Wieso gibt es Jugoslawien nicht mehr?

2 Antworten

Deine Behauptung, die meisten wollen eine Wiedervereinigung von Jugoslawien ist realitätsfern. Vielleicht bist du und deinem Umfeld so? Aber jeden (wirklich jeden) mit dem ich über dieses Thema in Serbien, Kroatien, Montenegro oder Slowenien spreche, die wollen alle unterm Strich das genaue Gegenteil von dir und deiner Vorstellung. Bevor du mir jetzt auch damit kommst, das ich das als Mitteleuropäer nicht nachvollziehen kann und keine Ahnung davon habe, glaub mir die habe ich mehr als du! Ich arbeite schon lange mit Firmen und Regierungen von zig verschiedenen Ländern des ehemaligen Jugoslawien eng zusammen und habe meinen zweit Wohnsitz in Zlatibor (Serbien). Da du scheinbar aus Nord Mazedonien bist ist deine Jugo Nostalgie nicht verwunderlich, kommt dort öfters vor.

Mal zur Realität

War es das wert? Ein Jahrzehnt der Kriege? Flucht, Vertreibung? Nein, würden die meisten Bürger der sieben Nachfolgestaaten Jugoslawiens wohl sagen, wenn man ein repräsentatives Kollektiv aus ihnen befragen würde - sowohl unter den Älteren, die das Geschehen erlebt haben, aber auch bei den Jüngeren, die nichts anderes kennen als das postjugoslawische Zeitalter. Doch ein solches Kollektiv existiert nicht. Es gibt keine jugoslawische Gesellschaft mehr, die es repräsentieren könnte. Fragt man heute Menschen in den einzelnen ehemaligen Teilrepubliken, fallen die Antworten höchst unterschiedlich aus. Entspannt ist die Erinnerung an den Vielvölkerstaat bei einer Mehrheit einzig in Slowenien. Es war okay, ganz gut, um manches ist es auch schade, aber am Ende ging es nicht mehr: Das ist dort die meist verbreitete Formel. Die Slowenen sagen dies aber nur aus einem einzigen Grund. Durch die Grenze zu Österreich und Italien hatten sie immer einen gewissen Wohlstand und Jugoslawien war zwar existent, aber irgendwie doch nicht ganz und es deshalb dort immer anders war. Selbst beim Zerfall Jugoslawiens waren sie weit weniger betroffen als alle anderen Gruppen. Dennoch, spätestens wenn sie etwas nachdenken kommt von Slowenen folgende Aussage :,, Wir im Norden? Wir haben doch die da unten immer nur Finanziert! Woher kommt Gorenje, einer der Größten Hersteller von Küchengeräte, Waschmaschinen und Kühlschränke in Europa? Das waren wir Slowenen!"

Unter den Albanern in Kosovo gibt es so gut wie keine "Jugo-Nostalgiker". Zu traumatisch ist die Erinnerung an das letzte Jahrzehnt dieses Staates. In Kosovo herrschte bis 1999 zwar kein Krieg, aber Polizeiterror. Ja aber Jugo Nostalgiker gibt es die allzu offen den Untergang Jugoslawiens betrauern vor allem von Zeitgenossen in Serbien, Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und sogar - wenn auch eher hinter vorgehaltener Hand oder nach dem dritten Bier - in Kroatien. Interessant ist allerding nicht das sie wirklich ein Jugoslawien zurückwollen, sondern sich viel mehr sich in der Nostalgie wälzen als im Wunsch wieder in der Vergangenheit zu leben. Die Jüngeren die Jugoslawien nur aus Hörensagen kennen, die plappern ihren Großeltern und Eltern eben nach, aber überzeugte Jugoslawien Anhänger werden sie nie sein. 

