Was ist in der Chemie ein Radikal?
Kann mir ein Chemiker erklären, wie das folgende zu verstehen ist:
Erst wird gesagt, dass man die Elektronen zählen soll und wenn die Anzahl ungerade ist, wäre es ein Radikal: aber dann passt es schon beim Sauerstoff nicht und man macht eine Ausnahme von der Regel? Was jetzt?
Gibt es bessere Definitionen als diese? Und wie erkenne ich im Einzelfall, ob ungepaarte Elektronen vorhanden sind, wenn es sich um Moleküle handelt, z.B. *OH, NO oder ClO?
2 Antworten
Es gibt bessere Definitionen, ja, aber die sind weitaus komplizierter und erfordern ein MO-Schema der fraglichen Verbindung. Das ist so ohne weiteres (meist) nicht möglich. Dementsprechend ist die Regel mit dem Elektronenzählen für "Allerweltsverbindungen" durchaus praktikabel.
Sauerstoff ist so mit die einzige Ausnahme. Es gibt mehr Ausnahmen bei einfachen Molekülen von der Oktettregel als von dieser hier.
Für einzelne Atome funktioniert die Regel allerdings nicht wirklich. Die kommen aber ja so auch nicht wirklich vor.
Die kommen aber ja so auch nicht wirklich vor.
naja, in der Stratosphäre (scheinbar) schon. Um das geht es in meiner Vorlesung.
Es gibt mehr Ausnahmen bei einfachen Molekülen von der Oktettregel als von dieser hier.
Wo kann man diese chemischen Grundlagen lernen? Ist dazu ein tiefes Verständnis der Quantenmechanik nortwednig oder kann man das auch heuristisch erklären?
Quantenmechanik nicht unbedingt, aber physikalische Chemie zumindest. Denn ein Radikal ist für gewöhnlich ja - von O2 abgesehen - kein stabiler Zustand. Grade in der Hochatmosphäre spielt da Strahlung und Anregung von Teilchen eine große Rolle. Das wird in den Uni-Vorlesungen aber meist nur oberflächlich angekratzt (weil es für die meisten halt einfach irrelevant ist).
Für Radikalchemie? Puh, keine Ahnung. Stöber mal ein bisschen in der Bib deiner Uni. Ansonsten mal nach Review Artikeln in Journalen suchen.
naja, nur die Grundlagen, was ein normaler Chemiker über Orbitaltheorie lernt.
Ach so, da könntest du mal im Atkins schauen. Ansonsten halt die gängige AC und PC Lektüre
hab mir den Atkins mal besorgt. Sieht machbar aus.
Ein Radikal ist ein Molekül mit ungepaarten Elektronen, d.h., die einzelnen Spins der Elektronen (jedes einzelne hat ±½) heben einander nicht auf.
- Wenn das Molekül eine ungerade Elektronenanzahl hat, dann ist es notwendigerweise ein Radikal. Spins können einander ja nur paarweise aufheben, und bei einer Ungeraden Gesamtanzahl bleibt zweifellos etwas übrig, oder andres gesagt: Die Summe einer ungeraden Anzahl von Summanden, die alle ±½ sind, ist immer von Null verschieden.
- Moleküle mit gerader Elektronenanzahl sind fast immer keine Radikale, weil die Elektronenspins einander paarweise kompensieren können und das in aller Regel auch tun. Sauerstoff O₂ ist praktisch das einzige bei Raumtemperatur stabile Teilchen, das trotz gerader Elektronenanzahl ein Radikal ist, weil zwei seiner Elektronen sich allen Faustregeln zum Trotz einen parallelen Spin leisten. Dasselbe kommt bei einer Anzahl instabiler Moleküle vor (z.B. das hochreaktive Methylen CH₂), und auch oft bei Übergangsmetallionen (die sind aber keine Moleküle).
In meinen VO Unterlagen geht es aber um atomaren Sauerstoff (obwohl ich gehört habe, dass O2 ebenfalls ein Radikal ist).
Ja, nackte Atome sind regelmäßig radikalisch, selbst wenn sie eine gerade Elektronenanzahl haben (z.B. C-Atome). Das ist ja auch der Grund, daß sie selten vorkommen, sondern sich zu Molekülen oder Atomgittern verbinden.
Teilchen mit gerader Elektronenanzahl können nur radikalisch sein, wenn ein entartetes Orbital teilweise besetzt ist. Atome haben sehr viele entartete Orbitale (das p-Orbital ist z.B. dreifach entartet, und jede Besetzung außer ganz voll oder ganz leer führt zu einem Radikal). Bei Molekülen kommt das viel seltener vor; selbst wenn sie eine exotische Elektronenkonfiguration haben, können sie meistens irgendetwas machen (z.B. ihre Geometrie verzerren, oder dimerisieren), was das Problem löst.
Cyclobutadien C₄H₄ ist so ein Fall — naïv würde man eine quadratische Form erwarten, in Analogie zum Benzol. Allerdings wäre dann das höchste besetzte Orbital entartet und nur halb besetzt. Deshalb verzerrt sich das Molekül zu einem Rechteck und entkommt dem radikalischen Verhängnis.
Atome können das aber nicht, und sind (wenn man sie voneinander isoliert, also z.B. in einem verdünnten Gas) in ihrem Unglück gefangen.
aber wenn das Abzählen schon beim Sauerstoff nicht mehr stimmt, wie kann man dies dann als Regel aufstellen? Für mich klingt das so wie der Satz "Alle ungeraden Zahlen sind Primzahlen: 1, 3, 5, 7, 9 ist halt eine Ausnahme, 11, 13 stimmt wieder". Da wäre es besser, man sagt gleich, dass es kompliziert ist, statt eine falsche Regel anzugeben.