Wie viel behält man aus dem Studium?
Hallo,
ich habe vor ein paar Jahren einen Master in Physik abgeschlossen und arbeite jetzt seit fast vier Jahren in der Softwareentwicklung.
Mein Abschluss war mit 1,2 sogar ziemlich gut.
Ich habe jetzt gemerkt, dass ich ziemlich viel aus dem Studium nicht mehr kann und finde das frustrierend.
Ich könnte z.B. aus dem Stehgreif nicht mehr die Operatoren in zweiter Quantisierung hinschreiben oder wie nochmal die Dirac-Gleichung ging. Oder was die Boltzmann-Abzählung war.
Manchmal sind es auch so einfache Dinge wie man z.B. die positive Definitheit einer Matrix nochmal zeigt oder wie man die Delta-Distribution in Zylinderkoordinaten verwendet.
Ich hätte auch Probleme jemandem aus dem Stehgreif zu erklären was Entropie ist, wobei ich gefühlsmäßig den Entropiebegriff richtig anwenden kann.
Ich habe dadurch das Gefühl, dass ich verblöde und alles was ich im Physikstudium gemacht habe, umsonst war. Dabei habe ich früher sogar mal was mit Quantenelektrodynamik und der allgemeinen Relativitätstheorie gemacht. Da ist fast alles weg. Ich weiß schon gar nicht mehr wie man die kovariante Ableitung verwendet. Ich weiß noch, dass es diese Begriffe gibt, aber verwenden kann ich sie aus dem Stehgreif nicht.
Ist es normal, dass man soviel vergisst bzw. nicht mehr kann, wenn man im Beruf was anderes macht oder ist mein Gehirn einfach zu löchrig?
6 Antworten
ja, ist normal
aber du könntest es trotzdem, wenn du müsstest
du müsstest es ja nicht ad hoc können, du würdest dich dann wieder kurz einlesen
JEDER anwalt arbeitet so
die wissen das auch nicht auswendig, nur wo sie gucken müssen
nein, den skill hab ich auch und ich hab kein physikstudium
mein cousin hat eins und summa cum laude promoviert
der arbeitet in london und verdient geld wie dreck
alleine seine miete sind 3500e, aber die firma zahlt einen teil
ist es eigentlich normal, dass man so fachfremd eingesetzt wird?
der war erst bei einer firma, die marktforschung gemacht hatte, jetzt ist er bei einer firma, die algorythmen entwickelt, für versicherungen zur schadensbestimmung in geld
Wenn ich überlege, was ich von meinen Bachelor & Master heute noch weiß, dann ist das vergleichsweise vielleicht 10%? Ich wüsste noch welche Fächer ich hatte und wahrscheinlich auch noch Themen, falls man sie mir sagen würde, aber dann ist der Rest auch weg.
Aber so sind wir Menschen, Dinge die wir nicht mehr benötigen, die vergessen wird. Wenn wir etwas immer und immer wieder besprechen, bleibt es einfach viel eher in Erinnerung.
Wenn sich unser Kopf alles, wirklich alles merken würde, wären wir glaube ich alle Meister und könnten gefühlt zaubern. Dann wären ja am Ende alle Menschen gleich? Weil niemand mehr etwas vergisst..
Egal ob Studium oder Schulwissen, was man im Alltag nicht mehr anwendet "vergisst" man mit der Zeit, weil unser Hirn effizient ausmistet. Allerdings ist das Wissen trotzdem noch irgendwo abgespeichert, (ähnlich wie man eine Datei auf dem PC nicht oder nur noch sehr schwer wiederfindet, wenn man ohne System irgendwohin abspeichert), und kommt schneller wieder zurück ins Gedächtnis, wenn man es wieder braucht, als dass sich was völlig Neues festigt.
Nein, Du verblödest nicht. Dein Gehirn tut genau das, was es tun muß, um normal zu bleiben. Es hält die Gedächtnisinhalte frisch, mit denen Du im Leben öfter zu tun hast, und lagert die unbenutzt herumliegenden Denkmethoden in Archivkisten ein, wo es einige Mühe bereitet, sie aufzufinden, hervorzuholen und wieder betriebsbereit zu machen.
Dein Erfahrungsbericht deutet darauf hin, daß es mit dem im Studium erworbenen Wissen ebenso sein dürfte wie mit dem Schulwissen: Seine Halbwertszeit ist kurz. Empirische Studien zu allen Fächern zeigen, daß die Menschen nur einen winzigen Bruchteil des Schulstoffs wirklich behalten.
Die hierauf hinauslaufenden Ergebnisse der Bildungsforschung, die Thomas Städtler in seinem Buch Die Bildungs-Hochstapler zusammengetragen hat, führen ihn zu dem Fazit: Die Schule versagt vor ihrer Kernaufgabe, weil sie Unmögliches versucht.
https://www.spektrum.de/rezension/die-bildungshochstapler/1053254
Wenn die Befunde der Kritiker des Schulsystems also auch auf die Hochschulbildung zutreffen, dann legt dies nahe, daß es dort ebenso viel zu reformieren gäbe, falls man an der Sinnhaftigkeit des Lerngeschehens ernsthaft interessiert wäre. Harald Lesch hat oft genug dargelegt, wieso er die Bologna-Reform und überhaupt das Zuschütten junger Leute mit Bergen von Lernstoff ablehnt.
Ich könnte z.B. aus dem Stehgreif...
das ist auch nicht das problem.
aber du könntest dir alle diese sachen in kürzester zeit wieder aneignen, weil du sie schon einmal gewusst und verstanden hast. darum geht.
wenn mich ein kollege zu einer arbeit fragt die ich selbst vor ein paar jahren gemacht habe kann ich aus dem stehgreif oft auch keine details dazu nennen. aber dann liest man sich schnell wieder ein und dann ist alles wieder klar. darum geht es.
Also bei mir ist es so, dass ich weiß, was es so für Dinge gibt, aber ich könnte dieese Dinge dann nicht ad hoc verwenden, aber wüsste dann was ich lesen müsste. Ist das dann auch ein Skill, den ich durch das Physikstudium erworben habe, der dann nachhaltig ist. Im Gegensatz dazu, dass ich jetzt nicht mehr ad hoc weiß wie sich Tensoren transformieren?