Verwendung des Konjunktiv I außer inderkter Rede und Imperativ?
Servus!
Gibt es noch Verwendungswege des Konjunktivs I außer inderekter Rede und Imperativ? Ich habe irgendwie den Eindruck, dass es ja diese gibt; vor allem in älterer Sprache.
Beispiel aus Goethes "Faust": "Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!" G. Hauptmann: "Es war die allgemeine Ansicht, dass ihm der Tod seiner Frau nicht sehr nahe gegangen sei."
Mit freundlichen Grüßen
3 Antworten
Bis zu Goethe und noch weiter zurück möchte ich nicht gern. Es reicht doch, wenn du ältere Texte verstehst. Du solltest dich um das Standarddeutsch von heute kümmern, damit du weißt, in welchen Fällen du selbst den Konjunktiv 1 benutzen kannst oder auch solltest.
Dein Hauptmann-Beispiel ist quasi indirekte Rede. "Es war die allgemeine Ansicht/Meinung, dass (...) sei". Die Leute denken das und sagen das dann natürlich auch. Bei Verben des Denkens, Hoffens u. ä. ist der K1 genauso wie der K2 (manchmal auch der Indikativ) möglich:
- Es war die allgemeine Ansicht, dass ihm der Tod seiner Frau nicht nahegegangen sei/wäre/ist.
- Frau Neumann hoffte, man werde/würde ihr die kleine Schwindelei nicht übel nehmen.
In irrealen Vergleichssätzen lesen wir oft ohne Unterschied K1 und K2, z. B.:
- Er tut so, als sei/wäre er superreich. / als ob er superreich sei/wäre.
- Ihr ist, als habe/hätte sie einen Geist gesehen. / als ob sie einen Geist gesehen habe/hätte.
Im Imperativ benutzen wir heute kaum den K1 außer bei "sein" in der 2. Person Singular, in der 1. Person Plural und in der Höflichkeitsform, also z. B.
- Sei mir nicht böse!
- Seien wir doch vernünftig!
- Seien Sie doch endlich ruhig!
Wünsche wie "Mögest du gesund bleiben!" sind ziemlich altbacken. Da nimmt man einfach den Imperativ und sagt: "Bleib gesund!" Auch Wünsche für dritte Personen drücken wir normalerweise nicht mehr im K1 aus. Statt "Möge er gut nach Hause kommen" sagen wir: "Ich hoffe, dass er gut nach Haus kommt./Hoffentlich kommt er gut nach Haus."
Über Bibelsprüche, Gebete, Sprichwörter, Redewendungen u. ä. müssen wir uns keine Gedanken machen. Die übernehmen wir, und damit hat sich's. Beispielsweise:
- Es werde Licht!
- Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme. etc.
- Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe.
- Komme, was wolle.
- Gott / Dem Himmel sei Dank!
- Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.
- Man möge mir verzeihen, aber ich gebe grundsätzlich keine Autogramme.
Früher waren Kochrezepte oft im K1 geschrieben: "Man nehme 3 Eier, schlage sie auf und lasse sie (...). Dann rühre man (...)." Heute sind die meisten Rezepte und Anleitungen im Infinitiv geschrieben.
In mathematischen Fachtexten dagegen findet man immer noch den auffordernden K1:
- Gegeben sei ein rechtwinkliges Dreieck mit (...).
- In der Zeichnung sei die Ellipse eine Satelliten-Umlaufbahn.
Naja, solcher ausführlichen Antwort keinen Stern zu geben – wäre ja unfair dir gegenüber!
Guten Abend!
Ich laß es mir heute noch einmal durch und merkte, dass ich eines doch dich nachfragen möchte in Bezug auf Goethes Beispiel: Verstehe ich dich richtig, dass man könnte die beide Konjunktiv "tauschen" sozusagen; also "sei" statt "wäre" verwenden, und dass ebendas in dem Beispiel aus "Faust" der Fall ist.
Liebe Grüße und schönen Abend!
Bei meinem Beispiel geht es um den irrealen Vergleich "so tun /so aussehen/es scheint, als (ob) ..."
Das ist in der Faust-Passage nicht der Fall.
- Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!
- Wie wenig das dem Künstler zieme!
- Der saubern Herren Pfuscherei
- Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime.
