Kann man die Einführung der Nazidiktatur als eine 'legale Revolution' bezeichen (pro und contra)?

2 Antworten

Die Einführung der Nazidiktatur kann allein nach der Möglichkeit, eine solche Aussage zu äußern als vieles bezeichnet werden, etwas anderes ist es, ob die mit einer solchen Bezeichnung vorgenommene Aussage/Beurteilung sachlich zutreffend ist.

Am Anfang kann eine Klärung der Begriffe stehen:

Eine Revolution ist eine Umwälzung, eine tiefgreifende, weitgehende und umfassende Veränderung. Es vollzieht sich eine grundlegende Neuerung.

Legalität bedeutet formale Rechtmäßigkeit. Legalität ist von Legitimität zu unterscheiden, einer sachlich-inhaltlichen Anerkennungswürdigkeit als Grundsätzen und Werten entsprechend und damit zumindest im Großen und Ganzen gerechtfertigt.

Die Einführung der Nazidiktatur war nur sehr eingeschränkt eine legale Revolution. Zwar waren viele Vorgänge formalrechtlich legal, aber bei dem Aufbau wesentlicher Machtgrundlagen hat es Rechtsverstöße ergeben.

Pro-Argumente können sich zum einen auf den Sachverhalt einer schwerwiegenden Veränderung beziehen, zum anderen auf einen Anschein von Legalität. Die Weimarer Verfassung war gegen eine Aushebelung rechtlich nicht gut abgesichert. Eine Beibehaltung des Staatsaufbaus in wesentlichen Grundzügen und eine Bewahrung der Grundrechte ihrem Wesenskern) waren nicht garantiert. Sie konnten wie alle Bestimmungen der Verfassung mit Zweidrittelmehrheit geändert werden (Artikel 76).

Pro-Argumente

  • Errichtung der nationalsozialistischen Herrschaft war eine tiefgreifende politische Umwälzung mit Auswirkungen in alle Lebensbereiche
  • Ernennung des Reichkanzler und der Reichsregierung legal, da durch dazu befugten Reichspräsidenten geschehen: Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war, bloß an den formalen Bestimmungen der Weimarer Verfassung (Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919) gemessen, nicht verfassungswidrig. Paul von Hindenburg konnte als amtierender Reichspräsident den Reichskanzler ernennen. Er hatte dazu die rechtliche Befugnis.

Artikel 53: „Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen."

Die Verfassung setzte für die Ernennung zum Reichskanzler keine Zustimmung der Mehrheit des Parlaments (des Reichstags) voraus und sie verbot nicht die Ernennung eines demokratiefeindlichen Reichskanzlers.

  • Wahl am 5. März 1933 mit Mehrheit für Regierungsparteien
  • Zustimmung des Reichstags zur Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933
Kontra-Argumente
  • nicht-revolutionäre Machtübertragung: Die Nationalsozialisten kamen im Bündnis mit konservativ-autoritären Kräften an die Macht, es gab eine Machtübertragung von Leuten, die viel gesellschaftliche Macht hatten und über wichtige Teile der Staatsgewalt verfügten (das Argument ist insofern nur begrenzt, als der tatsächliche Verlauf der Vorstellung, den Nationalsozialismus zähmen und kontrollieren zu können, nicht entsprach und eine weitergehende Machtergreifung stattfand, außerdem Übereinstimmung darin bestand, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen, die (sozialistische, sozialdemokratische bzw. kommunistische) Arbeiterbewegung niederzuwerfen, Juden zumindest in erheblichem Ausmaß aus einflußreichen Stellungen zu entfernen)
  •  Ernennung des Reichswehrministers früher als verfassungsgemäß: Nicht verfassungsgemäß in Hinsicht auf den Zeitpunkt war die Ernennung des Generals Werner von Blomberg zum Reichswehrminister schon am Morgen des 30. Januar 1933, einige Stunden vor der Ernennung des Reichkanzlers. Formal hätte der Minister erst vom Reichskanzler vorgeschlagen werden müssen. Der Grund für die vorzeitige Ernennung des Reichswehrministers waren (sachlich falsche) Gerüchte über einen drohenden Militärputsch in der Potsdamer Garnison zugunsten des vorherigen Reichkanzlers Kurt von Schleicher.
  • inhaltlich verfassungswidriges Außerkraftsetzen von Grundrechten: Die neue Regierung hat mit Beteiligung des Reichpräsidentenverfassungswidrige Handlungen durchgeführt, indem mehrere Verordnungen Grundrechte außer Kraft setzten. Dies gab einen Anschein von Legalität bei der Unterdrückung und Verfolgung politischer Gegner der Regierung. Formal war dies möglich, aber inhaltlich/in der sachlichen Begründung ist ein Einklang mit der Verfassung anfechtbar.

„Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“ (4. Februar 1933)

„Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ (sogenannte Reichstagsbrandverordnung) (28. Februar 1933)

„Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ (21. März 1933)

  • gewalttätige Übergriffe und Inhaftierungen von Gegnern/unliebsamen Personen ohne echte formalrechtliche Grundlage, wilde Konzentrationslager“, vorwiegend von der SA betrieben
  • Wahl am 5. März 1933 nur noch eingeschränkt frei wegen Behinderung des Wahlkampfes gegnerischer Parteien (vor allem der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Verhaftungen, Drohung/Einschüchterung
Albrecht  16.09.2015, 03:07
  • verfassungswidrige nachträgliche Aberkennung (am 8. März) der bei der Wahl am 5. März 1933 erzielten Reichstagssitze der KPD, Ausschluß aller KPD-Abgeordneten und einiger SPD-Abgeordneter infolge von Festnahmen oder Flucht vor massiver Bedrohung und Annullierung der Sitze der KPD, durch die ein Erreichen einer Zweidrittelmehrheit im Reichstag erleichtert wurde
  • Zweidrittelmehrheit zum Ermächtigungsgesetz unter Ausnutzung verfassungswidriger Annullierung von KPD- Reichstagssitzen und der drohenden Anwesenheit bewaffneter und uniformierter SA- und SS-Männer im und am Reichstag: Das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ (Ermächtigungsgesetz; 23. März 1933 Abstimmung, am 24. März 1933 in Kraft gesetzt) gab der Regierung Gesetzgebungsbefugnis und erlaubte Abweichung der Gesetze von der Verfassung. Es diente einer Herstellung einer fomalen Grundlage, die Verfassung tatsächlich aufzuheben. Ein Gesetz der Reichsregierung gab auch Hitler zusätzlich zum Amt des Reichskanzlers das Amt des Reichspräsidenten nach Hindenburgs Tod am 2. August 1934, worüber nachträglich eine Volksabstimmung stattfand.
  • nicht vollständig verfassungsgemäße Besetzung des Reichsrates (Vertretung einiger Länder durch eingesetzte Reich Kommissare bestimmt) bei der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz: Zur Gültigkeit des Gesetzes war eine Zustimmung des Reichsrates erforderlich, indem dieser mindestens mit einer Zweidrittelmehrheit erklärte, keinen Einspruch gegen das verfassungsändernde Gesetz zu erheben. Ein Einspruch hätte zumindest eine aufschiebende Wirkung gehabt. Der Reichstag hätte noch einmal beschließen müssen und bei seiner Zustimmung mit Zweidrittelmehrheit hatte der Reichspräsident das Gesetz innerhalb von drei Monaten in der vom Reichstag beschlossenen Fassung zu verkünden oder einen Volksentscheid anzuordnen (Artikel 74). Der Reichsrat konnte, wenn der Reichstag entgegen dem Einspruch des Reichsrats eine Verfassungsänderung beschlossen hatte, innerhalb von zwei Wochen einen Volksentscheid verlangen (Artikel 76).

Artikel 76: „Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen Beschlüsse des Reichstags auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen. Auch Beschlüsse des Reichsrats auf Abänderung der Verfassung bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.

Hat der Reichstag entgegen dem Einspruch des Reichsrats eine Verfassungsänderung beschlossen, so darf der Reichspräsident dieses Gesetz nicht verkünden, wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid verlangt.“

Da die Abstimmung des Reichrates, obwohl dieser teilweise rechtswidrig besetzt war, als verfassungsgemäß gegebene Zustimmung mit Zweidrittelmehrheit gegen den Einspruch des Reichsrates eine Verfassungsänderung beschloß.

Die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ (sogenannte Reichstagsbrandverordnung; 28. Februar 1933) wurde als Grundlage zur Einsetzung von Reichskommissaren benutzt.

„§ 2 Werden in einem Lande die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen nicht getroffen, so kann die Reichsregierung insoweit die Befugnisse der obersten Landesbehörde vorübergehend wahrnehmen.

"
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Albrecht  16.09.2015, 03:11

Als am 30. Januar 1933 eine Regierung mit Adolf Hitler als Reichskanzler kam, blieb Franz von Papen zunächst Reichskommissar für Preußen (er war dies seit dem 20. Juni 1932, gestützt durch eine – inhaltlich nicht wirklich berechtigte - Notverordnung auf der Grundlage von Artikel 48), Hermann Göring wurde Reichskommissar für das preußische Innenministerium (bedeutete unter anderem Zugriff auf die Polizei), es gab weitere Reichskommissare für bestimmte Aufgabenbereiche.

Reichspräsident Paul von Hindenburg hat am 6. Februar 1933 eine Notverordnung („Verordnung des Reichspräsidenten zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen") unterzeichnet. Darin wurden dem Reichskommissar für das Land Preußen und seinen Beauftragten bis auf weiteres die Befugnisse übertragen, die dem Preußischen Staatsministerium und seinen Mitgliedern zustanden. Als Begründung diente die Behauptung, durch das Verhalten des Landes Preußen gegenüber dem Urteil des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich vom 25. Oktober 1932 sei eine Verwirrung im Staatsleben eingetreten, die das Staatswohl gefährde.

