Ablauf des Chemiestudiums?

3 Antworten

Von Experte LeBonyt bestätigt

Ich bin Chemiestudent im dritten Studienjahr.

Du brauchst kaum Grundkenntnisse. AC fällt sowieso in der OS völlig weg.

Für den Bachelor ist die genaue Uni/Stadt recht egal, wichtiger ist dann die Spezialisierung im Master und das grobe Thema der Promotion. Die ist für viele Stellen "Pflicht". An Fachgebieten mangelt es nicht. Das macht das Studium auch so schwer und reizvoll. Mineralogie wird behandelt wie Biochemie oder etwas Quantenmechanik, man muss den Aufbau von dutzenden Geräten mal gesehen haben und im besten Falle hunderte Namensreaktionen. Realistisch gesagt, vieles vergisst man schnell wieder.

Die Oberstufe bietet einen guten Ausgangspunkt. OC und phys. Chemie sind nur Teilgebiete. Daneben gibt es mindestens 5-6 weitere. Aber der Schulstoff von LK Physik und Chemie ist, was Komplexität anbelangt, dem Chemiestudium oft schon etwas nahe. Es ist nur viel mehr in weniger Zeit und viel ungeschminkter.

Der Arbeitsaufwand ist sehr hoch. 50-60 h/Woche in der VL-Phase mindestens. Davon alleine am Anfang über 30 WS brutto für Vorlesung, Übungen, Praktika. Praktikum bedeutet, ihr müsst einen Versuch an der Apparatur dann auch durchführen, Kolloquium, Protokoll und manchmal auch Durchführung werden benotet. Sehr viel ist auf Englisch.

Am meisten Spaß machen die Laborpraktika in der AC und OC. Da darf man sehr frei arbeiten und macht alles, Recherche, "Kochen", Analytik... Natürlich bekommt das Praktikum nur die älteste und spartanischste Technik und es geht viel kaputt. Schwere Unfälle hatten wir nicht, aber das ganze Labor stinkt hinterher nach Lösungsmitteln. Schwefelsäure verschütten ist noch so eins der harmloseren und billigeren Dinge.

Die Prüfungen können je nach Prof. und Gebiet sehr hart oder sehr leicht sein. Es gibt aber Zweit- und Drittversuche. Die mathematischen und physikalischen Klausuren waren immer echt übel. Noten gibt es manchmal auch auf Hausaufgaben, Kolloquien (mündliche Prüfungen im Praktikum) oder Protokolle.

Protokolle. Die sind am schlimmsten. Das sind 3-10 h oft inklusive Literaturrecherche und kann 4-20 Seiten umfassen. Im phys. Grundpraktikum sind das Versuche wie "Bestimmung der Gitterkonstante, Federkonstante, Wärmekapazität, Viskosität...". Quasi Kindergarten.

Für uns geht es gerade an die praktische GC-MS (Gaschromatographie + Massenspektrometrie), wir durften and das Elektronenmikroskop, pyrophore bis krebserzeugende Stoffe unter N2 handhaben, mit Flüssigstickstoff hantieren uvm. Es wird sehr viel Wert auf saubere Auswertung gelegt, nicht nur auf die Laborarbeit. Viel Maschineneinsatz macht lange Trennungsgänge und Verfahren in der Analytik heute überflüssig und verlagert Arbeitszeit an den Rechner. Manche Reaktionen dauern Tage und funktionieren partout nicht.

Heute ist die Laborchemie viel regulierter und sauberer als noch in den Geschichten unserer Profs. Da war Benzol noch Putzmittel, es wurden Quecksilber-Wärmebäder benutzt und grammweise hochbedenkliche Stoffe gekocht.

Du kannst die meisten Modulkataloge online abrufen. Setz dich in eine Vorlesung der Erstsemestler, das kontrolliert kein Schwein.

Nachteilig sind der Arbeitsaufwand, die hohen Abbrecherquoten und viele Leute über Regelstudienzeit (4 Jahre, knappe Hälfte hat abgebrochen). Mathe war bei uns ein echtes SIebfach.

Insgesamt ist das Bachelorstudium Chemie ein toller Einblick in alle Fachbereiche und man lernt auch, wenn man "echte" Praktika und HiWi's macht, handwerklich viel neues, aber beruflich kann man damit nichts anfangen. Erst ab dem Master.

Wenn deine Noten stimmen und es dein Gebiet ist, rate ich dir ernsthaft, evtl. eher ein Pharmaziestudium zuerwägen. Es ist etwas kürzer und beruflich sicherer. Chemikant ist auch sehr gesucht.

