Erziehungsstil und Weise vor 30 Jahren pädagogisch Verwerflich?

3 Antworten

Du hast eine pädagogische Ausbildung und findest den Erziehungsstil heute besser als den von damals? Wow.

Ich bin Baujahr 75. Ich wurde wahrscheinlich noch mal ganz anders erzogen als Du :) Mein Sohn ist jetzt 20. Und ich habe ganz anders erzogen als meine Eltern. Und zwar genau an den Punkten, wo ich ihre Erziehung in Frage gestellt habe.

Ich glaube, dass man (ohne pauschalisieren zu wollen) heute eher sehr entspannt mit dem Thema Erziehen umgeht - bis fast gar nicht. Was früher von Mitmenschen oder den Eltern als Rahmensprengung oder unangemessenes Verhalten angesehen wurde, wird heute als "freie Entfaltung" betitelt. Wie zB das Bemalen der Tür. Ich muss nicht auf eine bemalte Tür freundlich reagieren, ich DARF als Erwachsener schimpfen. Was vermittel ich dem Kind denn, wenn es zB mit Nagellack ganze Zimmer verwüstet (sieht man oft genug bei Beitragen bei instagram oder sonstwo) und dann lieb-säuselnd frage, wie "wir" (vor allem WIR) das wieder ab bekommen? Dass das alles ja gar nicht so schlimm ist?

Ich denke, dass sich im Theme Strenge in der Erziehung über die letzten Jahrzehnte, und so weit muss man gehen, viel getan hat. Ich durfte zB nie raus. Auch mit 18 nicht. Ich durfte nicht in die Disco und wenn, dann nur unter Auflagen Und nur bis 24 Uhr (also sorry, da gehts ja meistens erst los) Meine Eltern haben hier zwei grundlegende Sachen falsch gemacht: 1. Sie haben mir nicht vertraut (auch wenn sie das immer gesagt haben) und 2. Sie wollten mich vor Allem beschützen.

Was ist mit mir passiert? Ich habe erst sehr spät eigene Erfahrungen und auf die Fresse fallen dürfen, weil man mich vorher wunderschön in Watte gepackt hat. Auch habe ich partytechnisch viel verpasst, weil man mich nicht weggelassen hat.

Meinen Sohn hab ich schalten und walten lassen, wie er wollte. Immer unter der Bedingung: Ich will dich nicht überwachen, aber sag mir einfach nur, wo du bist und wenn du den Standort wechselst. Und das tat er immer artig. Wenn du säufst, bitte, aber kenn deine Grenzen. Die hat er kennengelernt.

Mein Sohn wiederum wird später wieder ganz anders erziehen...

Bei und mit meinen Eltern wurde auch nicht diskutiert. Ein NEIN war ein NEIN. Ich habe nie widersprochen, ich habe nie meine Meinung durchsetzen können. Was DAS mit einem macht, kannst Dir ja denken. Mit meinem Sohn diskutiere ich. Oder er mit mir. Ich höre mir gern an, warum er nachts um 3 Uhr gerne an den Frankfurter Hauptbahnhof möchte (das ist jetzt ein Scherz) und er kann mir gern die Vorteile und das Gute daran erklären. Und ich entscheide dann, ob ich NEIN sage oder ob ich ihn nachts um 3 an den Hauptbahnhof lasse... vielleicht mit KO-Gas oder so ;)

Alles Punkte die heute besser gemacht werden. Die Eltern informieren sich, wie sie das Kind bestmöglich erziehen können, ohne etwas falsch zu machen, das dem Kind später zum Nachteil werden könnte.

Und machen es dann trotzdem falsch ... in einem emotionalen Moment oder so ...

Also alles keine Garantie, das es heute besser läuft als früher!

Außerdem sind die Familienverhältnisse sicher schwieriger als früher, weil es heute viel mehr Konflikte in den Familien gibt, Armut, Alkohlabhängigkeit usw.

Statt dem Kind auf Augenhöhe zu begegnen und zu sagen "was hast du denn da gemalt? hast du eine Idee wie wir das gemeinsam wieder abbekommen"? Oder hast du Aufmerksamkeit gebraucht?

Als ob man dem Kind unterstellen könnte, das es in seinem Alter schon ein Psychologiestudium hinter sich hat. Manchmal kommt mir das bei den Methoden gerade so vor! Als ob das Kind jetzt wüsste, das es Aufmerksamkeit braucht oder wüsste, wie man das wieder abbekommt.

Die Kinder von früher sind auch groß geworden und haben es überstanden. Die heutigen Kinder werden auch groß, haben aber später mit Sicherheit psychologische Probleme, die man hier immer wieder auch lesen kann.

Brachiale 
Fragesteller
 23.01.2024, 15:51

"Als ob man dem Kind unterstellen könnte, das es in seinem Alter schon ein Psychologiestudium"

Nicht das Kind sondern die Eltern sollten die Kenntnis haben zumindest auf das was gar nicht geht. Das Kind kann natürlich nicht wissen dass es in dem Moment Aufmerksamkeit gebraucht hat bzw kann es sich nicht dazu äußern, weil sie es nicht besser wissen, aber die Eltern sollten dann dem Kind auf die Sprünge helfen.

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Singuli  23.01.2024, 15:54
@Brachiale
Nicht das Kind sondern die Eltern sollten die Kenntnis haben

Das ist realistisch nicht machbar, denn dann dürften nur diejenigen Kinder bekommen, die zuvor einen Kurs, ein Zertifikat oder ein Anerkennungsseminar gemacht haben.

Willst Du das Kind ansonsten abtreiben lassen, wenn sich die Eltern dazu nicht bereit erklären?

