Konservativ - Traditionell?

6 Antworten

Eine begrifflich scharfe Scheidung zwischen „traditionell“ und „konservativ“ ist schwierig. Der Gegenbegriff zu „konservativ“ ist „progressiv“ (fortschrittlich), der zu „traditionell“ eher „modern“ (es kommt dabei auch auf den näheren Zusammenhang an).

Traditionalismus (lateinisch traditio = Überlieferung, Tradition) kann als passives Beharren verstanden werden, ein Festhalten am Überlieferten/Althergebrachten. Er enthält nicht notwendigerweise eine bewußte politische Einstellung.

Konservatismus/Konservativismus in politischer Bedeutung ist eine bewußte Einstellung, die aktive Gestaltung der Verhältnisse im eigenen Sinne anstrebt. Im eigentlichen Sinn gilt er als im 18. Jahrhundert, gegen Auswirkungen von Aufklärung und Rationalismus gewendet, entstanden.

Traditionelle sind auf Inhalte von Traditionen gerichtet, das Ziel Konservativer ist möglicherweise im Grunde weniger der Inhalt einer Tradition als der Vorgang/Prozeß des Tradierens selbst.

Inhaltlich ist kaum über einzelne Zeitabschnitte hinweg einheitlich anzugeben, was beim Konservatismus/Konservativismus bewahrt (lateinisch conservare = bewahren, [im Bestehen] erhalten) werden soll. Der Inhalt zu verschiedenen Zeiten ist jeweils auf bestimmte abgelehnte Gegenpositionen bezogen.

Manche Untersuchungen unterscheiden zwischen Wertkonservativen (bestimmte Werte werden geschätzt) und Strukturkonservativen (es geht um den grundlegende Aufbau der Verhältnisse in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und anderen Lebensbereichen, also vor allem um ein System und die Machtverhältnisse darin).

Konservative können auch einen gewissen Wandel als angebrachte Anpassung oder gute Weiterentwicklung befürworten. Wenn Veränderungen durchgesetzt worden sind, treten sie andererseits nicht unbedingt für eine Bewahrung des dann Bestehenden ein. Konservative gehören dann zu Kräften, die etwas beseitigen wollen und zum Teil sogar starke Veränderungen beabsichtigen, wobei die Argumentation dann in der Schaffung ihnen als erhaltenswert geltenden Ordnung besteht.

Karl Mannheim hat im Rahmen einer „Wissenssoziologie“ eine Unterscheidung zwischen „traditionell“ und „konservativ“ durchgeführt, von der starke Einflüsse ausgegangen sind und die oft zugrundegelegt wird (wenn auch nicht durchgängig übernommen):

Karl Mannheim, Konservatismus : ein Beitrag zur Soziologie des Wissens (Habilitationsschrift 1925 unter dem Titel „Altkonservatismus“)

Karl Mannheim, Das konservative Denken : soziologische Beiträge zum Werden des politisch-historischen Denkens in Deutschland. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 57, 1927, S. 68 - 142 und S. 470 - 495

Erich Bayer/Frank Wende, Wörterbuch zur Geschichte : Begriffe und Fachausdrücke. 5., neugestaltete und erweiterte Auflage. Stuttgart : Kröner, 1995 (Kröners Taschenausgabe ; 289), S. 312:

Konservatismus (zu lat.[einisch] conservare ›erhalten‹) Bezeichnung für eine Haltung, die im pol.[itischen] und gesellschaftl.[ichen] Bereich Kontinuität und hist.[orisch] gewachsene Ordnung als Leitgedanken vertritt und dazu neigt, am Überkommenen festzuhalten und dies gegen Neuerungen, insbes.[ondere] sofern sie revolutionär bestimmt sind, zu verteidigen. Soweit es sich dabei um eine natürliche, dem Menschen eigentüml.[iche] Einstellung handelt, nennt man sie nach K. Mannheim (1893 – 1947) auch Traditionalismus […], während K.[onservatismus] die bewußte pol.[itische] Haltung meint und in diesem Zusammenhang als nicht eindeutig bestimmter Sammelbegriff für alle Organisationen Verwendung findet, die diese Haltung pol.[itisch] aktiv umzusetzen suchen.“

Rudolf Vierhaus, Konservativ, Konservatismus. In: Geschichtliche Grundbegriffe : historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 3: H – Me. Stuttgart: Klett-Cotta 1982, S. 531 - 565