LG, das sollte reichen.

Nachfragen gerne per PN, da das den Rahmen sprengen kann.

TrustyTrap 
Fragesteller
 13.12.2022, 23:18

Hast du dir schon vor dem Studium sehr viel selbst beigebracht und Wissen angereichert oder fällt dir Lernen einfach nur sehr leicht?

Denn das klingt für einen 10. Klässler echt heftig

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ZitrusLiebe  13.12.2022, 23:50
@TrustyTrap

Ach stimmt, du warst erst 10. Bis dahin ist noch viel Zeit.

Ich habe nicht direkt nach der Schule studiert. Chemie war nicht meine erste Wahl. Im LK hatte ich immer eine 2/2+.

Du musst nur Grundkonzepte verstehen. Die ersten paar Wochen haben wir mit Lächerlichem wie Molrechnung, EN und Newton verbracht. Aber das unterschätzt man. Die Lernkurve ist sehr steil.

Generell ist Chemie LK trockener, weil man vieles noch nicht einordnen kann. Einiges ergibt erst im Studium Sinn. Und das ist ein tolles Gefühl.

Das Wissen hing damit zusammen, dass ich leichten Autismus habe und, plump gesagt, anfangs nur wissen wollte, wie Drogen chemisch funktionieren. Spezialinteresse halt. Der Rest kam später.

Literaturempfehlungen:

Das Buch "Chemie heute" ist ganz guter Ausgangspunkt für den LK. Chemie in unserer Zeit ist recht einfaches Journal. Sonst Populärwissenschaftlicheres wie Spektrum (Zeitschrift). Wikipedia benutze ich, wenn nicht zitiert wird, auch oft.

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TrustyTrap 
Fragesteller
 14.12.2022, 00:09
@ZitrusLiebe

Vielen Dank :D Das beruhigt mich. Werde trotzdem jetzt schon aufs Studium hinarbeiten mit Büchern zum ersten Semester. Ich denke, ich werds mir später danken

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ZitrusLiebe  14.12.2022, 06:53
@TrustyTrap

Wie gesagt, ist nicht notwendig und hängt vom Fokus der Uni ab.

Für AC kann ich dir Eberhard Gerdes: Qualitative anorganische Analyse empfehlen. Man auch auch so ab zu und ein Kapitel daraus lesen, es geht um Metalle, alle möglichen Ionen, Eigenschaften und Trennung. Spart im 1. Semester viel Arbeit. Die Chemie dahinter ist schön bunt (nicht das Buch selbst), aber zum allgemeinen Verständnisse der Metallo- und Komplexchemie nützend.

Leider wird AC in der Oberstufe sehr ausgeklammert.

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Da das Studium von Uni zu Uni verschieden ist, ein paar grobe Kleinigkeiten:

Es wird auf gar kein Wissen aufgebaut. Schließlich müssen auch Leute den Stoff mitnehmen können die in der Oberstufe gar kein Chemie hatten. Dazu ein Zitat von einem Professor in meiner ersten Stunde der ersten Vorlesung: "Sie denken jetzt vielleicht wegen ihren Chemiestunden in der Oberstufe hätten Sie schon den Durchblick und müssten kaum Neues lernen. Da muss ich Sie enttäuschen. Eine Hälfte des Schulstoffs ist vereinfacht oder veraltet, die andere Hälfte ist falsch, deswegen fangen wir nochmal ganz von vorne an"

Der Bachelor baut das Grundwissen auf. Spezialisierung kommt für gewöhnlich erst im Master. Ansonsten ist das Studium sehr anspruchsvoll. Da die meisten Unis keinen NC für Chemie haben, wird durch schwere Prüfungen in dem ersten Semester ausgesiebt, sozusagen.

Ansonsten halt dich an das, was LeBonyt schon gesagt hat. Die Fachschaften wissen am besten bescheid über den genauen Ablauf an ihren Unis.

PS: Das klingt jetzt vielleicht erstmal abschreckend, aber das Chemiestudium macht auch echt viel Spaß, man muss sich halt reinhängen.

Ich empfehle dir folgendes: Zuerst suchst Du die Uni, wo Du gerne studieren möchtest. Im jeden Fachbereich gibt es sogenannte "Fachschaften", das sind Studierende die Studierende fachlich beraten. Diese können dir aus erster Hand sagen wir ein Studium an der Uni abläuft.

Hier exemplarisch die Fachschaft Chemie der Uni Kiel wo ich studiert habe:

https://www.fs-chemie.uni-kiel.de/de

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – gelernter Diplom Chemiker