Hat jedes Land die zu ihm passende Staatsform?

6 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Ich denke unser eigenes Beispiel "Weimarer Republik" zeigt, dass neue Staatsformen auch im Kopf und Herzen der Menschen ankommen müssen.

Gewohnheiten geben Sicherheit und beruhigen. Wer es gewohnt war, dass jemand voran geht und man die Verantwortung abgeben kann, tut sich schwer mit Demokratien. Totalitäre Entscheidungen passieren schneller, als demokratische, die erst groß und breit erörtert werden. Das macht Eindruck.

Demokratie bedeutet Kompromiss. Man diskutiert und jeder gibt ein wenig nach, bis es ein Resulat gibt. So bekommt keiner alles was er möchte, aber man trifft sich bei dem größten gemeinsamen Nenner. Die Folge ist, dass keiner richtig zufrieden ist. Das muss man aushalten können.

Gerade Menschen (und ich behaupte mal speziell machtbesoffene Männer) mit einer geringen Frustationsgrenze halten das nur schwer aus. Deutlich einfacher ist es da jemandem zu folgen, der anscheinend weiß wie es geht. Man muss nicht überlegen und gibt die Verantwortung ab.

Hinzu kommt dass es in autokratischen Strukturen bei der Machtverteilung weniger um Kompetenz, als um Loyalität geht. Nicht der am besten Geeignete, sondern der bessere Schleimer oder Skrupellosere bekommt den Job oder Posten. Beispiel SS: Anfangs musste man einem hohen optischen und biologischen Ideal entsprechen, also Arier sein. Sicherlich wäre sie effektiver gewesen und hätte weniger Verluste im Kampf gehabt, wenn sie mehr nach Eignung die Funktionen besetzt hätten. So plagte diese Truppe sehr schnell Personalmangel und sie schraubten nach und nach ihre Ansprüche runter. Am Ende haben sie fast jeden genommen.

Lange Rede, kurzer Sinn. In diesen Regimen ist es möglich sich hoch zu kämpfen (notfalls mit illegalen oder fragwürdigen Mitteln), komplett ohne Kompetenz, Bildung und Erfahrung. Oft reicht auch einfache Verwandschaft oder Gewaltbereitschaft als Qualifikation aus. Wer so Macht in die Hände bekommt, regiert auch entsprechend. Ohne Argumente oder Logigk auf der eigenen Seite, da setzt man sich nicht mit der Opposition auseinander, man schafft sie weg. Angst, Mord und Totschlag sind starke Argumente, die jede Demokratiebestrebung zur Mutprobe machen und schon kleine Kinder verstehen und vielleicht sogar bewundern.

Je länger ein autoritäres Regime an der Macht ist, umso mehr schafft sie Widerstand und dessen Möglichkeiten ab und weg. Kurz nach einer Machtergreifung ist es oft noch möglich das Schlimmste zu verhindern. An den Beispielen Iran oder Russland sieht man, dass sich die Chancen dafür mit der Zeit verschlechtern. Der Leidensdruck im Land muss sehr schlimm werden, bis sich das wieder dreht. Beispiel Nordkorea: Unglaublich was sich das Volk bieten lassen muss. Doch da regiert jemand bereits in der 3. Generation. Deshalb passiert auch nichts. Der sitzt fest im Sattel, obwohl es fast nicht mehr schlimmer für sein Volk werden kann.

Es gibt noch einen modernen und entscheidenen Faktor: Propaganda und Fakenachrichten. Solange eine Führung diese im Griff hat, besitzt sie einen Megafaktor beim Thema Meinungsmache und Meinungsmonopol. Jeder Untertan der sicher ist keine Alternative zu haben oder im richtigen Team zu sein, akzeptiert die Lage. "Brot und Spiele fürs Volk", dann läuft es schon irgendwie. An dieser Theorie ist was dran. Dabei reicht es völlig aus zu glauben, dass es "den Anderen" schlechter ergeht oder man bei den Siegern/Richtigen ist.