S. 531- 532: „Konservatismus nicht nur als eine allgemeine menschliche Grundeinstellung, sondern als eine bewußte politische Haltung ist älter als die Anwendung des Begriffs ‘konservativ’ auf sie. Eine solche Haltung läßt sich in Deutschland bereits vor der Französischen Revolution als Reaktion auf die Aufklärung, auf natur- und menschenrechtliche Ideen, auf zunehmende Publizität und auf die praktischen Reformen aufgeklärter Regierungen beobachten. Daß demgegenüber „Bestehendes“ bewahrt werden sollte oder, wenn Reformen nötig sind, diese an das Bestehende anknüpfen und erstarrte und depravierte Institutionen wiederbeleben sollten, war eine weit verbreitete Überzeugung, die durch einige spektakuläre Maßnahmen reaktionärer Politik […] Auftrieb erhielt. Bezeichnend für diesen Konservatismus ist es, daß er sich nicht auf den Widerstand gegen einzelne Veränderungen beschränkte, sondern gegen den alle Lebensbereiche erfassenden Wandel der Zeit richtete. Er hatte bereits politischen Charakter, war aber noch weithin eingebettet in einen allgemeinen Traditionalismus, bei dem die Ablehnung von Veränderung stärker als der Wille zu aktiver Gestaltung ist.

Albrecht  21.10.2011, 02:27

Karl Mannheim hat zwischen „Konservatismus als einem spezifisch historischen und modernen Phänomen“ und „Traditionalismus als einer allgemeinen menschlichen Eigenschaft“ unterschieden. Diese letztere sei „eine allgemein menschliche seelische Veranlagung, die sich darin äußert, daß wir am Althergebrachten zäh festhalten und nur ungern auf Neuerungen eingehen“: eine formalpsychologische Eigenschaft, die die Menschen in gegebene Situationen erwartungsgemäß reagieren läßt. Konservatives Handeln dagegen sei nicht bloß formal reaktiv, sondern bedeute ein „Handeln im Sinne eines objektiv vorhandenen Strukturzusammenhangs“, der historisch aufweisbar sei und in dem allein das jeweilige subjektive Handeln verstanden werden könne. Diese typisierende Unterscheidung darf nicht überanstrengt werden. Auch ‘Traditionalismus’ ist jeweils historisch und sozial geprägt, so daß seine psychologisierende und anthropologische Deutung nicht ausreicht. Anderseits bleiben die in jeder politischen Einstellung wirksamen vorpolitischen Elemente im Konservatismus besonders stark. Sie resultieren aus normalerweise wenig reflektierten, individuellen wie gruppenspezifischen, stark traditionell geprägten religiösen, moralischen, ästhetischen Antrieben und materiellen Interessen und motivieren eher zu reagierendem als zu gestaltendem Tun. Dementsprechend liegt im Verhältnis von Theorie und Praxis das Schwergewicht auf der letzteren. Und es entspricht diesem Verhältnis, daß die Benennung ‘konservativ’ eher und öfter von außen herangetragen denn als Selbstbezeichnung gebraucht worden ist. Das darf jedoch nicht dazu verleiten, den Konservatismus einerseits politisch zu unterschätzen, ihm andererseits die anthropologische Qualität einer fundamentalen menschlichen Verhaltensweise, den Charakter einer Naturgegebenheit also, beizulegen. Damit würde eine konservative Selbstinterpretation akzeptiert, wonach konservatives Denken eo ipso ordnungsorientiert sei. Traditionalismus ist eine zwar weitgehend vorauszusetzende, nicht aber eine notwendige und gewiß keine hinreichende Bedingung für politischen Konservatismus. Dieser ist vielmehr als eine bewußte politische Stellungnahme von einzelnen und Gruppen aufgetreten, die sich – generell formuliert – in ihren Besitzständen, im allgemeinen Zuschnitt ihrer Lebensverhältnisse, durch Veränderungen in den ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnissen bedroht sehen und die Abwehr dieser Gefahr mit der Bewahrung geschichtlicher Kontinuität, der Geltung von Recht und Fortgang der Kultur identifizieren.“

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Konservativ steht hauptsächlich für eine allgemeine Werte bewahrende Lebenseinstellung ("wertekonservativ"), insbesondere für eine bewahrende politische Haltung. Das sind im Sinne der parlamentarischen Gesäßgeometrie "Rechte". Der "Traditionelle" oder "Traditionsbewusste" schätzt wie z.B. ich die traditionelle deutsche Rechtschreibung oder konsumiert auch einmal gerne bayerische Trachtenumzüge mit Blasmusik und hält die Kenntnis deutscher Volkslieder nicht unbedingt für die Ausgeburt von Unbildung, um mit repetitiven Obszönitäten bei modernen Rapper-Stars herumzuhopsen. Dazu pflege ich keinesfalls eine politische Einstellung, wenngleich die begrifflichen Übergänge (bedauerlicherweise) gelegentlich fließend sind.

