Die IGLU-Studie kommt zu erschreckenden Ergebnissen. Entwickelt sich Deutschland zu einem Land der Analphabeten?

3 Antworten

Nein.

Es entwickelt sich zu einem Land wie andere auch: Wenn man Menschen unterschiedlicher Sprachherkünfte mischt und das in einer recht kurzen Zeit ohne, dass die zugezogenen Personen die Sprache richtig lernen, dann entstehen "Dialekte", wenn ich das mal so nennen darf. Unter dem Strich kann man sich dann verständigen und offenbar scheint diese Art der Verständigung dann heute auch zu reichen.

Es ist also gar nicht mehr notwendig, dass man gewisse Dinge so gut kann, wie man es früher erwartete. Heute liest dir Google den Text nötigenfalls vor und wenn du eine Mail verfassen musst, dann wird es in ferner Zukunft praktisch nur noch wichtig sein, dass der Gegenüber versehen kann, was du von ihm willst. Grammatik dürfte da nicht mehr gross eine Rolle spielen.

Sprache entwickelt sich - auch rückwärts.

"Kannst du mir einen Bleistift geben?" oder "Hey, kann ich Bleistift?" dürfte künftig nur noch für ein paar Generationen die Ohren wackeln lassen. Bald ist das normal. Und so passt sich dann auch der Rede- und Schreibstil an.


courzelinne 
Fragesteller
 16.05.2023, 16:31

Voll krass!

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SarahSchweiz  16.05.2023, 16:37
@courzelinne

Wie man's nimmt... Ich selbst mag auch eher eine etwas altmodischere Ausdrucksweise und halte es für schön, wenn sich jemand noch etwas an die Grammatikregeln erinnert. Gleichzeitig arbeite ich in einem Bereich, in welchem ich recht intensiven Kontakt zu Ämtern und Amtsträger pflegen muss. Dort sollte man ja davon ausgehen können, dass eine saubere Anrede oder eine halbwegs vernünftige Ausdrucksweise im Allgemeinen vorliegen müsste, doch ich musste mich durch die letzten 10 Jahre immer mehr eines Besseren belehren lassen. Anfangs habe ich mich extrem daran gestört. Heut enicht mehr. Ich selbst achte noch darauf - bei mir. Nicht aber grossartig bei anderen.

Wenn mir eine Fachperson aus dem Bereich Human Ressource schreibt, dass "das Mitarbeiter morgen anvangen kan zum Arbeit", dann runzle ich zwar die Stirn, weiss aber, was sie gemeint hat. Ich weiss auch, dass sich hinter dieser Mail eine echt nette Person verbirgt. Aber sie kann halt die Sprache nicht. Ihre Arbeit erledigt sie aber speditiv, exakt und immer wahnsinnig zuverlässig. Was soll ich also auf ihrer Sprache rumhacken? Daran musste ich mich aber auch erst gewöhnen. Und muss es übrigens noch immer. Manchmal rege ich mich trotzdem darüber auf. Aber so sieht nunmal die Zukunft aus, wenn man die Fachkräfte aus dem Ausland rekrutiert.

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Ein Bildungssystem das vor dem Kollaps steht und in das noch zahlreiche Kinder mit Migrationshintergrund kommen, die kein deutsch können... wie soll das gut gehen!?

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Ich kenne diese Studie nicht, aber deine Frage ist für mich nicht so überraschend.

Etwas Ähnliches kenne ich aus einer anderen Disziplin: Rechnen. Ich schreibe bewusst Rechnen und nicht Mathematik. Ich habe in der Schule noch rechnen gelernt ohne Taschenrechner. Die ersten Hilfsmittel dazu waren die Rechenschieber, die ich damals schon als hinderlich empfand. Warum? Wir hatten noch am Samstag Schule (Internat). Da gab es jeden Samstag die Einmaleinsprobe, rauf und runter (bis zum 16er). Später kamen die Quadratzahlen dazu. Ich habe eben noch Kopfrechnen gelernt. Ende der 70er wurden in den Schulen nach und nach die Taschenrechner eingeführt. Selbst einfache Rechenvorgänge in den Grundrechenarten wurden am Taschenrechner eingetippt. Das hatte Folgen. Das Gefühl für das richtige Ergebnis ging allmählich verloren. Da wurde mit dem Taschenrechner gerechnet, ohne sofort zu erkennen, dass das angezeigte Ergebnis nicht stimmen kann.

