Dilemma aus Determinismus und Eigenverantwortlichkeit
Ich habe mich mit der Frage konfrontiert, ob es im Determinismus auch Eigenverantwortlichkeit geben kann. Freier Wille ist ja essentiell ausgeschlossen im Determinismus. Wenn aber Zustände stets kausal mir ihrem Urzustand in Zusammenhang stehen, was logisch(!) ist, wie kann ich gleichsam schlüssig für gelebte Eigenverantwortung argumentieren, wo ich doch bloß Passagier bin?
Beispiel: Ich erfahre Leid durch Dritte und anschließend entsteht daraus Angenehmes durch eigenes Zutun. Wer ist verantwortlich für das Leid? Wer ist für die Verbesserung verantwortlich? Wieso empfinde ich in der Situation Ärger und keine Dankbarkeit für den Peiniger? Wieso hängt mein Bewusstsein an der Vorstellung fest, dass es meine "eigenverantwortliche" Handlung war, die zur Verbesserung führte, wo doch B nicht ohne A erfolgt wäre?
7 Antworten
Im strengen Determinismus sind alle Ereignisse inklusive deiner Handlungen vorherbestimmt durch Ursachenketten das schließt den freien Willen aus. Trotzdem kannst du Eigenverantwortung als nützliches Konzept sehen: Sie motiviert dich bewusst zu handeln und beeinflusst dein Verhalten auch wenn dein Handeln kausal bestimmt ist.
Das heißt auch wenn du „nur Passagier“ bist bist du gleichzeitig Teil der Kausalkette die Veränderungen bewirkt. Dein Ärger über den Peiniger zeigt dass dein Bewusstsein bestimmte Handlungen als Ursache deiner Situation wahrnimmt das ist wichtig für dein Lernen und deine Entwicklung. Die „Eigenverantwortung“ ist also eher eine funktionale Haltung die dir erlaubt aktiv auf die Welt zu reagieren obwohl alles kausal zusammenhängt.
Danke! Deine Antwort geht in die Tendenz meiner Vermutung, was mich emotional fertig macht, da ich Determinismus logisch erachte aber gleichzeitig eine Person nicht aus ihrer Eigenverantwortlichkeit entlassen möchte. Ich meine, das ist auf eine spezielle Art befreiend aber auf eine andere Art beängstigend. Schließlich verliert Eigenverantwortlichkeit damit jegliche Substanz und Triebkraft und wird damit zu einer bloßen Ableitung der jeweiligen Handlung. Der Täter konnte nicht anders und ich bin gar nicht so Besonderes. Ich muss das noch sacken lassen.
Der radikale Determinismus ist im Lichte der modernen Quantenphysik ein absolut unmögliches Konstrukt. Dass der Mensch dennoch in vielerlei Hinsicht durch seine genetische Ausstattung, durch seine frühkindlichen Prägungen, durch vielerlei Einflussfaktoren durch Eltern, Gleichaltrige, Geschwister, Lehrer und existentielle Erfahrungen in seinem Verhalten zahlreiche Determinanten stark fremdbestimmt ist, nimmt ihm sicher einen Teil seiner Verantwortlichkeit.
Dennoch lernt jeder Mensch die Verhaltensnormen seiner Lebenswelt und muss sich mit diesen arrangieren, was dann leichter oder schwerer fallen kann. Es bleibt ihm jedoch immer ein Spielraum für eigene Entscheidungen, die er gestalten kann unter Abwägung der Nutzen (Lob und Anerkennung durch die Gemeinschaft) oder Lasten (Geringschätzung, Anklage, Beschimpfung oder soziale Ächtung).
Und so bleibt der Mensch immer mit Entscheidungen konfrontiert, die er als „frei“ erlebt, d.h., die er nach eigenem Ermessen gestalten kann.
Als rational veranlagter Techniker ist es allein die Heisenbergsche Unschärferelation die mich etwas aufatmen lässt und dem anthropologischen Determinismus "light" zugänglich macht. Trotzdem ist es eine schwer zugängliche Vorstellung, dass es allein die Doppeldeutigkeit ein einzelnes Quant im substanziellen Aufbau des Gehirns sein soll, welches der Unterschied zwischen Entscheidung A oder B ausmacht. Ich stelle mir einen Suchtkranken vor, dessen Vater bereits Alkoholiker war, weil der Großvater bereits Alkoholiker war und dieser Suchtkranke hat Menschen im Umfeld seit jeher die seine Suchtkrankheit bestätigen und ist bildungsarm und unreflektiert, ungesund und hilflos und wie auch schon sein Vater und dessen Vater. Dann reden wir beim Determinismus "light" zwar von Wahrscheinlichkeiten, deren Normalverteilung aber eher dem Mount Everest entspricht denn einer Glockenkurve und das Endergebnis ist defacto gleich nämlich unfreier Wille. Ohne freien Willen aber kann ich den Suchtkranken nicht in die Eigenverantwortung nehmen, sein Schicksal ist von Geburt an Leberzirrhose und der vorzeitige Tod.
Viele Betrachtungen unterliegen dem Fehler, dass sie lediglich dual als Gegensätze betrachtet werden. Der fließende Raum / Weg dazwischen viel dabei ignoriert.
Der im Beispiel genannte "Peiniger" ist sicherlich nicht zufällig im Leben tätig, sondern erfüllt bezüglich Bewusstsein seine Aufgabe und Funktion. Im Verständnis kann der Peiniger durchaus als wichtig erscheinen, da daraus der Impuls generiert wird, in einem Aspekt ein höheren Verständnis der Zusammenhänge zu verstehen. Das ist aber auch eine Leistung, die das Individuum erbringen muss.
So ist es, im Determinismus gibt es keine Eigenverantwortlichkeit. Ansonsten - der Freie Wille ist experimentell nachweisbar, woraus der Determinismus hinfällig wird.
Das Dilemma ist fiktiv, also eingebildet.
Denn ob vorherbestimmt oder freier Wille, welche Socken Du morgens anziehst musst Du immernoch selbst entscheiden. Und wenn Du die Socken mit den Löchern anziehst, musst Du auch selbst die Konsequenzen dafür tragen.
Niemand würde Eigenverantwortung für die eigene Geburt unterstellen.
Aber: Eigenverantwortung der Erzeuger.
Nicht im Sinne von "das ist die Partnerin die ich wollte zu wollen mit der ich Kinder mache", leider. Erst Recht in der Partnerwahl zeigt sich die familiäre Prägung, wenn Töchter von Alkoholikern Alkoholiker binden oder Söhne von narzisstischen Müttern an Toxen geraten und dazwischen bleiben wiederum eine unendliche Anzahl von Kausalketten die zwei Menschen zum Zeitpunkt X am Ort Y zusammengeführt haben rückzugverfolgen bis zu deren Geburt.
Ja, die Entscheidung als Handlung führt der Mensch bewusst durch. Nein, die Kriterien die zur Entscheidung führen entstehen durch vom Individuum erfahrene Informationen. Letztere sind wiederum im Zusammenhang von weiteren Kausalketten zu betrachten, weshalb das Individuum den Lauf der Dinge nicht verantworten kann.
Niemand würde Eigenverantwortung für die eigene Geburt unterstellen.