Am Klavier improvisieren?
Hallo an alle Musiker*innen,
ich spiel schon seit vielen Jahren Klavier und war mit dem "klassischen" Spielen nach Noten bisher eigentlich ganz zufrieden.
In letzter Zeit habe ich aber angefangen, mich für Jazz und das Improvisieren zu interessieren, daher die Frage.
Ich mag einfach den Gedanken, meinen Gefühlen je nach Lust und Laune unabhängig von irgendwelchen Papieren Ausdruck zu verleihen, wenn man das so sagen kann.
Meine Klavierlehrerin kann mir da nicht wirklich helfen, sie ist nicht gerade gut im Improvisieren und mein Ziel für die nächste Zeit wäre es, das zu schaffen.
Soll aber halt nicht zu avantgardistisch sein, also immer noch harmonisch Sinn machen...
Wie habt ihr das angegangen?
Bin gespannt...
3 Antworten
Streng genommen solltest du, auch wenn das natürlich ein radikaler Schritt ist, einen Lehrerwechsel ins Auge fassen und dies mit deiner Klavierlehrerin auch ganz sachlich besprechen. Wenn sie Profi ist, wird sie das Dilemma verstehen. Womöglich hat sie auch Kontakte zu Lehrern, die entsprechende Fortbildungen oder kompakte Kurse anbieten, das wäre natürlich noch idealer, und würde einen endgültigen Wechsel ersparen.
Improvisation ist eine Angelegenheit, die gelernt sein will, auch wenn der Begriff "Improvisation" gern dazu führt, anzunehmen, es handle sich um Willkür. Dem ist natürlich nicht so. Gerade Amateure neigen dazu, sich als gestandene Pianisten zu präsentieren, vorzugsweise auf YouTube & Co., die damit kokettieren, zwar keine Noten lesen zu können, aber dafür glänzende Improvisateure zu sein. Dies ist in allen Fällen Blödsinn. Deren "Improvisationen" sind immer (!) stümperhaftes Geklimper ohne Sinn und Verstand.
Improvisation ist im Gegenteil ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen. Sie setzt, mehr noch als das Spielen nach Noten, ein umfangreiches Wissen über Musiktheorie voraus, die zu erlernen ihrer Komplexität wegen ausgesprochen aufwändig ist.
Zudem muss die Technik des Klavierspielens an sich umfänglich beherrscht werden. Wer rein manuell nie über die Elise und River Flows in You hinausgekommen ist, wird seine Ideen kaum adäquat umsetzen können. (Mein Lieblingsbeispiel ist immer noch das der YouTuberin, die eine Improvisation mit "Der [soundso] Sturm" betitelte, jedoch nur seicht vor sich hingeklimpert hat, weil sie rein technisch gar nicht in der Lage war, etwas "Stürmisches" zu spielen...)
Mit anderen Worten: Als Autodidakt wird man es, wie so oft, auch hier enorm schwer haben. Und wer keinen Lehrer hat, der das Feld beherrscht, sollte sich eben einen solchen suchen. Im Grunde hatte ich das gleiche Problem: Ich hatte im Laufe der Jahrzehnte bei drei Lehrern Unterricht. Alle drei waren professionelle Musikpädagogen, einer von ihnen (der letzte, bei dem ich viele Jahre Unterricht nahm) war zudem als Pianist tätig und mit allen Wassern gewaschener Virtuose. Leider hatte keiner der drei Interesse an Improvisation und haben diese in ihrem Unterricht also kläglich vernachlässigt. Zeitweise war mir das nicht wichtig, mittlerweile ärgere ich mich, dass ich mich dazu habe verleiten lassen, dieses weite Feld nie angegangen zu sein.
lg up
nie über die Elise und River Flows in You hinausgekommen ist, wird seine Ideen kaum adäquat umsetzen können
Das erklärt also, warum so tolle Werke so schwer sind 🤣
Ich spiele selbst nicht, höre aber gerne und viel Klavier.
Ich kann dir also nur Hör-Tipps geben.
Als Inspiration kannst du zum Beispiel klassische Stücke jazzig interpretieren, abändern und improvisieren nach belieben, wie Jon Batiste.
https://www.youtube.com/watch?v=xZqjM_IPeXg&list=PLY3u5qOW4BGwZiMGUldBVfEeuO876o0nn&index=124
Auch eine sehr schöne Inspirationsquelle ist Hiromi oder Aki Takase
Eigentlich braucht es zusätzlich zur Fingerfertigkeit, Spielfreude und eine grosse Portion Mut unterschiedliche Ideen zu mischen.
https://www.youtube.com/watch?v=CY5dTBhRxOA&list=PLY3u5qOW4BGxGObMzXCjomwpPg27rXKHi&index=163
https://www.youtube.com/watch?v=zLn-1szyMKo&list=PLY3u5qOW4BGxGObMzXCjomwpPg27rXKHi&index=198
Hiromi zusammen mit Chick Corea etwas ruhiger.
Danke für die Hörtipps, von den unteren habe ich noch nie was gehört
Fingerfertigkeit, Mut und Spielfreude sind da, fehlt nur noch der erste Ansatz, wie man beginnen soll... 😁 ich glaube, dass das mit das schwierigste ist
Da würde ich mir gar keine Gedanken machen und einfach loslegen. Mit deiner Erfahrung in klassischer Musik, spielst du einfach mal klassische Stücke, jazzig nach Gefühl (ohne Noten), oder kurze Themen in unterschiedlichen Variationen. Ich denke das könnte eine gute Übung sein, das jazz-feeling zu spüren.
Gibt ein schönes Buch "Ready Fire Aim" und aus der gleichen Reihe über Comping
Hab mich schon gewundert 😂, aber danke dir!
Bei mir war’s auch so: Vier Lehrerinnen (bin oft umgezogen) und niemals is ein Wort über Improvisation gefallen.
So gern ich eine neue Lehrerin mit Erfahrung im Bereich Improvisation hätte, jetzt mich von meiner jetzigen, mit der ich die letzten Jahre völlig zufrieden war, zu verabschieden, wäre echt schade, zumal sie mich momentan aufs Musik-Abi vorbereitet.
Aber ich bin ja noch jung und hab hoffentlich noch reichlich Zeit, Improvisation anständig zu erlernen :-)