Beziehung trotz seiner Komplexe?
Seit kurzem bin ich (23) mit meinem Freund (25) zusammen. Ich habe noch nie einen Mann so sehr geliebt wie ihn und generell fühlt sich alles komplett richtig an, wenn wir beieinander sind, in seiner Gegenwart könnte die Zeit anhalten. Seine Behinderung ändert daran nichts: Seit der Geburt hat er Probleme mit seinem Gehör und benötigt ein Hörgerät. Ihm selbst geht es damit anscheinend anders, denn als ich ihn in der Kennlernphase nach den Ursachen fragte, reagierte er nahezu beschämt, rechtfertigte sich gar, als wäre meine neutrale Frage ein Vorwurf gewesen. Daraufhin musste ich ihn erstmal beruhigen und versicherte ihm, dass ich ihn gernhabe, so wie er ist. Glücklicherweise reichte das auch aus.
Ein paar Wochen später allerdings folgte ein weitaus größeres Drama. Wir waren mit Freunden in einem Club, wo sich ein männlicher Besucher auffallend gut bewegen konnte. Nicht nur ich, mehrere bestaunten seine Tanzkünste, einen weiteren Hintergedanken gab es dabei nicht. Mein Freund nahm das allerdings so auf. Nachdem er mich ca 20 Minuten abweisend behandelte , verließ er wenig später wortlos den Club. Eine Freundin half mir, ihn zu suchen, ich nahm per WhatsApp Kontakt zu ihm auf, jedoch nur äußerst ablehnenden. Er antwortete stets mit "Du weißt genau, was los ist." und "Bitte lass mich allein."
Meine Freundin konnte mich kaum beruhigen, so besorgt und verwirrt machte mich sein Verhalten, weil ich zu diesem Zeitpunkt den Grund tatsächlich noch nicht kannte. Trotzdem Zwang ich mich, ihn in Ruhe zu lassen, bis er mir etwa eine halbe Stunde später verriet, wo er sich befand und dass er dort endlich mit mir reden wolle. Ich fand ihn halb zusammengekauert auf einer Parkbank sitzend, mit geröteten Augen. Ihn so zu sehen, brach mir fast das Herz, denn ich habe ihn als einen der liebevollsten Menschen kennengelernt und genau deshalb immer Sorge, dass er verletzt wird- und nun habe ich ihn verletzt, wie er mir mitteilte. Grund war nichts anderes als der Tanzende Mann gewesen, den ich anscheinend etwas zu lange angestarrt hatte. Ich sei zu gut für ihn und sollte mir eigentlich jemand besseren suchen...(WTF!)
Im ersten Moment überkam mich ein unfassbar schlechtes Gewissen, ich trocknete seine Tränen, nahm ihn in den Arm und versicherte ihm, dass es für mich niemand anderen als ihn gäbe und mich schlicht das Talent dieses anderen Typen beeindruckt hatte. All das war nicht gelogen. Auch jetzt noch verstehe ich, dass sowas fehlinterptetiert werden und extrem verletzend sein kann, andersherum wäre es mir wohl ähnlich gegangen. Ohne Weiteres das Weite zu suchen, hätte ich hingegen nicht gemacht. Er versprach mir, nächstes Mal mit mir zu kommunizieren, anstatt einfach wegzurennen.
Wie gesagt verstehe ich, dass sowas wehtun kann, aber wirkt seine Aktion nicht etwas übertrieben? Ich glaube, diese lässt sich auf seine Unsicherheit bezüglich seiner Einschränkung zurückführen. Hinzu kommt, dass er in seinen letzten Beziehungen nicht allzu gute Erfahrungen gesammelt hat und zum ersten Mal aufrichtige Liebe außerhalb des Elternhauses erfährt (die präsentiere ich ihm ständig und ausgiebig, weil ich wirklich noch nie so viel für jemanden empfunden habe) Möglicherweise erschüttert ihn diese ungewohnte Zuneigung dermaßen, dass er nur auf Situationen wie diese "wartet", welche ihm beweisen, dass doch jeder andere besser als er sei. Immerhin ist unsere Beziehung noch sehr frisch.
