Haben Pädagogen es beim Erziehen ihrer Kinder leichter?

23 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Allgemeingültig ist das natürlich kaum zu beurteilen, aber ich antworte trotzdem mit Ja.

.

Vorneweg: Ich studiere auf Lehramt Gymnasium, d.h. ich benötige einige Kurse in Erziehungswissenschaft, die sich unterteilt in Schulpädagogik, Allgemeine Pädagogik und Psychologie. Früher hat man einen Vorbereitungskurs besucht und das nötige Examen abgelegt, seit wenigen Jahren werden aber deutlich mehr (über 10) und intensivere Kurse verlangt, d.h. ein angehender Lehrer eignet sich jetzt sehr viel mehr pädagogisches Wissen im Vergleich zu früher an. Gut so, denn manche Lehrer, die ich hatte, verhielten sich oft nicht nur ziemlich hilflos, sondern auch noch unwissend...

.

Aber zum Thema:

Pädagogik gehört zur Erziehungswissenschaft - und Wissenschaft bedeutet meist sehr viel Theorie. Für Erziehung benötigt man aber auch Erfahrung und das "richtige Händchen" im Umgang mit Kindern und Schülern. Garantie hat man mit einem solchen Studium daher natürlich nicht.

.

Allerdings macht man sich in solchen Pädagogikkursen sehr viele Gedanken - nicht nur in Bezug auf Schüler, die man als Lehrer im Optimalfall bald unterrichten wird, sondern allgemein. Das bringt viele neue Erkenntnisse und deutlich mehr Sicherheit!

Welche Entwicklungsstadien durchläuft ein Kind, wie nimmt ein Kind die Umwelt wahr (sehr wichtig, um sich in Kinder hinversetzen zu können!)? Was müssen die Eltern machen, damit sich das Kind geborgen und wohl fühlt? Wie definiert sich eine Familie? Wie ist sie aufgebaut? Auf welche Weise lernt ein Schüler am effektivsten? Wie sorgt man für die bestmögliche Entwicklung eines Kindes? Welche "Strafmaßnahmen" sind gewinnbringend, welche nicht?

.

Auf solche Fragen hat ein Pädagoge sofort immerhin theoretische Antworten parat - das ist ein immenser Vorteil, denn er muss nur noch an der Umsetzung arbeiten (die natürlich individuell sein muss!). Viele Eltern dagegen übernehmen blindlings die Vorgehensweise ihrer eigenen Eltern oder handeln "aus dem Bauch heraus" - beides ist sehr wahrscheinlich falsch. Ersteres kann veraltet sein, letzteres kann zu überzogenen und falschen Reaktionen führen. Das "natürliche" und deshalb in der Regel richtige Gefühl von Müttern verflüchtigt sich leider immer mehr...

.

Dass sich theoretisches Wissen nicht sofort und auch nicht immer anwenden lässt, ist klar. Daher kann ein Pädagoge sehr schnell sehr schlecht aussehen - es werden ja gerne "Wundertaten" von ihnen erwartet. Aber das "Wunder der Erziehung" sollten eigentlich die Eltern (im Optimalfall alleine) vollbringen - sie sind die ersten und wichtigsten Bezugspersonen eines Kindes. Viele sind sich aber ihrer Verantwortung nicht bewusst und setzen ihre Bedürfnisse vor denen des Kindes - ein grundsätzlicher Fehler, auch wenn es anders längerfristig sehr schwer fallen kann.

.

Meiner Meinung nach versetzen sich nur ganz wenige Eltern in die Lage ihrer Kinder. Daher ist ihnen nicht bewusst, was ihr Kind gerade (nicht) braucht, wie sich das Kind fühlt oder wie sehr z.B. ein ausartender Streit zwischen Elternteilen in Anwesenheit des Kindes schaden kann. Kinder denken anders als Erwachsene - und das Erlebte wird auch anders verarbeitet. Würden wirklich alle Eltern das Beste für das Kind wollen, müsste es deutlich stabilere Gefüge in den Familien geben - also z.B. deutlich weniger Scheidungen. Auch wenn ich es bedaure, muss ich sagen, dass der Großteil der Eltern nicht das Beste für das Kind will, sondern nach wie vor das Beste für sich selbst. Ich freue mich über jede "Ausnahme"!

.

Ich kann übrigens parallel zu meinem Studium meine kleine Nichte (knapp über ein Jahr alt) aufwachsen sehen - ich staune immer wieder, wie ich an ihrem Verhalten/ihrer Entwicklung genau das sehe, was ich vorher jeweils theoretisch gelernt habe. Ergo: Wissen nützt!

.

Wer Autofahren will, braucht einen Führerschein. Wer Kinder großziehen will, braucht theoretisch gar nichts - ehrlich gesagt missfällt mir das. Ist man sich der Situation nicht bewusst oder besucht man keine entsprechenden Kurse, kann man eiskalt überrascht werden - von einer unerwarteten Reaktion des Kindes ("Ich verstehe mein Kind nicht." oder "Ich weiß nicht, wie ich mit ihm umgehen soll."), von völlig unerwarteten Problemen und vor allem von der Situation in der Partnerschaft, wenn das erste Kind da ist und "ganz plötzlich" alles "anders" ist.

