Glückliche Nihilisten. Für euch ein Widerspruch?

8 Antworten

Interessanterweise ging es mir in meinem Leben genau in der Zeit am schlechtesten, in der ich verzweifelt nach einem übergeordneten Sinn suchte.
Erst als ich die Suche quasi "über Bord warf" und meinen eigenen Sinn fand, der daraus besteht, mich selbst zu akzeptieren, mich persönlich weiterzuentwickeln und mein Leben zu genießen, ging es mir gut.
Die Erklärung dafür sehe ich darin, dass ich früher etwas suchte, was außerhalb von mir lag, dass ich meinte, einem äußeren Ideal folgen zu müssen um jemand zu sein und damit eine Daseinsberechtigung zu haben. Ich hatte mich nach äußeren Maßstäben gerichtet und später hatte ich gelernt, meine eigenen Maßstäbe zu setzen.

Im Grunde besteht deine Frage aus zwei Komponenten. Der erste Teil ist die Frage, ob ein Nihilist glücklich sein kann. Ich denke, dass dies gut möglich ist, da jemand, der es verneint, dass es eine absolut gültige Moral geben könnte, sich durchaus in seiner eigenen Wertewelt einrichten kann. Denn ohne jegliche Werte kann niemand leben. Man hat zumindest so Vorstellungen, dass ich mich nicht sinnlos zugrunde richten sollte, oder dass sich mein Hund wohlfühlen sollte, oder dass in meinem Zimmer keine ärgerlichen und störenden Geräusche oder ekelerregenden Gerüche wahrnehmbar sein sollten. Zahlreiche andere Werte kann man durchaus der Beliebigkeit anheim stellen, also etwa welches politische System an der Macht ist, oder wie sich das Klima entwickelt, oder welchem Glauben sich die Menschen hingeben, also alles Positionen, die typisch für den Nihilisten sind.

Im zweiten Teil deiner Frage willst du wissen ob man ohne ein Gefühl der Sinnhaftigkeit glücklich sein kann. Auch da ist zu sagen, dass dies sehr gut möglich sein kann, da sehr viele Lebewesen (hoch entwickelte Tiere, Kinder, geistig stark eingeschränkte Personen) durchaus Signale des Glücklichseins aussenden. Bedenke doch, dass eine "Sinnsuche" als metaphysischer Wert erst relativ spät zu einem weit verbreiteten Anliegen in der Bevölkerung geworden ist, und auch da nur in sog. "Wohlstandsgesellschaften", die sich weitgehend von unmittelbaren existentiellen Bedürfnisbefriedigungen befreit hatten. Sinnsuche ist vermehrt so eine Art intellektuelles Hobby geworden, womit man sein Ego aufbessern kann, indem man "geistige Tiefe" signalisiert: "Ich bin keiner, der in hedonistischer Oberflächlichlichkeit mit geistig armseligen Freizeitvergnügen sein Leben dahinlebt!"

Bilanz: Zum Glücklichsein reicht im Grunde eine weitgehend neurosefreie Persönlichkeitsstruktur, die sich an den kleinen Freuden des Daseins erbauen kann und mit Freunden oder auch allein den Augenblick genießen kann.

Zwitscherling 
Fragesteller
 22.02.2023, 14:05

Danke für die ausführliche Antwort. Allerdings war meine Frage, oder meine Fragen nicht, ob man als nihilist glücklich sein kann oder ohne Sinn glücklich sein kann. Das dies möglich ist, weiß ich.

Aber da das offenbar subjektiv ist, ging es dabei primär um Meinungsforschung. Im Nachhinein wäre es wohl besser gewesen, wenn ich eine Umfrage gemacht hätte.

Mir ist eben oft, vor allem im Gespräch mit sehr Gläubigen Menschen, aufgefallen, dass sie, hätte das Leben keinen Sinn, was in ihrer Denkweise ja nicht der Fall ist, dieses trostlos, traurig und leer wäre.

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Nein. Wer über seine pubertäre Phase hinaus ist, findet sich mit vielem ab, was mal zu seinen Jugendträumen gehörte, aber damals nicht erreichbar war und auch in Gegenwart und Zukunft nicht erreicht werden wird. Viele sind berufen, wenige sind auserwählt, lautet der zynische Spruch dazu, mit dem sich vieles klären lässt, aber in einem anderen Sinne als ursprünglich ausgebrütet. Der Lebenssinn ergibt sich deshalb ganz allein, wenn man in der Verneinung des Bestehenden, der Ursache des einstigen Frusts, still fortfährt und das Leben vor allem realistisch betrachtet, sich nichts vormacht und das Leben zu genießen versucht.

Also, wie ich Nietzsche bzgl. des Nihilismus verstehe, besteht da auch ganz grundsätzlich kein Widerspruch. Es geht ihm ja quasi um die Abkehr von "falschen Göttern" bzw. dem, was wir zu Götzen gemacht haben, aber nicht um ein sinngebendes Ziel den ansich.

Aber ich mag mich auch irren, bin da lediglich Laie.

Glück ist manchmal etwas, das nicht von unserem Denken und Handeln abhängt, sondern ein Gefühl ist, das random ist. Deswegen können Menschen sich glücklich fühlen, auch wenn sie Nihilisten sind.