Wenn du einen historischen Charakter zum Essen einladen könntest? Welcher wäre das?
Hi,
s.o.
Gerne noch mit Begründung. :)
LG
GivenTaken
9 Antworten
Wenn ich eine historische Person zum Essen einladen könnte, so würde ich mich sofort und ohne groß nachzudenken für meinen Freund, den ehrwürdigen Reformator Martin Luther, entscheiden!
Endlich hätte ich einmal die Gelegenheit, mit ihm über einige brennende Themen zu sprechen, die mir schon seit Jahren auf der Seeele brennen!
Als erstes würde ich Luther mitteilen, dass die von Papst Leo X.am 3. Januar 1521 ausgesprochene Exkommunikation über seinen Kirchenbann, in der er zum Ketzer erklärt worden war, bis zum heutigen Tag, auch noch 503 Jahre später, ihre Gültigkeit hat!
Und dann wollte ich von ihm wissen, ob er den berühmten Ausspruch:
"Hier stehe ich, ich kann nicht anders!"
wirklich gesagt hatte, als er sich am 17. April 1521 auf dem Wormser Reichtstag vor dem jungen, gerade einmal 19 Jahre alten, Kaiser Karl V. und den weltlichen Fürsten, unter Führung von Luthers Landesherrn Friedrich dem Weisen, geweigert hatte, seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel zurückzunehmen.
Dann sollte mir Luther erklären, wie es 1525 zu der Wandlung seiner Haltung um den Bauernkrieg im Thrüringen und Württemberg kam, der frühesten politisch-sozialen Massenbewegung, als er dafür eingetreten war, die Erhebungen der Bauern radikal niederzuschlagen.
Als sich die Bauern 1524 gegen die drückende Herrschaft von Klerus und Adel erhoben hatten, glaubten sie den Reformator auf ihrer Seite. Seine kämpferische Parole in seiner 1520 erschienenen Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen: "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan", nahmen sie wörtlich! Die Schrift gab ihnen die Bestätigung, dass sie weder die Leibeigenschaft noch die ständig steigende Abgebenlast dulden mussten, sodass sie sich ermutigt fühlten, für ihr Recht zu kämpfen, da sie glaubten, "göttliches Recht" spreche für sie.
Doch sie täuschten sich in dem Reformator gründlich! Anfang Mai 1525 verfasste Luther die Schrift Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern, mit der er sich direkt an die Fürsten wandte. Wörtlich ruft er die Landesherren dazu auf, die Revotierenden zu töten - dies sei eine religiös verdienstvolle Tat. Neben seinen antijudaistischen Werken markiert diese Arbeit einen Tiefpunkt in Luthers Biographie und Publizistik. Luther setzte ganz auf die Obrigkeit als Garant und wichtigste Stütze der weltlichen Ordnung. Innerhalb der ländlichen und teilweise auch der städtischen Bevölkerung verlor er daraufhin stark an Rückhalt.
Auch wollte ich von Luther wissen, welchen Anteil sein Gegenspieler auf Seiten der Thüringer aufständischen Bauern, der radikale Reformer Thomas Münzer, dabei hatte, den Luther als Urheber der Gewalt und als teuflisches Geschöpf bezeichnete.
Zu guter Letzt sollte Luther mir erklären, wie es zu seinem Umschwung in Bezug auf sein Judenbild kam! 1523 noch verlangte er als erster maßgebender christlicher Theologe eine gewaltfreie Judenmission und gesellschaftliche Integration der Juden. Doch unter dem Eindruck fehlender Missionserfolge und Gefährdung der Reformation rückte er seit 1525 zunehmend davon ab. 1543 forderte er die evangelischen Fürsten zur Versklavung oder Vetreibung der Juden auf und erneuerte die judenfeindlichen Stereotype, die er 30 Jahre zuvor verworfen hatte.
Ich würde Luther darlegen, dass er damit diese in die Neuzeit überlieferte, wo sie bis zum heutigen Tag wirken! Nationalsozialisten und Deutsche Christen legitimierten damit die staatliche Judenverfolgung, besonders das November- pogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Große Teile der damaligen Deutschen Evangelischen Kirche stimmten dieser Verfolgung zu und schwiegen dazu.
Alle diese Punkte würde ich bei Luther ansprechen und ihn nach seinen Motiven für sein Handeln und die Wandlung seiner Geisteshaltung bei den Bauern und Juden fragen.
Und nach diesem Essen würde ich hingehen und mich an meinen Computer setzen und das Gespräch schriftlich über meine Tastatur festhalten und vielleicht sogar die eine oder andere historische Korrektur nach diesen 500 Jahren vornehmen, da ich nun, im Jahre 2024, durch mein persönliches Gespräch mit Luther eines Besseren belehrt worden wärei!
Die Zusammenkunft mit Luther zu einem Essen, wobei ich als Schwabe für ihn meine Leibspeise, Schwäbsche Maultaschen, machen würde und ihm dazu einen guten Württemberger Trollinger, ein Cannstatter Zuckerle, kredenzen würde, - würde für mich ein unvergessliches Erlebnis sein, das ich Zeit meines Lebens nicht mehr vergessen und bis zum Verlassen dieser Welt davon zehren würde!
So wahr ich Regilindis heiße! Und so wahr die Reglindis als Stifterfigur im Weltkulturerbe, dem Naumburger Dom, in dessen Westchor seit dem Jahr 1200 in Überlebensgröße in Stein gehauen steht!
Für mich ist Martin Luther nicht nur eine historische Person, sondern durch seine Bibelübersetzung des Neuen Testaments auf der Wartburg in der Zeit zwischen dem 18. Dezember 1521 und dem 1. März 1522 ist er auch der Schöpfer unserer deutschen Sprache, die es vor seiner sprachgewaltigen Übersetzung nicht gab! Sondern die aus einer Unzahl von Dialekten bestand!
Schön, dass Dir Luther auch gefällt! Danke! Als Historikerin ist Geschichte mein Beruf! Und wahnsinnig interessant, weil man in der Vergangenheit auf die unglaublichsten Menschen trifft!
Das glaub ich dir. :) Historiker hab ich hier noch nie getroffen, schön mal jemanden in diesem Gebiet zu sehen!
Ich freue mich vor allem über aufgeschlossene Menschen und User, die gute Frage stellen, bei denen ich merke, es geht ihnen um die Menschen, so wie Du! Das tut gut!
Leonardo da Vinci. Weil das schon damals ein helles Köpfchen war.
Albert Einstein. Ich mag seinen Humor.
Werd' ich mit klarkommen. Er war auch nur ein Mensch seiner Zeit.
Mit seinem Humor komme ich auch klar, ist auch witzig. Finde auch viele seiner Äußerungen (abgesehen vom Missgriff mit der Atombombe) sehr bedenkenswert. Aber sein Umgang mit seiner Frau/seinen Frauen, auch die bis heute ungeklärte Frage nach seinem 1. Kind ... ist für mich menschlich unter aller Kanone. Aber ein wichtiger Mensch der Naturwissenschaftsgeschichte. Zweifellos ... und humorvoll sicher auch ...
Kaiser Nero.
König David
Danke für deine äußerst ausführliche Antwort! Ja, Martin Luther ist eine ganz schön interessante Person. Ich sehe du interessierst dich für Geschichte. :)