.

Fazit: Pädagogen sind sich der Erziehungsarbeit sicherlich besser bewusst und können auch besser damit umgehen - "Wunderkinder" werden sie trotzdem nicht hervorzaubern, denn jedes Individuum muss sich erst entwickeln und Erfahrungen sammeln. Wenn ich aber die Pädagogen betrachte, die ich bisher "live" an sozialen Einrichtungen, an Förderschulen oder an der Universität kennenlernen durfte, bin ich überzeugt davon, dass sie für ihre Kinder (im Durchschnitt) ein besseres Entwicklungsumfeld schaffen können als andere Personen. Außerdem wissen Pädagogen sehr viel besser mit elterlichen Konflikten umzugehen, sie werden also nicht wegen jeder Kleinigkeit auf "stur" schalten und/oder sich trennen. Streiten muss man lernen!

.

P.S. Dass Pädagogen gerne zu viel reden und zu wenig handeln, mag vor einiger Zeit richtig gewesen sein und auch jetzt noch auf manche zutreffen, aber der Grundtenor ist ein anderer geworden. Übrigens: Meiner Meinung nach kann man mit Kindern gar nicht genug reden - sofern es offen und ehrlich getan wird. Schnelles Handeln in Form von Gewalt ist übrigens absolut Tabu - wer das befürwortet, beweist, das er sich nicht in Kinder hineinversetzen kann. Sehr schlechte Voraussetzungen für das Kind...

Achja: Ich wusste gar nicht, dass man schon in der Schule "Pädagogik" belegen kann. Finde ich lobenswert - und noch lobenswerter finde ich, dass du es gewählt hast. Als Schüler hätte ich das zu meiner Zeit sicher nicht getan, muss ich zugeben.

Gartenphilo  28.09.2010, 20:16

Ich hatte auch in der Schule Pädagogik und studiere jetzt Erziehungswissenschaft im Nebenfach (bei uns gibt es übrigens zusätzlich auch noch Bildungssoziologie^^) und ich kann mich deinen Worten anschliessen! Das mit den Erziehungskursen ist eine interessante Idee; Ich wüsste nicht, ob sie sich umsetzen liesse, doch könnte sie einiges dazu beitragen das Wohlbefinden der Bevölkerung zu erhöhen.

1
Draschomat  28.09.2010, 21:08
@Gartenphilo

Danke...ich denke, dass gewisse Grundlagen niemandem schaden würden, was Pädagogik und Erziehung angeht. Anders gesagt: Grundkenntnisse könnten sehr viel nützen.

0

Ich habe das Gegenteil erlebt. Die Kinder von Lehrern und Erziehern haben sich eher "daneben" benommen, als andere Kinder. Deshalb machte ich mir auch mal Gedanken darüber und kam zu folgender "Erklärung":

Die Lehrer undErzieher sind den ganzen Tag damit beschäftigt, fremde Kinder zu erziehen und anzuleiten. Das kostet Kraft. Wenn sie dann abgespannt nach Hause kommen, haben sie oft keinen Nerv mehr, erzieherisch, bzw. konsequent auf ihre eigenen Kinder einzugehen.

Sie haben auch nicht unbedingt eine bessere Kindheit, da sie oft hinter fremden Kindern anstehen müssen, die die Lehrer oder Erzieher als ihr "Eigentum" betrachten.

Aber, wie gesagt, das sind meine Erlebnisse. Muss nicht allgemeingültig sein.

Erworbenes Wissen (egal welcher Art) kann jeder von uns immer nur dann am besten anwenden, wenn er möglichst objektiv dabei vorgehen kann.

Jeder Arzt ist Experte für Medizin ... und trotzdem haben laut Statistik Ärzte generell eine niedrige Lebenserwartung. Und die Angehörigen eines Arztes, die sind nicht kränker und auch nicht gesünder als andere Menschen.

Ein Rechtsanwalt ist Experte für Recht ... sollte er selber in die Lage kommen, dass er in einer wichtigen Causa eine Rechtsvertretung braucht, dann wird er einen Kollegen darum ersuchen.

Ein guter Musiker ist hochmusikalisch, und so mancher davon hat auch noch das absolute Gehör. Und dennoch oder gerade deswegen, hat er einen oder mehrere Lehrer und das oftmals ein ganzes Berufsleben lang.

Und Pädagogen sind Experten für eben diese ihre Wissenschaft ... deswegen müssen sie aber noch lange nicht ihre eigenen Kinder besser erziehen können, als dieses Eltern ohne jede pädagogische Ausbildung gelingt.

Draschomat  28.09.2010, 14:40

DH - ein Musiker, der die Theorie kennt, wird sich am Instrument leichter tun - genau so ist es auch mit pädagogischen Kenntnissen. :-)

0
Entdeckung  28.09.2010, 16:12
@Draschomat

Haha ... ;)... so könnte man das natürlich auch sehen.

Aber ich bin überzeugt, dass es nicht so einfach sein kann und auch nicht sein darf.

