Chemie?
warum ist es so,dass wenn ein Molekül mehrere Grenzformeln hat, es umso stabiler ist?
2 Antworten
Das führt relativ tief in die Quantenmechanik. Ich versuche, das hier so einfach wie möglich zu erklären, aber vermutlich wird Dir die Standard-Erklärung „Die Elektronen werden delokalisiert, sie verteilen sich auf mehr Volumen und können einander weniger abstoßen, daher wird es stabiler“ ausreichen.
Quantenmechanisch sieht das so aus: Wir beschreiben das Molekül durch eine Wellenfunktion, die wir im Prinzip beliebig annehmen können. Für jede beliebige Wellenfunktion können wir eine Energie ausrechnen; je dämlicher wir die Wellenfunktion gewählt haben, desto schlechter sind die Resultate. „Schlecher“ bedeutet hier immer, daß die berechnete Energie zu hoch ist, daß das Molekül aus der Rechnung also zu instabil herauskommt. Oder anders gesagt: Je tiefer die berechnete Energie liegt, desto besser war die gewählte Wellenfunktion.
Man kann nun leicht Wellenfunktionen schreiben, die einer chemischen Strukturformel entsprechen, bei denen also alle Bindungen bereits im Ansatz enthalten sind und nicht erst aus der Rechnung herauskommen (sogenannte VB-Wellenfunktionen, die sind anders als die MO-Wellenfunktionen, mit denen man normalerweise arbeitet). Wenn ich jetzt irgendeine mesomere Spezies hernehme, z.B. das Allyl-Kation CH₂=CH–CH₂⁺, dann kann ich in dieser Methode leicht eine Wellenfunktion aufschreiben, die genau der von mir angegeben Struktur hat (also Doppelbindung links, positive Ladung rechts) und deren Energie ausrechnen. Ich kann auch die andere Struktur ⁺CH₂–CH=CH₂ berechnen und kriege dann natürlich dieselbe Energie.
Aber diese Energie ist nicht besonders gut. Man kann die Berechnung verbessern, indem man eine Mischung von beiden Strukturen/Wellenfunktionen erlaubt. In unserem Fall muß die Mischung natürlich symmetriebedingt 1:1 sein, aber im allgemeinen Fall (z.B. 1,2-Dichlorbenzol) wählt man das Mischungsverhältnis so, daß die berechnete Energie möglichst tief wird, also näher an der Realität liegt.
Wenn Du das aufmerksam liest, wird Dir auffallen, daß ich hier nicht von physikalischen Effekten schreibe, sondern davon, daß eine bestimmte Methode (VB) an solchen Molekülen scheitert, weil ihre Grundannahme (Moleküle müssen wie eine Strukturformel gebaut sein, mit einer fixen und ganzzahligen Anzahl Bindungen zwischen zwei Atomen) für diese Moleküle nicht gut genug ist.
Mesomerie ist also kein physikalischer Effekt, sondern nur der Zusammenbruch der simplen Vorstellung, daß Elektronen sich wie die Striche in einer Lewis-Formel verhalten. Die Wahrheit ist eben komplizierter als das, und wirklich verwunderlich ist nur, daß man mit der simplen Vorstellung überhaupt so weit kommt.
Die heute dominant verwendete MO-Methode arbeitet mit einer anderen Vorstellung: Moleküle bestehen nicht aus Atomen mit Bindungen dazwischen wie bei VB, sondern aus Kernen und Elektronen. Das hat auch seine Nachteile (man kann gar nicht mehr so wirklich definieren, was eine „chemische Bindung“ eigentlich ist), aber das ganze Mesomerie-Dilemma stellt sich nicht mehr: Moleküle wie das Allyl-Kation oder Benzol kommen automatisch symmetrisch gebaut heraus, und brauchen keine spezielle Behandlung mehr.
Gleichverteilung von Elektronen ist energetisch günstiger.