Zum Untergang

Den Keim seines Untergangs trug das Land schon lange in sich. Nicht die kulturelle Verschiedenheit der Bewohner war das Problem, andere Nationen, von Indien über die Schweiz oder Einwanderungsländer wie die USA, kamen und kommen mit weit größeren Unterschieden zurecht. Das Problem war der Umgang damit. Im "ersten Jugoslawien" der Zwischenkriegszeit (1918-1941) galt die Parole, dass man nationale, konfessionelle oder kulturelle Gegensätze möglichst ignorieren solle. Das Gegenteil des Erwünschten trat ein: Weil die Unterschiede kein Thema sein sollten, setzte sich die relative Mehrheit, die serbische, nur umso gründlicher durch.

Nach dem Überfall durch Nazi-Deutschland und dem folgenden, stark ethnisch getönten Bürgerkrieg der 1940er Jahre schworen sich die Kommunisten, den alten Fehler nicht zu wiederholen. Im "zweiten Jugoslawien" (1943-1991) wurde auf alte nationale Identitäten bewusst Rücksicht genommen - und neue wurden gefördert, etwa die der Mazedonier, der Bosniaken, schließlich auch der Roma. Solange nationale Identität nach sowjetischem Vorbild als Folklore verstanden wurde und für Politik allein die kommunistische Einheitspartei zuständig war, funktionierte dieses System. Aber als der Kommunismus immer fragwürdiger wurde, parlamentarische Demokratie sich weltweit als überlegen erwies, als schließlich auch der Mythos des Partisanenkrieges verblasste, bekamen die nationalen Zugehörigkeiten immer mehr politische Bedeutung.

Positionen, Jobs, finanzielle Mittel, Autobahnen, Betriebsansiedlungen - bei allem wurde im sozialistischen Jugoslawien auf den ethnischen "Schlüssel" geachtet. Mehrheitsentscheidungen verboten sich, denn eine Nationalität war immer stärker als die andere. Alles strebte nach optimalem Gleichgewicht. Aber das Gleichgewicht konnte nur labil bleiben. Geriet es ins Rutschen, wie Anfang der 1970er Jahre in Kroatien, sprach Tito ein Machtwort und ließ die Störenfriede einsperren. Ein möglicher Nachfolger für Tito, den großen Schiedsrichter, hätte eine gelungene Kreuzung aus Vorfahren sämtlicher jugoslawischer Nationalitäten sein müssen. So einen konnte es nicht geben. Im achtköpfigen Staatspräsidium, das die Rolle übernehmen sollte, waren Mehrheitsentscheidungen formal zwar möglich. Aber wenn eine Nation überstimmt wurde, stand immer gleich der Bestand des Staates in Frage. Als Slobodan Milosevic, der serbische "Reform-Präsident", als der er anfangs galt, mit seinem "serbischen Block" die nötige Rücksicht ignorierte, war der Staat tatsächlich am Ende.

Jugo-Nostalgiker wie du preisen das Vielvölkerstaatsmodell heute wieder als Vorbild; zerstört worden sei das Land wahlweise von einem missgünstigen Ausland oder von böswilligen Politikern. Aber eine Gesellschaft, die ihren Reichtum und ihre Macht nach ethno-nationalen Quoten verteilt, darf sich nicht wundern, wenn die Konflikte zwischen den Ethnien alles beherrschen. Aufteilung war am Ende die logische Folge. An böswilligen Menschen, die das Projekt zu einem blutigen Ende führten, gab es wie überall auf der Welt auch in Jugoslawien keinen Mangel.

Das heißt nicht, dass Jugoslawien nie eine Chance gehabt hätte. Als sich Ende der 1960er Jahre fast überall auf der Welt demokratische Aufbruchsstimmung regte, stritten auch in Jugoslawien junge Menschen für liberale Werte. Den meisten ging es an erster Stelle um bürgerliche Gleichheit - nicht um nationale. Aber die alte Garde an der Macht, mit Tito an der Spitze, mochte nicht mehr Demokratie wagen. Stattdessen entschied sie sich, das ethnische Gleichgewicht noch feiner als bisher auszutarieren. Am Ende fühlten sich alle von allen ausgebeutet. Und alle zu Recht.

Jugoslawien wird es nie wieder geben und das ist auch gut so!