Diese Notverordnung war verfassungswidrig. Im Grund wurde der geschäftsführenden Landesregierung von Preußen vorgeworfen, auf ihr rechtmäßig zustehende (wie der Staatsgerichtshofs bestätigt hatte) Befugnisse nicht völlig verzichten zu wollen. Das Urteil des Staatsgerichtshofs beim Reichsgericht in Leipzig hatte ausgesagt, der Landesregierung könne ihre staatsrechtliche Stellung nicht einfach weggenommen werden. Ein besonders wichtiger Bestandteil dieser staatsrechtlichen Stellung war die Vertretung des Landes im Reichsrat und diese war in dem Urteil ausdrücklich als der Landesregierung zustehend dargelegt worden. Ein Reichskommissar war nicht berechtigt, die Vertretung im Reichsrat zu auszuüben bzw. zu bestimmen.

Die preußische Landesregierung und der preußische Staatsrat erhoben gegen die Notverordnung Einspruch und leiteten eine Klage ein, aber diese wurde nicht mehr behandelt (die Minister der geschäftsführenden Landesregierung hatten ihre Ämter am 25. März 1933 niedergelegt, nachdem ein neu gewählter Landtag am 22. März mit Mehrheit erklärt hatte, mit einer vorläufigen Wahrnehmung der Geschäfte preußischen Landesregierung durch die Reichskommissare einverstanden zu sein).

Die Mitglieder des Reichsrats haben am Abend des 23. März 1933 ohne Diskussion einstimmig beschlossen, von dem Gesetzentwurf Kenntnis zu nehmen, ohne Einspruch zu erheben.

Im Reichsrat gab es 1933 66 Stimmen.

Außer in Preußen (insgesamt 26 Stimmen) waren auch in mehreren anderen Ländern Reichskommissare eingesetzt, ein Rücktritt der bisherigen Regierung bewirkt und die Befugnisse der Regierung von Reichskommissare beansprucht worden (zum Teil mehrere Tage auseinanderliegend):

Bayern (11 Stimmen) 9. März - 16. März 1933

Sachsen (7 Stimmen) 8. - 10. März 1933

Baden (3 Stimmen) 11. März 1933

Lübeck (1 Stimme) 6. März – 11. März 1933

Schaumburg-Lippe (1 Stimme) 9. März 1933

Nicht verfassungsgemäß war, daß so in mehreren Ländern die Vertretung des Landes im Reichsrat von Reichskommissaren bestimmt wurde statt von eigenständigen Landesregierungen mit verfassungsrechtlichen Hoheitsrechten.

Susanne Hähnchen, Rechtsgeschichte : von der Römischen Antike bis zur Neuzeit. Begründet von Friedrich Ebel sowie Georg Thielmann. 4., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Heidelberg ; München ; Landsberg ; Frechen ; Hamburg : Müller, 2012 (Schwerpunkte Pflichtfach. Jura auf den Punkt gebracht), S. 371:   „Auch gegen die Stimmen der Kommunisten wäre die Zweidrittelmehrheit erreicht worden. Deshalb meinten die Nationalsozialisten, das Gesetz wäre legal zustande gekommen. Durch den Ausschluss der Kommunisten und die Behinderung der SPD war jedoch das gesamte Abstimmungsverfahren rechtlich angreifbar und es ist - selbst isoliert betrachtet - als rechtswidrig zu bewerten. Rechtswidrig war auch die Besetzung des neben dem Reichstag beteiligten Reichsrates, in welchem mehrere Staaten - darunter Preußen, Bayern, Sachsen und Baden – nicht wie im Preußenschlag-Urteil des Staatsgerichtshofes […] gefordert, durch selbständige Landesregierungen, sondern durch Reichskommissare vertreten waren

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Nur sehr eingeschränkt war es eine legaleKonterrevolution, denn die KPD war beim Ermächtigungsgesetz bereits nicht mehr zugelassen.

Charlieuknow 
Fragesteller
 15.09.2015, 18:58

danke, hast du ein paar weitere argumente bräuchte relativ viele

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Vitopedia  15.09.2015, 21:58

War es denn verboten die KPD zu verbieten?

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voayager  15.09.2015, 22:01
@Vitopedia

laut Weimarer Verfassung war das Verbot der KPD illegal

Ansonsten erfolgte die Einführung der NAzi-Diktatur gemäß den vorherrschenden Wahlbestimmungen. Das Kanzleramt und das des Reichspräsidenten in Personalunion auszuüben war gewiß nicht mehr mit der W.Verfassung in Einklangzubrigen.

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