Sind Unterschiede in der Berufswahl von Männern und Frauen sozial oder biologisch bedingt?

4 Antworten

Als "Experte" fürchte ich, gibt es keine eindeutige Antwort auf deine Frage bzw. spielen sowohl biologische als auch soziale Aspekte eine Rolle.

Einerseits gibt es schon Hinweise darauf, dass in vielen menschlichen Gesellschaften die Rollen zwischen Mann und Frau recht klar verteilt sind. In den meisten Jäger- und Sammlerkulturen ist das Jagen den Männern vorbehalten, während die Frauen sich um die Kinder kümmern, Früchte, Nüsse usw. sammeln und, sofern es in der Kultur auch Landwirtschaft gibt, die Feldarbeit übernehmen. Das ist auch bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, so: die Jagd ist bei ihnen anscheinend ausschließlich Sache der Männchen. Denn auch Schimpansen gehen auf Jagd, oft jagen sie sogar andere Affenarten und bislang wurden bei solchen Jagden nur Männchen beobachtet.
In vielen Fällen trägt die Frau übrigens zur Ernährung der Familie mehr bei als der Mann. Man hat umfanreiche Berechnungen angestellt und festgestellt, dass in praktisch allen Jäger-Sammler-Kulturen die Anzahl der gesammelten Kalorien der Frauen höher ist als die der Männer und dass die Frauen ihre höhere Leistung auch kontinuierlicher leisten. Denn Fleisch enthält zwar viele Kalorien, aber dafür sind Männer oft tagelang unterwegs, haben oft auch kein Jagdglück und wenn man doch erfolgreich war, muss die Beute auch noch mit der gesamten Gruppe geteilt werden. Aus Ernährungssicht wäre es also eigentlich viel klüger, wenn die Männer auch Nahrung sammeln würden und nicht auf Jagd gehen würden.

Eine andere Argumentation, die die Jagd des Mannes rechtfertigen sollte, bestand darin, dass Männer durch das Jagen qualitativ hochwertige Nahrung herbeischaffen, insbesondere solche, die reich an essentiellen Proteinen ist. Auch diese Hypothese konnte durch die Untersuchungen der Wissenschaftler aber nicht aufrecht erhalten werden. Sie gilt heute als widerlegt.

Möglicherweise ist die Jagd der Männer also kein Kriterium dafür, wie gut die Versorgerqualitäten eines Mannes sind. Es könnte aber sein, dass sie quasi signalisiert, wie risikobereit ein Mann ist - denn mit der Jagd ist ja auch ein hohes Risiko verbunden. Generell wird ein gewisses Maß an Risikobereitschaft als attraktiv empfunden und ist daher eine Eigenschaft, die viele Frauen sich an ihrem Partner wünschen. Aus Sicht einer Steinzeitfrau war ein Mann mit hoher Risikobereitschaft eben auch in hohem Maß bereit, seine Familie zu verteidigen, z. B. gegen Raubtierangriffe. Das hat sich auch in unserer Gesellschaft bis heute erhalten, auch wenn die "Mutproben", die Männer leisten müssen, heute ganz andere sind.

Gleichzeitig ist die Frau für das Überleben des Nachwuchses natürlich auch wichtiger als der Mann, v. a. in den ersten Lebensjahren. Denn das Stillen wir üblicherweise von den Frauen übernommen (obwohl physiologisch auch jeder Mann zum Stillen fähig ist!). Es kann also schon sein, dass es evolutionsbiologisch sinnvoll ist, dass typische "Frauenberufe" solche sind, die im Zusammenhang mit der Pflege der Familie oder von Angehörigen stehen, während die von Männern ausgeübten Berufe eher die "Risikoberufe" sind, sie sind dann aber eben primär eher als eine Form von Imponiergehabe zu betrachten und vermutlich wurde erst sekundär in vielen Kulturen, darunter unserer eigenen, der Mann mit dem Erstarken des Patriarchats zum "Alleinversorger", indem er das Geld verdiente und die Frau daheim zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern hatte. Leider sind die Folgen bis heute spürbar. Denn obwohl wir heute wissen, dass Frauen jeden Männerberuf genauso gut ausüben können wie ein Mann (und natürlich umgekehrt auch Männer durchaus einen typischen Frauenberuf wie z. B. Kindergärtner oder Hebamme gut ausüben können), werden nach wie vor Frauen für die gleiche geleistete Arbeit nicht so gut bezahlt wie ein vergleichbar qualifizierter Mann.