Wir haben uns ausgesprochen, aber irgendwie fürchte ich mich vot der Möglichkeit, dass so etwas nochmal passiert. Ich liebe ihn über alles, aber auf Dauer halte ich das nicht aus und mehr Sicherheit geben kann ich ihm nicht.
2 Antworten
Er hatte 25 Jahre Zeit, sich in seine Komplexe reinzusteigern. Sich in den Glauben reinzusteigern, unwürdig zu sein und grundsätzlich von allen nur belächelt zu werden. Das ist für ihn absolut fester Bestandteil der Lebensrealität!
Das zu ändern, da drüber hinweg zu kommen, das Bewusstsein zu schaffen dass nicht alles gegen ihn gerichtet ist, dass es auch für ihn ehrliche Liebe gibt, wird nicht in ein paar Gesprächen funktionieren.
Es wird besser werden. Aber langsam. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal, dass ihm schon der Gedanke kommt dass er gerade etwas missverstehen könnte und dass er dann mit dir spricht. Vielleicht wiederholt sich die Situation beim nächsten Mal 1:1 so wie jetzt mit dem gleichen Gespräch im Anschluss. Erwarte nicht zu viel. Ihr habt beide verdammt viel zu lernen.
Richte dich auf ein jahrelanges Projekt ein.
Was aber in meinen Augen ein fairer Deal dafür ist, einen Menschen zu haben den man liebt ;)
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So als Überlegung, um dir deutlich zu machen wie die Situation für ihn sein dürfte: Stelle dir vor, deine Brüste hätten mit 11 aufgehört zu wachsen, als diese kleinen Spitzen bei denen man sich überlegt ob das überhaupt schon Brüste sind. Und seither hättest du 20 Jahre lang erst zugesehen, wie alle anderen Mädchen richtige Brüste bekommen und schöne Dekolletées zeigen, du wärst vielleicht gemobbt worden, dir hätte vielleicht der eine oder andere Sexualpartner gesagt, er müsse aufhören weil er das Gefühl hat du seist noch ein Kind, seither hattest du dich nicht mehr getraut mit irgendwem ins Bett zu gehen... Und nach 20 Jahren des Unglücks kommt jemand, der dich ganz aufrichtig einfach so liebt wie du bist, mit dir einfach nur Liebe machen will und dir ungefragt das Oberteil auszieht.
Da wäre deine Reaktion vermutlich auch eine, die er als übertrieben empfinden würde.
Ja, die Abmachung gemeinsam die jeweiligen Komplexe zu überwinden, kann doch ein tolles Beziehungsprojekt sein. Ich würde nur aufpassen, es nicht so zu formulieren dass er es als "Leid gegen Leid aufwiegen" empfindet.
Viel Erfolg!
Um es kurz zu machen: Er hat riesige Probleme mit seinem Selbstwertgefühl und das verursacht auch eine für die Beziehung auf Dauer verheerende emotionale Abhängigkeit. Was Dir jetzt noch wie der Himmel vorkommt, wird sich bald als Hölle erweisen. Dein Freund braucht dringend psychologische Hilfe, was er eben wegen seines Problems ablehnen wird.
Und wenn er sich die nicht holt, kann ich Dir nur die Trennung empfehlen, so schmerzhaft das auch scheint.
Wort für Wort meine Meinung! Danke - dann muss ich das nicht schreiben.
Hey, danke für die Antwort.
Tatsächlich leide ich selbst unter äußerst unförmigen Brüsten, weise ebenfalls Komplexe auf, wenn auch nicht so extreme wie er (vermutlich, weil er im Alltag eingeschränkt ist).
Ich wollte sie ihm auch nicht zeigen, letztlich hat es ihn 0 gestört. Vielleicht kann ich ihm diesen Vergleich bringen.