Ich bin es leid, "Ausländer" zu sein!
Hallo!
Ich habe ein tiefgreifendes Problem mit dem Sozialleben.
Ich bin 22 Jahre alt. Ich bin in Deutschland (NRW) geboren, in den Kindergarten gegangen und habe die Schule besucht. Jetzt studiere ich im 5. Semester ganz erfolgreich Jura an einer Hochschule.
Ich habe mich selbst immer als Teil der Gesellschaft gesehen. TROTZDEM bestätigt sich in immer öfter auftretenden Situationen mein Gefühl, ohne mein Zutun von vornherein "fremd" und nicht "anerkannt" zu sein. Und das bin ich absolut leid!
Gerade in Alltagssituationen verdichten sich die Ereignisse. Ich bin mit Beginn des Studiums aus der Wohnung meiner Eltern ausgezogen und versorge mich jetzt neben dem Studium mehr oder weniger selbst und bewältige seither auch viele alltägliche Dinge alleine.
Seien es Blicke beim Einkaufen, Spazierengehen, Shoppen, Bus- und Bahnfahren oder Begegnungen auf Partys.
Immer muss ich mich mit den Befindlichkeiten anderer Menschen auseinandersetzen. "Woher kommst du?", "Was sagt deine Familie dazu, dass du Alkohol trinkst?", "Meine Familie fänd es nicht so gut, wenn ich einen 'Ausländer' als Freund hätte" oder Sätze wie "Ich hasse ja eigentlich Menschen wie dich, aber du bist eine Ausnahme" beweisen mir nichts anderes als mangelnde Akzeptanz mir gegenüber und eine vorübergehende Duldung (schöner formuliert "Toleranz").
Diese Ereignisse reichen dann bis zu öffentlicher Beleidigung und Herabstufung beim Einkaufen: der Sicherheitsdienst steht mir im Nacken, die Kassiererin guckt mich verachtend verdächtig an bis hin zu Begegnungen mit Menschen bei Bus- und Zugfahrten, wenn eine alte Dame mit Gehstock lieber steht, als sich neben mich zu setzen, wenn der Kontrolleur bei meinem Ticket genauer hinsieht und mich als "Sch--ß Zigeuner" bezeichnet oder wenn der Bundespolizist niemandem im Wagen kontrolliert, beim Vorbeigehen mich erblickt und nach meinen Personalien fragt (dieses rassistische Auswahlverfahren, auch "Racial Profiling" genannt, ist sogar als rechtswidrig eingestuft worden). Dann reicht es so weit, dass dem Vater eines Mitstudenten beim gemeinsamen Fußballspielen ein Ausruf "Sch--ß Türke!" über die Lippe geht, obwohl ich als Deutscher mit türkischen Wurzeln direkt daneben sitze.
Im Öffentlichen leben stehe ich dauernd im Visier der Mitmenschen. Dabei möchte ich einfach nur in Ruhe gelassen werden. Ich verstehe nicht, wieso man Leute allein aufgrund ihres Äußeren herabstuft und niemand seine Gedanken frei von solchem fremdenfeindlichen Gedankengut machen kann. Ich habe von Haus aus gelernt, dass ich jedem Menschen eine Chance gebe. Aber ich kann den Leuten noch so viele Chancen geben, ihre Gedanken haben sich verfestigt.
In vielen Situationen wird man einfach nur geduldet. Und das unbegründet. Ich weiß absolut nicht, wie es so weitergehen soll und wieso ich mich in einem Land nicht wohl fühlen darf, in dem ich aufgewachsen bin und für das ich bisher sehr viel geleistet habe. Ich bin einfach am Verzweifeln.
LG, ein Türke.
Liebe/r massendelirium8,
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67 Antworten
Zuerst einmal: Es gibt durchaus Menschen, für die die Nationalität ihrer Mitmenschen keine Rolle spielt, die lediglich nach Charakter und Intellekt gehen. Um ehrlich zu sein finde ich "niemand seine Gedanken frei von solchem fremdenfeindlichen Gedankengut machen kann" schon beleidigend.
Zugegebenermaßen sind die Vorurteilsfreien sicherlich nicht in der Mehrheit, auch weil Schubladendenken für die breite Masse eine wichtige soziale Funktion erfüllt, nicht nur im Umgang mit anderen, sondern auch mit sich selbst.