Auf der anderen Seite gibt es neueste Forschungen, die belegen, dass die Rolle von Mann und Frau in der Steinzeit keineswegs so klar verteilt war, wie man das bislang angenommen hatte und dass Männer und Frauen durchaus gleichberechtigt waren. Früher hatte man angenommen, dass die steinzeitlichen Höhlenmalereien ausschließlich von Männern geschaffen wurden. Heute weiß man, dass auch Frauen an der Erschaffung dieser Kunstwerke beteiligt waren. Denn die KünstlerInnen haben in Form von Handabdrücken ihre Signaturen hinterlassen und viele Handabdrücke stammen sehr wahrscheinlich von Frauen. Es gibt keinen handfesten Beleg dafür, aber ich halte es deshalb für sehr wahrscheinlich, dass es durchaus auch Frauen gegeben hat, die auf die Jagd gingen und dass umgekehrt auch Männer die Sammeltätigkeit übernahmen. Man darf nicht vergessen, dass fast alle Kulturen immer auch von Geschichten berichten, in denen Frauen als Kriegerinnen auftreten, also eigentlich "typisch männliche" Rollen ausfüllen, z. B. die Amazonenmythologie in der griechischen Antike. Gleichzeitig hat eine erst vor wenigen Jahren veröffentlichte Studie an Schimpansen gezeigt, dass dort auch die Weibchen "militärische", also klassischerweise als "typisch männlich" geltende Aufgaben übernehmen und u. a. an der Sicherung des Territoriums beteiligt sind: Schimpansen-Weibchen tragen zum Schutz des Territoriums bei.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Ist mir völlig egal, wie man das erklärt.

Sie sind real vorhanden.

das ist sozial bedingt.

Und hört endlich auf, irgendwelche Vorstellungen aus der Steinzeit hierhin zu kolportieren.

Ich denke allerdings, dass es vor allem Männer sind, die biol. Ursachen hervorheben. Die Natur der Frau... etc.... ja, ja, diese angebliche Natur sichert ihnen aber vor allem die besser bezahlten Berufe. Die Frauen werden gerne - wegen ihrer Natur - in sog. pflegerische, untergeordnete und schlechter bezahlte Berufe abgedrängt.

Legolas300 
Fragesteller
 11.10.2021, 15:16

Nein, es ist falsch zu behaupten, alte Doktrinen und Werte würden vor allem Männern in die Karten spielen. Es ist nicht jeder Mann ein Chefarzt, Manager oder Wirtschaftsboss. Lediglich ein unfassbar kleiner Prozentsatz. Der Rest muss sich auch in Berufen zurechtfinden, in denen Aufstiegschancen begrenzt sind und das Gehalt eher kein gut situiertes Leben zulässt. Den Begriff "Abdrängen" finde ich auch schwierig, zumindest in freiheitlich demokratischen Staaten, in denen jeder und jede frei entscheiden kann, welcher Profession man nachgehen möchte. Ich streite nicht ab, dass es Einflüsse auf die Art und Weise gibt, wie wir unsere Entscheidungen treffen, aber deren Ergründung war ja letztendlich der Ausgangspunkt meiner Frage.

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Gibt es wirklich diese Korrelation zwischen Evolution/Biologie/Geschlecht und Berufswahl/Interessen, oder ist der Grund, warum es typische Männer- und Frauenberufe gibt, von lediglich sozial-gesellschaftlicher Natur?

Beides, aber ich schätze, die genetische Disposition ist schon sehr vorentscheidend, die kulturelle Prägung erst sekundär.

Männer und Frauen sind verschieden, sonst würde die Natur auch das Potential von Geschlechtlichkeit gar nicht ausnutzen.

Die Studien werden halt erschwert, weil die beiden Schwerpunkte statistisch nicht super weit auseinander liegen, sondern sich teils überlappen.