Ich bin keine Deutschlehrerin, ganz generell keine Germanistin, kann also hier nichts an bestimmten Regeln festmachen. Auch liegt meine Schulzeit zu lange zurück, um mich noch im Detail an Versmaße zu erinnern. Ich sage hier nur, was ich vermute, und zwar glaube ich, dass die Verbformen hier ganz einfacgh der Metrik geschuldet sind. Wenn du es laut liest, passt alles vom Rhythmus, von der Betonung und vom Reim her. Hier z. B. stolpert man:
- Ihr fühlt nicht, wie ... (Da muss einfach ein "e" rein, damit es gut klingt.)
- Der sauberen Herren ....( Hier wiederum muss das "e" weg. Was auch ginge, wäre "saubren". Aber da klingt "saubern" einfach geschmeidiger.)
- Ist, merke ich, schon ... (Das "e" muss auch weg, sonst holpert es.)
Und der Rest ist einfach Reim " Handwerk sei / Pfuscherei" und "zieme /Maxime".
Das ist meine Meinung. Vielleicht haben Germanisten eine andere Erklärung.
Das klingt tatsächlich sinnvoll. Außerdem habe ich ebenfalls den Eindruck, dass die "längere" Verformen waren früher "stärker".
Etwa bei Luther, sind solche merkwürdige für uns Forme zu finden wie "sahe", "gehet" oder "machet".
Liebe Grüße
Du findest das ja auch heute noch z. B. beim Konjunktiv 2 einiger Verben in der 2. Person Singular + Plural: du wärest/wärst + ihr wäret/wärt, du kämest/kämst + ihr kämet/kämt etc. Beide Formen sind korrekt. In 50 oder 100 Jahren gelten diese "e" wahrscheinlich als veraltet und man sagt/schreibt nur noch: du wärst/kämst + ihr wärt/kämt. Vielleicht verschwindet aber auch der starke Konjunktiv 2 im Laufe der Zeit völlig und es gibt nur noch die schwache Form mit "würde_ + Infinitiv": ich würde sein/kommen etc.
Man weiß nicht, wie sich die Sprache entwickelt.
Lieben Gruß auch an dich
Hallo,
bei dem Beispiel aus dem Faust handelt es sich um das Vorspiel auf dem Theater.
Der Schauspieldirektor verlangt vom Dichter ein Stück für die Massen, das so viel bietet, daß jeder etwas darin für sich findet.
Darauf der Dichter: Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei.
Der Konjunktiv steht hier, weil es sich um eine angenommene Situation handelt:
Gesetzt den Fall, ich würde solch ein Stück schreiben, wie Ihr es von mir erwartet, dann wäre das ein schlechtes Stück Handwerk.
Im anderen Zitat wird eine Meinung dargestellt, deswegen der Konjunktiv.
Herzliche Grüße,
Willy
Danke, lieber Willy, für deine ausführliche Antwort!
Ich hätte, mit Verlaub, noch zwei kleine Fragen an dich:
I. Ich bin mir leider nicht sicher, ob ich diesen ersten Teil richtig verstanden habe. Könntest du bitte den nochmal erklären? Ich wäre dir sehr dankbar!
II. Also wenn man seine Meinung darstellt, so sollte man ja Konjunktiv I verwenden, gell?
P.S. Aber findest du nicht generell, dass es tatsächlich früher Konjunktiv I wesentlich "stärker" war? Manche Verwendungen sind mittlerweile nur in bestimmten Ausdrücken zu finden: Bspw. "Es sei denn".
Liebe Grüße
Was den ersten Teil anbelangt: Der Dichter möchte kein Stück schreiben, wie es dem Direktor vorschwebt: etwas für die Masse. Deswegen nimmt er den Konjunktiv: Ein solch massentaugliches Stück zu schreiben wäre ein schlechtes Handwerk und eines Dichters von seinem Schlage unwürdig.
Der Konjunktiv wurde in früheren Zeiten in der Tat häufiger verwendet, zumindest in der Literatur. Die klassischen Dichter sprachen halt noch ein sehr gepflegtes Deutsch.
Ja, deine Beispiele sind ja zwei solcher Verwendungen. Im ersten Fall handelt es sich um einen Vergleichssatz (irrealer wie-Vergleich), im zweiten Fall inhaltlich um eine Annahme, die im Subjektsatz (mit Konjunktion dass) definiert wird. Darüber hinaus können auch Wünsche und Aufforderungen mit dem Konjunktiv 1 ausgedrückt werden.
lg up
🌿🌷Vielen Dank für deinen Stern.🌺🍃