Letzten Endes bleibt dir nichts anderes übrig, als dir ein dickeres Fell zuzulegen. Natürlich sind die Sprüche, die du kassierst nicht okay, aber du wirst die Menschheit nicht ändern. Im Übrigen finde ich "Woher kommst du?" nicht im geringsten ausländerfeindlich oder rassistisch, für mich bedeutet diese Frage Interesse am Gegenüber. Bin ich als Deutsche im Ausland unterwegs, ist das auch die erste Frage, die mir gestellt wird. Daß du nur optisch in die Kategorie "Ausländer" fällst, merken die Leute doch wahrscheinlich, wenn du dich eine Weile mit ihnen unterhältst.
Bei vielen der Kommentare, die du nennst habe ich außerdem den Verdacht, daß viele deiner Probleme durch dein soziales Umfeld bedingt sind. Was die Sache mit Kontrollen durch die Obrigkeiten betrifft, könntest du mal überlegen, ob nicht ein Teil davon auf sich selbst erfüllende Prophezeiungen zurückzuführen sein könnte. Beispiel: Du hast schlechte Erfahrungen mit Kontrolleuren. Ein Kontrolleur kommt, du denkst dir: "Super, der wird mich gleich wieder kontrollieren, nur weil ich Türke bin." Entsprechend verändert sich deine Mimik. Der Kontrolleur denkt sich: "Öha, warum schaut der plötzlich so, wenn ich reinkomme? Da lohnt es sich vielleicht, zu kontrollieren." Verstehst du, worauf ich hinaus möchte?
Natürlich kann man nicht von heute auf morgen seine Einstellung ändern, aber an der kannst du leichter arbeiten als am Rest der Welt. Du wirst wohl lernen müssen, einen Teil zu schlucken, einen Teil nicht so ernst zu nehmen. Wenn du dann noch schaust, daß du vielleicht ein bißchen ein anderes Umfeld für dich finden kannst, sollte sich dein Leben doch ein Stück weit zum Besseren entwickeln können.
Es liegt einfach in der Natur des menschlichen Gehirns in Kategorien zu denken. Nennt sich soziale Kategorisierung. Der Mensch kann gar nicht anders, als anhand von Vorurteilen und bereits gemachter Erfahrungen eine Gruppe zu beurteilen. Das ist ein völlig normaler Prozess.
Jedoch kann der Mensch selbst entscheiden, wie er mit dieser Kategorisierung umgeht. Lässt er es sein Verhalten negativ beeinflussen oder geht er auf eine persönliche Ebene und beschäftigt sich mit dem Individuum näher? Je persönlicher der Kontakt ausfällt, desto schwächer werden Vorurteile.
Ich selbst bin leicht übergewichtig (6 Kilo). Schon hier darf ich mich den unterschiedlichsten Vorurteilen aussetzen: Faulheit, mangelnde Intelligenz, Krankheitsanfälligkeit etc.
Es gibt keinen Menschen, der nicht mit irgendwelchen Vorurteilen zu kämpfen hat. Du als "Ausländer" bist eben nur eine weitere Kategorie.
herzlichen Glückwunsch, bei dir hat das Prinzip der Dekategorisierung nach Brewer gegriffen ;) Ein persönlicher Kontakt zu einem Individuum dieser Gruppe hat dich auf die persönliche Ebene im Umgang mit dieser Person gebracht. Teilweise wirst du in Zukunft diese positive Erfahrung auch auf andere mitglieder der Kategorie Transgender übertragen.
Hallo Mewchen,
das ist eine tolle Antwort! Wie sehr wir in Kategorien gefangen sind, habe ich selbst erst vergangenes Wochenende festgestellt, als ich einen Menschen (Transgender) kennenlernte.
Mein erster Impuls: geht doch nicht, was denn nun, mehr Mann oder mehr Frau?
Doch, es geht! Klare Antwort: Mensch!
Dieser Mensch hat mir durch seine Natürlichkeit sehr geholfen, die bis dahin für mich bestehende Kategorie zu durchbrechen. Dieser wunderbare Mensch hat meinen Horizont erweitert, meine Welt bereichert und bunter gemacht.
Lieber Fragesteller, anstatt Dich beim negativen aufzuhalten, lass Dich auch positiv ein, bereichere andere und werde bereichert. Alles gute.