einer Woche sein, denn ich habe einen großen Vorlauf. Aber keine Angst, ich vergesse es nicht. Liebe Grüße, Renate.
Hi,
machen wir uns nichts vor. Du bist extrem selbstreflektiert und hast die Sache mit chirurgischer Präzision offengelegt. Die Sache ist doch ganz offensichtlich. Du bist für eine Führungsposition nicht geeignet. Du verschließt Dich davor, weil Du meinst, dass Dein Perfektionismus in scheinbar allen Dingen und Dein Fleiß, Dir quasi ein Recht auf eine gute Position verschaffen. Versteh mich nicht falsch: Ich glaube nicht, dass Du eine solche Position nicht verdient hättest, oder gar schlecht darin wärst. Aber Du bist offensichtlich mit dieser Tätigkeit und Haltung nicht glücklich.
Noch hält Deine Psyche das irgendwie aus. Aber es wird der Tag kommen, an dem Du in dieser Tätigkeit zerbrechen wirst. Früher oder später. Es kommt letztlich überhaupt nicht auf Deine Arbeit an. Damit setzt Du weder ein Zeichen oder eine Spur in der Welt. Wirklich wichtig ist alles, was Du momentan verdrängst: Glücklich sein, zufrieden sein. Abschalten, Familie und loslassen können.
Man nimmt immer wieder mal was von der Arbeit nach Hause mit. Konflikte, Diskussionen und solche "Arbeitsgefühle", aber nicht in dem Ausmaß, wie Du es beschreibst.
Mein eindringlicher Rat ist: Schmeiß die Klotten bei dem Unternehmen hin. Such Dir eine Stelle, die Dir vom Profil her die Hälfte abverlangt (auf 1000 Euro mehr oder weniger im Monat ist doch gehustet! Zufriedenheit und Ruhe kannst Du eh nicht kaufen) und finde Dich mit dem Gewissen ab, auch mal für etwas - und sei es rein psychisch - nicht fähig zu sein. Das ist es nämlich, was uns zum Menschen macht.
Therapie bei einem Psychologen mit Schwerpunkt Arbeitsthematik machen.
Ui, ich kenne jemanden, dem es so geht wie dir. Er hat Probleme, die er therapeutisch angehen müsste, fürchtet das allerdings so sehr, dass er das bisher nicht gemacht hat. Er hat nun schon alles verloren, was ihm außer der Arbeit wichtig war. Er hat privat immer mehr die Kontrolle verloren bzw. den Drang verspürt, alles kontrollieren zu müssen, weil ihm das ein (Schein-)Gefühl der Sicherheit gibt. Seine Frau hat ihn verlassen. Sein Kind hat es nicht mehr ausgehalten und sich abgewendet, um sich selbst zu schützen. Er hat eine Schneise der Verwüstung hinterlassen und fühlt sich dabei als das Opfer. Was er wahrscheinlich auch ist, nur hat er seine nächsten Menschen auch zu Opfern gemacht und sieht es nicht.
Ich rate dir zu einer Therapie um dieser inneren Leere und Angst auf die Spur zu kommen. Es ist so ein Leben eines Getriebenen, ständig unter innere Anspannung und dem Kampf um Selbstkontrolle. Es ist tragisch.