Ist das mit der Transgenderkultur ein Problem der Wohlstandsgesellschaft?

6 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Jap auf jeden Fall und zu 1000000%. Du glaubst doch nicht das in Äthiopien hungernde Menschen sich fragen "Sag mal bin ich heute Demi, oder non binary..". Es gibt Dinge, die gibt es nur in der westlichen Welt. Davon bin ich überzeugt, und hab es so auch erlebt auf Reisen.

Ich weiß nicht, was das "First World Problems"-Argument immer zu bedeuten hat. Ja, in westlichen Industrienationen wird scheinbar mehr auf die Rechte von (hier) Trans-Personen geachtet als in Entwicklungs- und im Krieg befindlichen Ländern. Aber heißt das, dass Trans-Rechte weniger valide sind?

Es ist außerdem fraglich, ob das "Problem" der Transidentität in Industrienationen nur bekanntgeworden ist, weil wir mehr Wohlstand haben als andere Länder bzw. als in den letzten Jahrhunderten.

Ich denke eher, dass es hierzulande einfach mehr Kapazitäten zur Informationsverbreitung sowie mehr gesellschaftliche Akzeptanz gibt. Würde die ganze Welt auf magische Weise plötzlich wissen, dass es Trans-Personen gibt und dass diese nicht verachtenswert sind, so sehe ich keinen Grund, weshalb es in Entwicklungsländern keine gleiche Rate von geouteten Trans-Personen geben sollte wie in Industrienationen.

Schon in der Antike und in indigenen Kulturen bis ins 20. Jahrhundert waren Fälle bekannt, die an heutige Transidentität erinnern¹. Transidentität ist also keineswegs nur ein Phänomen moderner Industrienationen. Nur konnte man (wieder meine Theorie) Aufklärung damals eben noch nicht so gut verbreiten.

Trans-Personen haben ein mehr als fünffach erhöhtes Suizidrisiko². Ist das nicht valide, nur weil man im Krieg vielleicht noch wahrscheinlicher stirbt?

Ist das mit Mann und Frau nicht einfach nur eine Hilfestellung im Sinne - okay, die kann Kinder kriegen und der nicht - und sonst sind wir einfach Lebewesen?

Man weiß nicht genau, woher die Empfindungen von Trans-Personen genau kommen. Aber man weiß, dass die Nutzung des gewünschten Namens³ und der gewünschten Pronomen⁴ durch das Umfeld sowie die Durchführung von körperlichen Angleichungen⅚ ihr Wohlbefinden deutlich verbessern können. Auch ausbleibende Diskriminierung im Alltag kann stark helfen⁷.

Warum wird so etwas oft so negativ dargestellt? Warum kann es nicht als positiv gesehen werden, dass wir in Industrienationen die Möglichkeit besitzen, Menschen zu helfen, auf die man in Entwicklungsländern vielleicht gar nicht achten kann? Sollten wir nicht alle froh sein, wenn es Menschen besser geht, und wollen, dass das Wissen, wie man das Leben dieser Menschen verbessern kann, auch an andere Länder weitergegeben wird?

Hier noch die Quellen aus den Fußnoten mit passend zitierten Abschnitten:

  1. Das Phänomen von Menschen, welche die Geschlechtsrolle wechselten, ist seit der Antike bekannt. (...) Fälle von Transsexualität (...) sind auch (...) bei Indianern Amerikas bekannt, und waren dort bis ins 20. Jahrhundert einigermaßen gesellschaftlich akzeptiert. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Transsexualit%C3%A4t
  2. Transgender adolescents were 5.87 times more likely (...) than heterosexual peers to attempt suicide. https://www.google.com/amp/s/mobile.reuters.com/article/amp/idUSKCN1MI1SL
  3. Choosing one’s own name has positive effects on a trans person’s mental health. The study showed that “having even one context in which a chosen name could be used was associated with a 29% decrease in suicidal thoughts” (Russell, et al, 2018).  https://www.suicideinfo.ca/resource/transgender-people-suicide/
  4. Transgender and nonbinary youth who reported having pronouns respected by all or most people in their lives attempted suicide at half the rate of those who did not have their pronouns respected https://www.thetrevorproject.org/survey-2020/
  5. Notably, the study found that among young trans and nonbinary people under 18, receiving GAHT [geschlechtsangleichende Hormontherapie; Anm. von mir] was associated with nearly 40% lower odds of having had a suicide attempt in the past year. https://www.google.com/amp/s/time.com/6128131/gender-affirming-hormone-therapy-study/%3famp=true
  6. Sowohl ERI als auch ETLI zeigten bei den befragten Trans-Frauen eine deutliche Verbesserung (...) nach der Operation. „Der Globalscore verbesserte sich um insgesamt 47 Prozent von 1,53 auf 2,25 von maxmial 3 Punkten" https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/81767/Transsexuelle-Genitalangleichende-Operation-verbessert-die-Lebensqualitaet
  7. Respondents who experienced discrimination or were a victim of violence were more likely to report suicide thoughts and attempts. https://williamsinstitute.law.ucla.edu/publications/suicidality-transgender-adults/
Ron825 
Fragesteller
 28.03.2022, 22:13

"Warum wird so etwas oft so negativ dargestellt?"

Weil es halt auch Wohlstandserkrankungen gibt. Depression z. B.. Wohlstand ist ja nicht mit Glück gleichzusetzen.

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loadingInfo  28.03.2022, 22:25
@Ron825

Laut Wikipedia, welche wiederum die WHO zitieren, gibt es überall auf der Welt Regionen mit stärker (Schweiz, Russland, Türkei, Afghanistan) und schwächer (UK, Japan, Äthiopien, Nigeria) verbreiteten Depressionen. Einen direkten Zusammenhang zum Wohlstand sehe ich da jetzt nicht.

Aber selbst wenn Depressionen und auch Transidentität u.ä. durch Wohlstand bedingt wären: Ist das nicht besser als Massenarmut? Wollen wir uns wirklich nach Zeiten von Hunger und Seuchen zurücksehnen, nur damit wir so wenige Kapazitäten hätten, dass es gerechtfertigt wäre, Depressionen zu vernachlässigen?

Wollen wir nicht lieber den Wohlstand hinnehmen und fördern, damit wir Probleme, die er mit sich bringt bzw. behandelbar macht, besser lösen können? (Das soll jetzt nicht auf eine Debatte bezüglich der Ausbeutung von Entwicklungsländern für Wohlstand hinauslaufen - ich beziehe mich auf Vorgänge innerhalb des Landes)

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Ron825 
Fragesteller
 28.03.2022, 22:31
@loadingInfo

Die Frage ist, wie wir mit dem Wohlstand umgehen und ob wir Wohlstand mir Glück gleichsetzen und jemand der reich ist und sein seelisches Leid gar nicht äußern darf, weil es ihm ja so gut geht, ist eine ärmere Sau als ein Kind in einem Land der dritten Welt, das hungert und sich vielleicht nicht den ganzen Tag fragt, ob es denn im richtigen Körper steckt oder warum es eigentlich so unglücklich ist, obwohl es ihm ja eigentlich so gut gehen muss.

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loadingInfo  28.03.2022, 23:57
@Ron825

Wie am Beispiel der Depression schon gezeigt, gibt es Probleme, die erst in Industrienationen deutlich werden, schon in Entwicklungsländern. Nur kann man diese eben erst mit ausreichendem Wohlstand angehen. Wenn Hunger und Kriege (im Land) bewältigt sind, kann man andere Probleme angehen. Durch Geld allein wird man eben nicht glücklich, sondern durch den richtigen Einsatz des Geldes, beispielsweise für therapeutische Begleitung.