Den entscheidenen Unterschied machen Bildung, freier Zugang zu Informationen und die Stillung von Grundbedürfnissen wie: Nahrung, Wohnung, Arbeit und Gesundheit. Einer Nation, der es gut geht, die kann sich den Luxus von Idealen leisten. Allen anderen bleibt die Hoffnung, dass es irgendwann besser wird. Wenn man mit dem Überlebenskampf beschäftigt ist, hat man keine Energie/Reserven für politische Kämpfe.

Realisti  18.09.2023, 11:41

Danke für den *

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Habe schon den Eindruck, dass es Staatsformen gibt, die der Kultur eines Volkes angemessener sind als andere Formen, die kulturell weniger gut passen.
Deutschland war über 1000 Jahre eine Monarchie, aber Kaiser war nur der, der auch die Unterstützung der anderen Fürsten hatte.

Über den geschichtlichen Verlauf hinweg kann sich aber auch eine Form einen schlechten Ruf erarbeiten, die eigentlich ganz gut passen würde.
Bei uns ist das dem Adel widerfahren, er wurde entmachtet. Das dezentrale, föderale Modell wurde aber beibehalten, aus Fürstentümern wurden Bundesländer.

Umgekehrt kann auch ein kulturfremdes Modell, das sich in der Praxis bewährt und zu Sicherheit und Wohlstand führt, durchsetzen.
Fehlten der Weimarer Republik noch die Demokraten, war die Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich so erfolgreich, dass sich das Modell halten konnte.

Nicht zu unterschätzen ist eine äußere Bedrohungslage: Dann zählen schnelle Entscheidungen und militärische Erfolge. Eine Schönwetter-Staatsform, die erstmal alles in Ruhe ausdiskutieren und abwägen will, hat es dann schwer.
Aber einen kalten Krieg haben wir bereits überstanden. Die Feuertaufe eines heißen Krieges bleibt uns hoffentlich erspart.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ehemaliger Kommunalpolitiker und Mandatsträger

So steht die Frage nicht für die angesprochenen Staaten, weil deren Regierungsform historisch gewachsen ist und nicht unbedingt etwas mit der aktuellen Regierung zu tun haben muss. Die regierenden Leute wähnen sich aber meist in einem ideengeschichtlichen Kontinuum, das aber seine Grundlage in besonderen Verhältnissen des Feudalismus hat und schwer aufzuheben ist bzw. kaum progressiv zu reformieren ist. Der Westen tut sich schwer, das verstehen zu wollen bzw. will er das auch nicht verstehen, genauso wenig, wie diese Diktatoren etwas von Menschen-und Bürgerrechten verstehen wollen ..., wobei natürlich immer auch wirtschaftliche wie geopolitische Interessen das beiderseitige Verständnis eintrüben.

'Passend' würde ich das nicht unbedingt nennen.

Es nutzt aber anscheinend wenig, einem Staat eine Demokratie zu 'verordnen'. Anscheinend klappt es besser, wenn ein Staat die sich selbst 'erkämpft' hat.

Bei großen oder sehr großen Ländern wie China ginge, das wohl auch nicht mehr.

Die Voraussetzungen für Demokratie sind nur in wenigen Ländern gegeben, vielleicht in 20 %. Es braucht

  • eine einigermaßen gebildete Bevölkerung,
  • eine gemäßigte Religion, die keine politische Macht hat,
  • ein Gefühl der Selbstverantwortung des Einzelnen statt Macht der Familien und Clans,
  • eine ziemlich große Akzeptanz von gleichen Frauenrechten,
  • einen ziemlichen Wohlstand und eine nicht zu große soziale Kluft.

All das ist in Afrika, dem Nahen Osten und weiten Teilen Asien und Südamerikas nicht vorhanden. Dort eine Demokratie aufzupropfen, ist verlorene Liebesmühe. Das muss wachsen, in 50, 100 oder 500 Jahren, oder es wird dort nie gewünscht sein.

lifefree 
Fragesteller
 16.09.2023, 09:10

Endlich mal eine intelligente Antwort.

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