Liest man heute noch gerne Emilia Galotti von Lessing?

2 Antworten

Ja, das Werk wird hier gelesen und das sehr oft.

Allerdings nicht "freiwillig". Sondern es wird in Schulen unterrichtet. D.h. die Schüler müssen es lesen, wenn sie keine schlechte Note wollen bzw. ist es eben Unterricht.

Nein, die Sprache ist auch für Schüler nicht einfach. Und sie lieben es nicht sehr. Dennoch ist es Kultur und die darf auch einmal anstrengend sein. Du lernst sogar die deutsche Sprache per se, die sehr, sehr schwierig ist. Also ist "nicht anstrengend" ohnehin nichts, das Du anstrebst.

d.h.: Gehe da durch und Du wirst daraus einen Gewinn ziehen.

youtube ist Mainstream, - Kultur ist KEIN Mainstream. ;-)

https://de.wikipedia.org/wiki/Emilia_Galotti

zlyandy321 
Fragesteller
 19.03.2024, 20:01

Danke für deine Antwort und den Hinweis.

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Hallo zlyandy,

Liest man heute noch gerne Emilia Galotti von Lessing?

Wer ist 'man'? Es gibt Menschen, die lesen das noch heute, es gibt andere, die lesen es nicht mehr. Wenn bei uns im Theater Aufführungen von klassischen Dramen angekündigt werden - Emilia Galotti gehört dazu - sind diese Vorstellungen in kürzester Zeit ausverkauft. Ich selbst habe das Stück vor ein, zwei Jahren noch einmal gelesen.

Es soll ein Standardwerk der deutschen Literaturgeschichte sein und im kollektiven Gedächtnis bleiben. 

Ja, das ist es. Und es sollte nicht in Vergessenheit geraten, denn es zeigt, wo unsere Wurzeln liegen. Wir leben in einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie, und die ist uns nicht vom Himmel gefallen. Dafür haben die Menschen in den vergangenen Jahrhunderten gekämpft: Zum Beispiel Dichter der Aufklärung wie Lessing.

Als Auslandsstudent finde ich die Sprache ziemlich fremd und schwer, manchmal sehr unverständlich...

Wer die deutsche Sprache beherrscht, liest Lessing ohne Schwierigkeit und flüssig. Lessing pflegte eine schöne, reichhaltige Sprache, die für sich genommen schon einen Wert darstellt und Freude an der Lektüre bereitet. Ich fand das Lesen unterhaltsam.

Bedauerlicherweise hat der Großteil der Schüler nur noch rudimentäre Kenntnisse von Geschichte und Literatur. Das führt dazu, dass sie für die Klassiker - sprachlich wie intellektuell - kein Verständnis mehr aufbringen können.
Dass dies zu solchen Kommentaren führt, wie Du sie abgebildet hast, hat aber noch eine weitere Ursache: Respekt wird in Deutschland nur noch von wenigen als ein Wert betrachtet. Das ist in China wohl noch anders. Respekt hätte die Schreiber davor bewahrt, sich durch solche Kommentare lächerlich zu machen.

Liest man gerne seine Werke?

Wie gesagt: 'Man' ist eine Vereinheitlichung, die zu keinem zutreffenden Bild führt. Es gibt solche und solche.

Ist die Sprache für Muttersprachler unauffällig?

Nein, sie ist auffallend. Auffallend reichhaltig und ästhetisch.

... auch die von Lessing behandelte Thematik berührt mich nicht.

Das sollte sie aber.
China ist vom monarchischen Beamtenstaat in eine der grausamsten Diktaturen der Menschheitsgeschichte gefallen. Etwas wie die Aufklärung hat es bei Euch nie gegeben. Wenn Du treues Parteimitglied bist, wird von Dir erwartet, dass Du den Toleranzgedanken Lessings ablehnst.
Wenn Du nicht nur die deutsche Alltagssprache lernen sondern auch unsere Kultur verstehen willst, kommst Du aber an der deutschen Geschichte und Literatur nicht vorbei.

LG
Arlecchino

zlyandy321 
Fragesteller
 19.03.2024, 19:57

Vielen Danke! Lieber Arlecchino.

Die so sorgfältige Antwort zeigt so deutlich den guten Charakter, welchen bestimmt von diesem Drama beeinflusst wurde. Respekt. Ich möchte dementsprechend dich auch richtig und ernstzunehmend beantworten.

Ich danke dir zuerst für deine Beschreibung der gegenwärtigen Wirkung im Leserkreis, Ja, im Internet gibt es immer Zerrbilder. Ich habe meinen vorherigen Vorurteil rechtzeitig revidiert.

Und dann, du verbindest gerne dieses Drama mit dem politischen Thema. Mir scheint, du schätzt vornehmlich die politische Wirkung dieses literarischen Werks. Dies darf ich auch nicht verneinen. Aber hier habe ich doch noch Fragen und vielleicht Gegenmeinungen, die natürlich mit Respekt vor dir ausgedrückt werden.

Ich zitiere deine Worte: "Und es sollte nicht in Vergessenheit geraten, denn es zeigt, wo unsere Wurzeln liegen. Wir leben in einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie, und die ist uns nicht vom Himmel gefallen."