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Dr. oec. publ. (Volkswirtschaft)
UnterhaltungNRW  13.01.2023, 17:16

Herzlichen Dank. ich bin seit Jahrzehnen mehrfach im Jahr in Kroatien. Kenne durch mein Boot die ganze Küste von oben bis unten. Und teile ( mit meinen krotischen Freunden) daher absolut deine Meinung !!!

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jule2204  13.01.2023, 20:37

Der Junge kennt Jugoslawien gar nicht selber.
Der ist erst 17 Jahre alt.

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Jugoslawien ist nach dem Ersten Weltkrieg auf Wunsch des US-Präsidenten Wilson entstanden. Er hat sich damit den Zorn der Italiener zugezogen, denen im Geheimvertrag von London (26. April 1915) der Großteil von Dalmatien versprochen worden war. Wilson wollte den Staat aller Südslawen, weil er die Adria nicht den Italienern allein überlassen wollte und weil er nur ein vereintes Südslawien für lebensfähig und damit als echten Pufferstaat gegenüber Russland hielt. Die religiösen und geschichtlich-kulturellen Unterschiede hielt Wilson nicht für wichtig. Ihm erschien wichtiger, dass die Südslawen praktisch die gleiche Sprache sprechen - bis auf die Slowenen, und auch deren Sprache ist nicht viel anders. Josip Broz, der nach dem Ersten Weltkrieg als hochdekorierter österreichischer Soldat (silberne Tapferkeitsmedaille) aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte, war von der kommunistischen Ideologie überzeugt, laut der alle Menschen gleich sind und ethnische Unterschiede keine Rolle spielen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er sich als Partisanenführer "Tito" einen Namen gemacht hatte, wollte er nach diesem Ideal den Staat der Südslawen zusammenhalten. Er selbst war als Sohn eines ausgewanderten Welschtirolers, der der kleinen Minderheit der Zimbern angehörte, und einer Slowenin mit Nationalitätenfragen vertraut. Aus reinem Opportunismus erklärte er sich selbst zum Serben und bevorzugte diese Gruppe, was schließlich zum Auseinanderfallen Jugoslawiens führte.

UnterhaltungNRW  13.01.2023, 17:13

Klasse Beschreibung ! Top

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Horus737  02.04.2023, 18:55
@UnterhaltungNRW

Na ja, etwas sehr verkürzt. Der Zerfall Jugoslawiens geschah erst nach dem Tod Titos. Die Gründe waren vor allem wirtschaftlicher Art. Das kommunistische Armenhaus auf dem Balkan fiel in sich zusammen.

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Ruenbezahl  02.04.2023, 19:12
@Horus737

Ich könnte es auch ewas länger ausführen, aber dafür ist hier kein Platz. Wirtschaftliche Gründe haben beim Zerfall Jugoslawiens nach dem Tod Titos sicher eine Rolle gespielt, aber man darf die historischen, kulturellen und vor allem religösen Gründe nicht übersehen. Slowenien, das sich auch sprachlich vom übrigen Jugoslawien etwas abhebt, hat immer zu Österreich gehört und ist vorwiegend katholisch. Kroatien unterscheidet sich zwar sprachlich nicht von Serbien, wohl aber religiös und kulturell. Kroatien ist katholisch und hat seit langem zu Ungarn gehört. Serbien ist orthodox, war früher von der Türkei abhängig und war jahrzehntelang bemüht, die Vorherrschaft am Balkan zu erringen (siebe die beiden Balkankriege 1912 und 1913) und ein Großserbien zu schaffen. Bosnien ist ethnisch und religiös (Katholiken, Orthodoxe, Moslems) gemischt und daher seit jeher ein Pulverfass. Die Gründung des SHS-Staates nach dem Ersten Weltkrieg war von US-Präsident Wilson vielleicht gut gemeint, aber schlecht getroffen. Für die Serben war es die Erfüllung der Traumes von einem "Großserbien", den sie seit langem verfolgt hatten, und damit war der Wurm in der Staatsgründung.

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