Gibt es bei den Zeugen Jehovas bzw. der Wachtturm-Gesellschaft, Meldestrategien gegen kritische Inhalte im Internet?
In internen Kreisen gibt es offensichtlich den Aufruf, kritische Videos, Berichte oder Kommentare als „Hassrede“ oder „Verletzung der Gemeinschaftsstandards“ zu melden.
Wer hat genauere Kenntnisse davon?
1 Antwort
Es gibt in der Tat Hinweise darauf, dass innerhalb der Organisation der Zeugen Jehovas systematisch dazu aufgerufen wird, kritische Inhalte im Internet zu melden.
Berichten zufolge wird Mitgliedern empfohlen, kritische Videos, Erfahrungsberichte oder Kommentare als „Hassrede“ oder „Verletzung der Gemeinschaftsstandards“ zu melden, um deren Entfernung von Plattformen wie YouTube oder Facebook zu erzwingen , auch wenn die Inhalte sachlich und im Rahmen der Meinungsfreiheit formuliert sind.
Allerdings denke ich, dass viele Mitglieder dies auch ganz ohne direkten Aufruf ihrer Organisation tun, einfach deshalb, weil es innerhalb der Zeugen Jehovas keine Form von berechtigter Kritik geben darf. Aus Sicht der Lehre ist jede Form von Kritik grundsätzlich böse und stammt „aus der Welt“, die laut ihrer Überzeugung von Satan regiert wird oder direkt von Satan selbst. Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet nicht statt, da Kritik nicht als diskussionswürdig gilt.
Die Organisation selbst reagiert besonders empfindlich auf öffentliche Kritik, vor allem, wenn diese eine gewisse Reichweite erzielt. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen YouTuber, die sich kritisch äußern und nur einige tausend Abonnenten haben, bereits Post von Anwälten der Wachtturm-Gesellschaft erhalten haben meist unter dem Vorwand von Urheberrechtsverletzungen oder Markenrechtsverstößen. Diese Taktik kann man durchaus als systematisch bezeichnen.
Man sollte sich nicht von der äußerlich harmlosen Erscheinung der Religionsgemeinschaft täuschen lassen: Hinter der Organisation steht eine straff strukturierte, juristisch und finanziell bestens ausgestattete Institution, deren geschätzte jährliche Einnahmen zwischen 800 Millionen und 1 Milliarde US-Dollar liegen. Entsprechend verfügt sie über ein ganzes Netzwerk hochkarätiger Anwälte.
Trotz dieser Machtmittel sind viele der Klagen bislang gescheitert. Gerichte stellten häufig fest, dass die geäußerte Kritik zulässig ist auch wenn sie deutlich und zugespitzt formuliert wurde. Anzeigen wegen angeblicher Beleidigung oder Volksverhetzung wurden in vielen Fällen abgewiesen, weil die Äußerungen vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt waren.
Wenn der rechtliche Weg nicht erfolgreich ist, wird häufig auf Einschüchterung gesetzt. Ein Beispiel ist die Hilfsorganisation „JW Help“, die sich für Aussteiger einsetzt und gezwungen war, sich in „JZ Help“ umzubenennen offenbar aufgrund rechtlichen Drucks wegen der Verwendung der Buchstabenkombination „JW“, die als Bestandteil der geschützten Markenbezeichnung der Zeugen Jehovas gilt.
Auch das Urheberrecht wird gezielt als Mittel eingesetzt, um unliebsame Stimmen mundtot zu machen. Ein prominenter Fall ist der des anonymen YouTubers „Kevin McFree“, der Parodien und kritische Videos veröffentlichte. Die Wachtturm-Gesellschaft versuchte, über eine DMCA-Vorladung seine Identität zu erfahren angeblich wegen Urheberrechtsverstößen. Ein US-Gericht betrachtete dies jedoch kritisch als Versuch der Einschüchterung, woraufhin die Klage zurückgezogen wurde.
Es zeigt sich deutlich: Die Wachtturm-Gesellschaft geht sehr bewusst und strategisch gegen kritische Inhalte im Netz vor, nicht durch öffentliche Gegenargumente, sondern durch systematisches Melden, juristische Schritte und Urheberrechtsansprüche. Ziel ist es offenbar, die Kontrolle über das öffentliche Bild der Organisation zu behalten und gezielt zu verhindern, dass sich kritische oder negative Darstellungen weiterverbreiten. Dass dabei keine sachliche Auseinandersetzung erfolgt, sondern gezielt versucht wird, Kritik zu unterdrücken, wirft Fragen auf, sowohl zur inneren Haltung gegenüber Meinungsfreiheit als auch zum Umgang mit Aussteigern und Betroffenen.