Ich habe gerade in diesem Drama kaum klare Zeichen für Demokratie gefunden, und du beschreibt sie auch als freiheitlich, rechtsstaatlich. Du hast dieses Werk mehr als einmal gelesen, aber kannst du mich darauf hinweisen: wo gibt es Freiheit und wo Rechtstaatlichkeit? Emilia hat keine Freiheit, die Sinnlichkeit/die Natur des Menschen zu genießen, keine Freiheit, sondern immer Angst vor dem moralischen Fehltritt, vor der moralischen Schuld. Meines Erachtens ist das ein richtig moraldidaktisches Drama, und das Lebensrecht des Menschen soll der bürgerlichen Tugend und Moral nachstehen. Man lebt vielleicht auch in einer Art Diktatur oder einer Einschränkung, obwohl kein Tyrann wie Xi Jinping die Figur des Diktators verkörpert sondern Tugend. Emilias Mut zum Tod, Entschlossenheit zum Verteidigung des Transzendentalen bewegt mich innerlich natürlich auch, aber ich finde, dieses Drama zeigt eher die Aporie des Menschen in einer aufgeklärten Welt als die Freiheit oder Rechtsstaatlichkeit usw. Oder vielleicht kannst du mir klar machen, welche Figur in diesem Drama für die Demokratie mal gekämpft hat. 

Das ist ein richtige Trauerspiel für mich, was darin passiert. Damit assoziiere ich vielleicht mit der Dunkelseiten der Deutschen Geschichten im letzen Jahrhundert. Deswegen wenn man eine Idee so fest standhält, sei es gut oder böse, kann man in einer Konflikten Situation etwas Unmenschliches tun. 

Ich verstehe den Toleranzgedanken von Lessing, zum Beispiel in einem früher verfassten Drama Miß Sara Sampson. Aber in Emilia suche ich vergebens Hinweise auf die Toleranz. Ich bin politisch sehr gleichgültig, und ich lebe in China wie im Exil. Mein Alltag wird fast niemals von der Diktatur bestimmt. Ja, die normale Menschen hierzulande sind unter der Partei wie Sklaven. Und was in der vergangenen Corona-Zeit passiert ist, ist alles anderes als menschlich, gerecht und hoffnungsvoll. Ich bin Studierender an einer guter Uni, deswegen habe ich Zugang zur deutschen Literatur, und zur europäischen Kultur.

Darunter ein Zitat aus Lessings Emilia und Emilia drückt ihre Bedenken über die moralische Schuld aus. Lessings Formulierung mag ich auch sehr, ich kann den Rhythmus und Lebendigkeit der Schrift spüren.

EMILIA. Aber nicht über alle Verführung. – Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen? Was Gewalt heißt, ist nichts: Verführung ist die wahre Gewalt. – Ich habe Blut, mein Vater; so jugendliches, so warmes Blut, als eine. Auch meine Sinne, sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin für nichts gut. Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mutter; – und es erhob sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen der Religion kaum in Wochen besänftigen konnten! – Der Religion! Und welcher Religion? – Nichts Schlimmers zu vermeiden, sprangen Tausende in die Fluten, und sind Heilige! – Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir diesen Dolch.

Nochmal vielen Dank für die Beantwortung!

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Arlecchino  20.03.2024, 12:04
@zlyandy321
Und dann, du verbindest gerne dieses Drama mit dem politischen Thema.

Das Hauptanliegen des Dramas, die Gesellschaftskritik, ist politisch. Es klagt die Willkür des Adels an, der über dem Recht steht, der Fürst darf gar ungestraft zum Mörder werden.

(Ich habe gerade in diesem Drama kaum klare Zeichen für Demokratie gefunden ...) wo gibt es Freiheit...?

Nicht in der Mitte des 18. Jahrhunderts, der Zeit, in der Lessing lebte. Deshalb hat Lessing ja geschrieben, was er geschrieben hat.

Meines Erachtens ist das ein richtig moraldidaktisches Drama, und das Lebensrecht des Menschen soll der bürgerlichen Tugend und Moral nachstehen.

Das hast Du selbst herausgefunden? Und dann stellst Du oben eine solche Eingangsfrage?

 ... aber ich finde, dieses Drama zeigt eher die Aporie des Menschen in einer aufgeklärten Welt...

Aufklärung bedeutet ja nicht, dass in einer Monarchie die Rechtsstaatlichkeit bereits erreicht wurde.

Oder vielleicht kannst du mir klar machen, welche Figur in diesem Drama für die Demokratie mal gekämpft hat. 

Die Demokratie steht erst am Ende, sie war seinerzeit noch kein Thema. Emilia und Odoardo prangern das Unrecht an, sie sprechen es aus. Das war zu Lessings Zeit schon viel. Und es war mutig und gefährlich, das auf die Bühne zu bringen. Immerhin war "sein Fürst", der Erbprinz von Braunschweig-Wolfenbüttel, sein Arbeitgeber.

Aber in Emilia suche ich vergebens Hinweise auf die Toleranz. 

Explizit findet man sie auch nicht. Aber sie sind wohl bei Lessing latent allgegenwärtig.

Hast Du den Wikipedia-Artikel gelesen? Es ist Wikipedia, keine Fachliteratur. Aber er beantwortet sicher die eine oder andere Deiner Frage,

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