Ist die EU verfassungsfeindlich?

6 Antworten

Das ist eine wirklich gute Frage und eine ziemlich komplexe Materie, die eine etwas umfangreichere Antwort erfordert.

Eigentlich hat EU-Recht in der Tat den Vorrang vor nationalem Recht. Zum einen haben die Mitgliedsstaaten der EU bestimmte Kompetenzen übertragen und müssen EU-Regelungen in diesen Bereichen umsetzen. Außerdem haben sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet, bestimmte gemeinsame Werte, d.h. in der EU vereinbarte Grundwerte und Grundrechte, zu wahren. Der Europäische Gerichtshof ist für die Überprüfung der Einhaltung zuständig.

Jedoch ist das Verhältnis zu den nationalen Verfassungen kompliziert und beileibe nicht nur als Über- und Unterordnung zu beschreiben. Der EuGH hatbeispielsweie in Italien einmal Verjährungsfristen beanstandet. Im Verfahren hat Italien aber herausgestellt, dass die Anpassung der Verjährungsfristen gegen eines der Grundprinzipien der italienischen Verfassung verstoßen würde. Der Rechtskonflikt wurde in diesem Fall damit beigelegt, dass der EuGH auf die Durchsetzung der europäischen Regelung verzichtet hat. EU-Recht geht also nicht immer dem nationalen Recht vor, sondern muss u.U. Rücksicht auf die nationale Rechtsordnung nehmen.

Tatsächlich können EuGH-Urteile aber zu Verfassungsänderungen führen: Beispielsweise hat der EuGH mit Berufung auf das Gleichbehandlungsrecht einer Frau Recht gegeben, die in Deutschland Soldatin werden wollte. Die Einschränkungen im Grundgesetz für den Dienst von Frauen in der Bundeswehr waren nicht mit EU-Grundrechten vereinbar (die Deutschland mit unterzeichnet hat) und mussten gestrichen werden. Das deutsche Verfassungsgericht anerkennt den Vorrang des EuGH in der Frage von Grundrechten sowie den europäischen Kernkompetenzen, da der Schutz der Grundrechte der EU mit dem des GG vergleichbar ist. Es behält sich aber vor, im Fall von höheren deutschen Grundrechtsstandards auf diesen zu beharren und dann auch EU-Regelungen zu missachten. Das BVerfG sieht das Verhältnis zum EuGH daher weder als über- noch als untergeordnet, sondern als kooperativ.

Die EU darf jedoch z. B. nicht weitere Kompetenzen an sich ziehen als die, die ihr durch die EU-Verträge bzw. das deutsche Parlament übertragen worden sind. Daher hat das BVerfG in bestimmten Bereichen eine Beteiligung des Bundestags im Vorfeld von deutschen Entscheidungen bei der EU zur Bedingung gemacht, so dass die deutsche Regierung in diesen Fällen nur zustimmen kann, wenn der Bundestag zuvor darüber positiv entschieden hat.

Zusammengefasst: Die EU nicht verfassungsfeindlich, weil die Grundrechte ebenso über die europäischen Grundrechte geschützt sind und nicht hinter den Standard des GG zurückfallen dürfen und die deutschen Verfassungsorgane (Parlament) die Kontrolle über die Zustimmung zu grundlegenden EU-Entscheidungen behalten.

Woher ich das weiß:Recherche

Nein ist sie nicht, denn um der EU beitreten zu können gilt es einen Vertrag zu unterschreiben, in dem unter anderem geregelt ist welche Rechte und Pflichten die EU hat und welche die jeweiligen Staaten haben.

Die EU tut daher nichts was nicht vereinbart wurde.

Kelvin1994 
Fragesteller
 15.10.2021, 17:12

Sind dann nicht die Regierungen verfassungswidrig, die dem beigetreten sind? Schließlich sind sie einer Organisation beigetreten, die dann die entsprechenden nationalen Verfassungen aushebelt.

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Damit kann unser Grundgesetz über das EU-Recht ausgehebelt werden.

Das ist falsch - das Bundesverfassungsgericht hat das in einigen der letzten Entscheidungen deutlich zum Ausdruck gebracht...

Die EU Komission ist der Ansicht, dass EU-Recht stets vor nationalem Recht gilt.

So ist es auch, da dies Teil der Römischen Verträge und des Vertrages von Lissabon ist. Jedes (!) EU Mitglied hat dem zugestimmt.

Unsere Verfassung ist das Grundgesetz.

Das ist richtig, doch es fehlt der Zusammenhang. EU-Recht und nationales Verrfassungsrecht stehen in keinem konkurrierenden Verhältnis zueinander.

Obwohl das europ. Recht prinzipiell Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht genießt (auch gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht), steht es nicht »über« dem Grundgesetz. Zwischen der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der europ. Gemeinschaftsrechtsordnung besteht kein Über- oder Unterordnungsverhältnis.

https://m.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-europalexikon/177026/grundgesetz-und-eu-recht

(Die bpb ist eine nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern mit Sitz in Bonn.)

Kelvin1994 
Fragesteller
 15.10.2021, 17:23

Dann sag das mal der EU-Kommission.

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Kelvin1994 
Fragesteller
 15.10.2021, 17:43
@wattdennnu2

Die Frage ist ob sie es nicht verstehen kann oder nicht verstehen will. Ich tendiere zu letzterem

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