Der Gegensatz zu "konservativ" ist "progressiv" (fortschreitend"), was sowohl kulturell als auch politisch verstanden wird. Ob eine politische Bewegung tatsächlich in diesem Sinne "voranschreitend" der allgemeinen geistig-politischen Entwicklung vorauseilt oder nur eine kurzfristige Mode-Erscheinung darstellt, lässt sich grundsätzlich nur im historischen Rückblick beurteilen. Diesen Sachverhalt ignorierend pachtete die politische Linke weitgehend den Begriff "progressiv" für sich. Diese Sprachregelung gründet sich auf die Ideologie des (fälschlicherweise Karl Marx zugeschriebenen) historischen Materialismus (Diamat), demzufolge (weitgehend losgelöst vom Willen und Handeln der Menschen) die Geschichte zielgerichtet (siehe Historismus) objektiven Gesetzen folgen soll.

dompfeifer  20.10.2011, 15:40

Reaktionär wird abwertend im Sinne von zurückschreitend verstanden, besonders bei linken Gruppierungen.

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VivaAMD  20.10.2011, 15:48
@dompfeifer

Konservativ wird in den Linken Reihen (zu welchen ich mich selbst zähle) als Kampfbegriff eingestzt. Was aus politischer Sicht ja auch gerechtfertigt ist da die angegriffenen "[...]im Sinne der parlamentarischen Gesäßgeometrie "Rechte"." sind.

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dompfeifer  20.10.2011, 16:01
@VivaAMD

Das wird in linken Kreisen traditionell kontrovers diskutiert (Wer agiert, wer reagiert?). Als Angreifer verstehen sich durchaus auch Rechtsradikale. Die halten allerdings "am Triumph des Willens" fest.

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Als konservativ kann man die Einstellung einer einzelnen Person oder auch Partei bezeichnen, traditionell ist aber ein bestimmter eingefahrener Gebrauch. Eine umgekehrte Verwendung dieser Begriffe erscheint mir zumindest problematisch. Es gibt aber in diesem Zusammenhang noch einen dritten Begriff, nämlich den des Reaktionären, der allerdings negativ besetzt ist. Deshalb bezeichen sich viele Politiker lieber als konservativ, die in Wirklichkeit reaktionär sind. Das ist aber eine Form von Etikettenschwindel, denn der Begriff 'konservativ' ist demgegenüber wertneutral. Er ist aber auch weniger greifbar. Ich zum Beispiel würde mich in vieler Hinsicht als konservativ bezeichnen, weil ich nicht jede Mode mitmache und viele alte Werte hochhalte, während ich zugleich sehe, daß viele sich ebenso bezeichnen, die ich tatsächlich für subversiv halte. Ich verweise dazu auf folgenden Essay, der dir für dein Fach sicher gute Anregungen gibt:

http://ouroboros-forum.de/index.php?option=com_content&view=article&id=157:subversion-und-etikettenschwindel&catid=46:subszene&Itemid=69

Der Traditionelle will die Traditionen waren kann sich aber auch mit neuem abfinden was nicht seine Traditionen betrifft. Der Konservative will alles so haben wie ist ist und nichts darf sich ändern.

VivaAMD  20.10.2011, 12:57

"[...]wie es ist[...]"

Dummer Fehler!

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Albrecht  21.10.2011, 02:42

Die Aussage zum Konservativen ist in politischer Bedeutung nicht zutreffend.

Anpassungen, damit etwas Bestehendes gut aufrechterhalten werden kann, (behutsame) Weiterentwicklungen und Reformen werden nicht von allen Konservativen über alle Zeiten hinweg unbedingt abgelehnt, sind vielmehr teilweise auch von manchen Konservativen bejaht und vertreten worden.

Andererseits wollen Konservative in manchen Fällen durchaus Veränderungen herbei führen, wenn ihnen das Bestehende nicht gefällt. In der Weimarer Republik haben (autoritäre und nationalistische) Konservative die Beseitigung und Zerstörung der bestehenden (demokratischen) politischen Ordnung befürwortet und angestrebt. Diesen Konservatismus als eine Einstellung zu kennzeichnen „will alles so haben, wie es ist, und nichts darf sich ändern“, wäre völlig falsch.

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VivaAMD  21.10.2011, 14:33
@Albrecht

Ist das Systemaber soweit dem Konservativen angepasst will er keine Veränderung.

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Albrecht  28.10.2011, 03:35
@VivaAMD

Diese Aussage taugt aber nicht als Begriffsfbestimmung.

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Konervatismus ist die bewusste Bewahrung traditioneller Werte.