Dazu ein Erlebnis vor ein paar Jahren an einer Tankstelle. Ich war der zweite in der Reihe an der Kasse. Für den Kunden vor mir musste die Verkäuferin aus irgendeinem Grunde fünf Beträge auf einem Zettel aufschreiben und zusammenrechnen. Beim Aufschreiben der Beträge sprach sie diese vor sich hin. Ich rechnete sie bereits beim Hören zusammen. Sie rechnete ein zweites Mal nach und kam auf ein anderes Ergebnis, dann nochmal und nochmal. Schon wollte ich ihr das Ergebnis nennen, hat sie es doch noch geschafft. Ich hab dann nur kommentiert: "Jetzt stimmts." Den fragenden und gleichzeitig erleichterten Blick der Verkäuferin werde ich nicht vergessen. Sie hatte nicht bemerkt, dass das erste Ergebnis richtig war und nur ihre Kontrollrechnung falsch war. Wohlgemerkt, sie rechnete auf dem Papier und ich im Kopf (und war sogar noch schneller).

Unsere Kinder sind in Mathe alle gut. Die Jüngste sah mich einmal völlig entgeistert an, dass ich ihr nicht nur das Einmaleins bis 20, sondern auch die Quadratzahlen bis 25 rauf- und runterrasseln kann.

Meine Erkenntnis: Die Leute kennen mathematische Formeln, können aber nicht mehr (sofort) die mögliche Richtigkeit des Ergebnisses erkennen. Bestes Beispiel war in den vergangenen Jahren die "Berechnung" des Inzidenzwertes bei den Coronainfektionen. Obwohl auf der Website des RKI die Berechnungsformel richtig wiedergegeben wurde, wurde diese falsch angewandt — und das durchgängig, und von Leuten, bei denen ich davon ausgehe, dass sie es merken müssten. Nichts davon. Ergebnis der falschen Anwendung der Verhältniswerte: Die Menge der Messungen beeinflusste den Inzidenzwert. Wer einfach weniger Tests durchführte, hatte einen geringeren Inzidenzwert. Hätte man die Formel richtig angewandt, hätte eine schlichte Verdoppelung der Tests nicht zu einer Verdoppelung der Inzidenzwerte geführt. Grund: Der Verlust des Gespürs für mögliche Richtigkeit des Ergebnisses.

Ich prophezeie (ausnahmsweise mal 😊):

Dasselbe wird in ähnlicher Form mit der deutschen Sprache passieren.

Die deutsche Sprache ist eine exakte und kaum vom Kontext abhängige Sprache. Damit lässt sich sehr genau ausdrücken, was gemeint ist und damit weitgehend Missverständnisse vermeiden. Unsere Schwiegertochter ist aus Indonesien. Bahasa ist im Gegensatz dazu eine stark kontextabhängige Sprache. Es ist weitaus schwieriger, sich damit exakt auszudrücken. In vielen Dingen ähnelt es diesem "Sparsam-Deutsch" der letzten Jahre nach dem Motto: "Ich gehe Aldi." (Zum Einkaufen, Arbeiten, Überfallen, Putzen, oder was?)

Mit der Rückwärtsentwicklung der Sprache hierzulande wird zwar künftig eine Grundverständigung möglich sein, aber doch weitgehend oberflächlich verbleiben und weitaus häufiger zu Missverständnissen führen. Das wird aber bestimmt noch eine ganze Generation dauern, vielleicht auch zwei, aber dieser Zustand wird eintreten. Der Verzicht auf korrekte Grammatik und Rechtschreibung wird den größten Vorteil der deutschen Sprache gegenüber vielen anderen Sprachen einbüßen: Ihre Exaktheit.