(Mit dem Musiker wollte ich eigentlich nur zeigen, dass jemand, der Theorie und auch Praxis perfekt beherrscht, in Situationen, wo er nicht objektiv bleiben kann, besser etwas von seiner Kompetenz abgeben soll.)

Und, wenn du Kinder als Instrumente bezeichnen möchtest, warum denn nicht ... im positiven Sinne sind sie es auch ... aber ... ein Musikinstrument ... nehmen wir als Beispiel die Orgel (!), das wurde genau nach einem Plan gebaut ... und daher man kann sie und ihre Reaktionen und Möglichkeiten - mit wenigen Ausnahmen - ganz genau vorherberechnen.

Daraus folgt, wenn alle anderen Bedingungen optimal sind, dann kann der Orgelspieler entsprechend seinem Talent und seinen Fähigkeiten Musik zum Erklingen bringen, welche die Herzen höher schlagen lässt und der Organist kann das x-beliebig wiederholen, mit annähernd dem gleichen Ergebnis.

Beim "Instrument" Kind ist es hingegen ganz anderes.

Es entstand nach uns Menschen nicht nachvollziehbarem Plan. Und wie die Erfahrung zeigt ... Kinder von ein und denselben Eltern, die können total verschieden in ihren Neigungen, in ihrem Charakter und sogar in ihrem Aussehen sein.

Und, wenn nun den Eltern beim Kind Nummer eins, diese oder jene Musik zu spielen ganz wunderbar gelungen ist, so kann es sein, dass mit derselben Technik und mit demselben Wissen der "Musiker" Eltern ... plötzlich nur Misstöne entstehen und keinlei Musik, die die Herzen berührt.

Und bei Kind Nummer drei ist es wieder etwas anders, und ebenso bei Kind vier und fünf ...

Und weil ein Kind nun mal ein Teil des Vaters, ein Teil der Mutter ist, kann weder der Vater noch die Mutter nicht so objektiv bleiben, wie es das "Gerlernte" - also die Wissenschaft der Pädagogik verlangt.

0
Entdeckung  28.09.2010, 16:13
@Entdeckung

Und genau da liegt nach meiner Erfahrung das Problem ... es kann aber es muss einfach nicht sein, dass Pädagogen die besseren Erzieher für ihre eigenen Kinder sind.

0
Draschomat  28.09.2010, 18:22
@Entdeckung

Kann mich allen Worten anschließen...genau genommen basiert Pädagogik ja auf irgendwelchen Langzeit- und Querschnittstudien, d.h. man sucht nach Wegen, die in der Regel den besten Erfolg versprechen. Ein Patentrezept gibt es nicht, d.h. kein Pädagoge hat die Weisheit mit Löffeln gefressen... ;-)

Manchmal habe ich aber trotzdem den Eindruck, dass es gewissen Leuten nicht geschadet hätte, sich ein paar Grundkenntisse anzueignen. Oder besser gesagt: Es hätte nicht geschadet, sich mehr Gedanken um Familie und Kind zu machen, um sicherer und "besser" agieren zu können.

0
Entdeckung  28.09.2010, 19:12
@Draschomat

d'accorde ... es hätte gewissen Leuten nicht geschadet, sich ein paar Grundkenntnisse anzueigenen ... und es schadet niemand, sich Grundkenntnisse anzueigenen.

Und ... es machen sich viel zu wenig Menschen groß Gedanken über Familie und Kind.

Und allzuviele Menschen leben nach dem Motto: "Ich will mein Leben genießen und Spass haben."

Man verliebt sich, heiratet oder auch nicht, bekommt auf alle Fälle ein oder mehrere Kinder ... und ... hast du es nicht gesehen, man hat sich "entliebt", man trennt sich und für die Kinder stürzt eine Welt ein.

0

Ich fürchte, dass sie es eher schwerer haben, wenn ihre Eltern in Erziehungsfragen wissenschaftlich vorgebildet sind.

Leider habe ich auch so manchen Lehrer kennen gelernt, denen ich meine Kinder nicht anvertrauen wollte.

Schreiberlilli  27.09.2010, 18:55

Von Lehrern speziell war hier auch nicht die Rede!

0
teddybaeruj  27.09.2010, 19:13
@Schreiberlilli

Die habe ich auch nicht stellvertretend für alle Pädagogen gemeint, sondern lediglich als ein Beispiel von Pädagogen.

Allgemein ist ganz deutlich mein erster Satz.

Trotzdem danke für den Hinweis, dass man das so verstehen kann.

0

Lehrerskinder, Pfarrers Vieh gedeihen selten oder nie, heißt es.

Aber nein, das ist eine Übertreibung.

Pädagogen haben es genau so schwer oder leicht bei der Erziehung ihrer Kinder wie andere Leute, denn die Erziehung zu Hause ist die eine Sache, der Einfluss der Gesellschaft eine andere. Und dann kommt noch der nicht zu unterschätzende Faktor des Charakters des Kindes hinzu. Ein Baby ist nicht nur ein süßer Wonnepropen; es bringt ja schon bestimmte Anlagen mit.

weisswaesche  30.09.2010, 15:25

Ist nicht Frau Merkel eine Pfarrerstochter? ;-)

0