Dabei ist die Frage dann auch gar nicht, was schlimmer ist. Die Regierung eines Landes repräsentiert eben primär die eigenen Bürger und kümmert sich daher (im Idealfall) um diese. Während der eine Staat mit ein paar Tausend Euro Versorgungsgüter für ein Flüchtlingslager kaufen würde, bezahlt der andere damit die Hormontherapie für eine Trans-Person.

Klar mag es auf globaler Ebene unfair erscheinen, wenn für das psychische Wohlbefinden einer einzelnen Person so viel Geld ausgegeben wird wie andernorts für das Leben dutzender anderer, aber auf lokaler Ebene muss man bedenken, dass bspw. Deutschland ein Sozialstaat ist und sich damit verpflichtet hat, für seine Bürger zu sorgen. Wenn man plötzlich mit der Krebsbehandlung, Suizidprävention oder gar Rentenauszahlung aufhören und das eingesparte Geld an Entwicklungsländer geben würde, gäbe es ja auch einen immensen Aufschrei.

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Ontario  13.05.2022, 08:13

Man sollte ganz einfach einen Menschen so akzeptieren, wie es der Respekt verlangt. Unabhängig davon, welchem Geschlecht er angehört oder welchem Geschlecht er sich zugehörig fühlt.

Beeinflussen kann das eh keiner. Wenn sich jemand im falschen Körper fühlt und eine Geschlechtsangleichung vornehmen lässt. dann wird es dieser Person wahrscheinlich besser gehen und diese damit glücklicher sein.

Früher war das überhaupt kein Thema in der Öffentlichkeit. Kaum jemand wusste davon.

Gleiches Problem haben wir doch mit der Homosexualität. Jeder einigermassen gebildete Mensch weiss, dass dies eine Veranlagung ist, welche der Mensch nicht beeinflussen kann. Dennoch werden Homosexuelle auch heute noch in einigen Ländern verfolgt, bestraft und im Extremfall sogar getötet.

Mitunter hat das auch religiöse Hintergründe., die es verbieten, es als Veranlagung zu sehen.

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loadingInfo  13.05.2022, 13:47
@Ontario

Respekt ist natürlich das Mindeste, was bestehen sollte.

Ich denke, wie ich in meiner ursprünglichen Antwort schon ausgedrückt hatte, zwar, dass man sich vielleicht sogar freuen kann, wenn (falls) es Trans-Personen durch die Änderung der Anreden und Pronomen besser geht. Wenn man sich aber nicht darüber freuen kann oder will (was natürlich auch absolut valide ist), dann sollte man trotzdem den Respekt besitzen, die gewünschten Formulierungen zu verwenden, damit der Leidensdruck eben nicht noch größer wird.

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Ist das mit der Transgenderkultur ein Problem der Wohlstandsgesellschaft?

Nein. Transgenderpersonen, die keine "Hilfe" und/oder Aufklärung bekommen können, leiden unter ernsthaften psychischen Problemen und bringen sich oft selbst um.

Ist das mit Mann und Frau nicht einfach nur eine Hilfestellung im Sinne - okay, die kann Kinder kriegen und der nicht - und sonst sind wir einfach Lebewesen?

Eben, wir sind Lebewesen, die weiter entwickelt sind als das. Für uns zählen andere Dinge im Leben, nicht nur Fruchtbarkeit und Fortpflanzung. Außerdem geht es ja um das Geschlecht, als das man sich identifiziert, denn damit hat das biologische nichts zu tun.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Asexual.

Würde ich meinen.

Wenn Krieg oder Hungersnot herrscht, würde das Thema nicht so einen Stellenwert haben.

Ich weiss nicht, wie man darauf kommt, da es Transgender schon immer (mindestens seit der Antike) gab und würde daher mal sagen, dass das sicher nicht ein Problem der Wohlstandsgesellschaft ist. Schliesslich gibt es das auch in Ländern, die weniger wohlhabend sind.

Oder was meinst du damit?

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Bin selbst Trans und bi und beschäftige mich damit.