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Brachiale 
Fragesteller
 23.01.2024, 15:57
@Singuli

Ich bin kein Elternteil, aber ich würde mich in der Verantwortung sehen, das Beste draus zu machen und natürlich dann darauf zu achten was falsch ist, man muss ja nicht alles wissen. Eltern die darauf Wert legen bemühen sich auch darum das pädagogisch wertvoll umzusetzen

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Singuli  23.01.2024, 16:00
@Brachiale

Du mußt halt auch sehen, das Kinder kriegen manchmal auch nicht gewollt ist oder mit sehr schweren Problemen einhergeht, wenn man z. B. alleinerziehend ist oder eine Scheidung war usw.

Frauen und Männer stecken da manchmal in einem extremen Stress, wenn z. B. Erwartungshaltungen an sie rangetragen werden oder wenn sich herausstellt, das das Kind behindert sein wird usw.

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jule2204  23.01.2024, 15:53

Armut und Alkohlabhängigkeit gab es auch schon in den 80ern und 90ern.
Und damals wurde es mehr todgeschwiegen als heute. Genau wie körperliche Gewalt seinem Kind gegenüber.

Viele wussen es, keiner hat etwas gemacht.

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Singuli  23.01.2024, 15:55
@jule2204
Viele wussen es, keiner hat etwas gemacht.

Ja, aber wurde das jetzt besser? Also ich meine aufgrund eines geänderten Erziehungsstils?

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Wie seht ihr das? Findet ihr auch das die Allgemeinheit heute viel mehr achtet, bei der Erziehung möglichst alles richtig zu machen als es damals in der Kita zu Hause und in der Schule der Fall war? An die 80 und 90er Kiddies!?

Bin selber ein 1990er und habe das schon so beobachtet - bei uns daheim war der Umgangston sowieso speziell, d.h. er war sehr "dienstlich". Es ging herzlich und offen zu, aber eben sehr dienstlich und sehr sachbezogen mit klaren Erwartungen. Es war halt so, wie es war, aber als Kind und Jugendlicher musste man sich schon in gewisser Weise unterordnen, daheim und in der Schule, noch viel schlimmer im Kindergarten, an den ich ziemlich heftige Erinnerungen habe (ich war von 1994 bis 1997 im Kiga).

Allgemein habe ich den Eindruck, dass die Erziehung anders ist als früher, auch wenn ich heute in etwa Gleichaltrige sehe, die ich von früher kenne und die selber Kinder haben. Es geht schon irgendwie "persönlicher" zu und das Kind steht eher im Zentrum als bei uns damals wo man echt auch oft "funktionieren" musste bzw. nicht gefragt wurde sondern "klotzen statt kleckern" und es halt mal machen musste, aber es wird penibel drauf geachtet, dass es "perfekt" sein muss, auch um vor den anderen gut da zu stehen - etwa vor Nachbarn, Erzieherinnen oder sonst wem. Ich erachte das als sehr unangenehm und finde es schon beklemmend, wenn ich so ein Gezicke und Gequietsche im Norma oder Aldi aus der Ferne miterlebe.

Ob es früher besser war weiß ich nicht, aber z.B. mein Cousin und ich hatten sicherlich, obwohl der Umgangston bei uns so dienstlich war und das Klima in der Schule nicht immer das Feinste, größere Freiheiten und eine höhere Lebensqualität, waren früher selbstständig und insgesamt offener als heutige Kiddies, die teilweise in Watte gepackt werden. Ich bin heute beruflich sehr erfolgreich und produktiv - sicher auch, weil ich oft "wollen musste" und diverse Dinge einfach zu machen waren. Wir wurden andererseits bei Sachen wie Jugendhaus, Partys machen, Freundin und "Rumhängen" nicht beobachtet oder gar kontrolliert und es war einfach so geduldet, wenn es im Rahmen war.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Brachiale 
Fragesteller
 23.01.2024, 16:06

Danke für dein Beitrag

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rotesand  23.01.2024, 16:07
@Brachiale

Gern, nix zu danken - ist nur meine ehrliche Meinung und Erfahrung.

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Spielwiesen  23.01.2024, 17:35

In deiner Antwort kommt sehr gut der Unterschied zwischen deiner relativ nüchternen, aber warmherzigen Erziehung nach traditionellem Muster und der auf Äußerlichkeiten ausgerichteten 'Dressur' bei den anderen Zeitgenossen zum Ausdruck. Da finde ich die Prägung durch deinen Opa gerade richtig! Kannst froh sein, dass dir die Attitüde erspart blieb, die du bei den anderen Zeitgenossen beobachtet hast. LG! ☆

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rotesand  23.01.2024, 18:01
@Spielwiesen

Danke! Ich bin mir dessen bewusst - es war nicht alles optimal, aber ich würde nie einem Kind irgendwie blöd oder frech oder schnippisch kommen, im Leben nicht - auch weil Kinder so was nicht verstehen und so was eher Selbstwertgefühl abbaut als "Gehorsam vermittelt". Heute hatte ich erst mit dem kleinen Sohn einer Kundin (ca. zwei Jahre) großen Spaß - er hat mir sogar die Hand gegeben und wir haben viel gelacht. Ich hatte das Gefühl, der Kleine mag mich!

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Spielwiesen  23.01.2024, 18:54
@rotesand

Klasse! Durch deine Art kannst du sogar einen Draht zu einem Kind aufbauen, weil es deine ureigenste Art versteht! Prof. Hüther wäre begeistert!

Das könnten Hedonisten schon mal nicht!! ^♡^

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